Livereview: Steve Harris British Lion - Voodoo Six

12. November 2016, Solothurn – Kofmehl
By Tinu
Grundsätzlich waren meine Erwartungen an dieses Konzert sehr bescheiden. Das bisher einzige British Lion-Album stufe ich als wenig hitträchtig ein und die Frage, wieso Mastermind Steve Harris, der mit seiner Stammcombo Iron Maiden mehr als nur ausgelastet ist, noch ein zweites Standbein aufbaut, konnte ich mir bis an diesem Abend nicht beantworten. Trotzdem übt die Präsenz von Steve an einem Ort wie dem Kofmehl einen unglaublichen Reiz aus. Also, wenn British Lion schon in der unmittelbaren Nähe spielen, dann sollte man sich an einem Samstagabend auch nicht zu schade sein, den Weg unter die Räder zu nehmen. Die sogenannten unzähligen Die Hard Iron Maiden Fans blieben diesem Event aber grösstenteils fern. So, dass das Kofmehl gemütlich bevölkert war, aber zuweilen auch sehr geräumig, um nicht zu sagen leer aussah. Was mir erneut bewies, dass Mister Harris ohne Maiden eben doch nichts für die Massen ist.

Voodoo Six starteten den Abend mit einer 45 Minuten dauernden Show. Die Jungs spielten bereits mal als Support von Iron Maiden und hatten schon damals einen sehr schweren Stand bei mir. Musikalisch wurden die Tracks zwar sehr gut vorgetragen, bloss in welche musikalische Richtung wollen die Jungs gehen? Da war etwas von Iron Maiden zu hören, dann wieder was von Gun, oder ein bisschen Grunge und ein Querverweis zur Moderne. Basser Tony Newton groovte wie ein Berserker, trieb das Publikum immer wieder an und erinnerte von seiner Bühnenshow an jene von Steve Harris, da meistens eines seiner Beine auf der Monitorbox stand. Tony verlieh der Show von Voodoo Six einen unglaublichen Punch und hatte, wie seine Mitstreiter, einen tierischen Spass auf der Bühne. Die Jungs gaben sich britisch und hatten in der Frühphase mit Richie Faulkner einen begnadeten Gitarristen in den eigenen Reihen, der nun bei Judas Priest in die Saiten haut. Sänger Luke Purdie war mit seiner seitlich rasierten Lockenpracht und dem langen Bart eher ein übriggebliebenes Relikt aus der ausgestorbenen Grungezeit, tobte aber (fast tanzend) mit viel Einsatz über die Bühne. Die Jungs präsentierten eine gehörige Portion Coolness, speziell die Sechs-Saiten-Fraktion mit Matt Pearce und Chris Jones. Mit zunehmender Spielzeit konnte das Publikum sogar aus der Reserve gelockt werden und das Stimmungsbarometer stieg langsam. Trotzdem, was der Truppe fehlt, ist ein Hit, der mit grossem Wiedererkennungsgrad die Leute aus der Reserve lockt und auf den die Fans von Beginn weg warten. Denn mit der Zeit, wurde das Set eher langatmig und auf eine gewisse Weise langweilig.



British Lion leben klar von Steve Harris. Damit will ich nicht die Qualitäten von Sänger Richard Taylor oder den anderen Musikern schmälern, aber die uneingeschränkte Antriebsfeder ist und bleibt der Iron Maiden-Bassist. Ich habe Steve immer für seine songwriterischen Qualitäten und sein Bassspiel bewundert. Kein anderer Tieftöner hat mit seinem Können im Metal-Bereich dermassen für Ansehen gesorgt und die Musikwelt beeinflusst, um nicht zu sagen revolutioniert. Alleine aus diesen Gründen waren und sind die Erwartungen an Mister Harris auch immer immens hoch. Man kann auch nach diesem Konzert über die Lieder des Debütalbums der Truppe denken, wie man will. Sie werden nie das Hitpotenzial von Alben wie «The Number Of The Beast» oder «Powerslave» erreichen. Dabei müssen sie auch nicht das gleiche metallische Fundament aufweisen, aber eine ähnliche Hitdichte wäre jedoch wünschenswert, um nicht zu sagen setzt man bei Steve grundsätzlich voraus. So bleiben bei den British Lion-Tracks halt oftmals, ausser den bekannten Harris-Mitsing-Melodien im Form von «oh-oh-oh» (erinnert euch an «Heaven Can Wait» oder «Fear Of The Dark» von Maiden), nicht viel hängen. ABER! Ich habe Steve in den letzten Jahren nie mehr mit einer so grossen Spielfreude auf der Bühne gesehen, wie an diesem Abend im Kofmehl. Auch wenn die Bühnenverhältnisse klein waren, so rannte der Maiden-Kopf auf der Stage herum, als gäbe es kein Morgen mehr. Er bangte, bewegte sich ständig, schwitzte und presste seinen Bass wie ein Maschinengewehr an seine Hüfte. Ich glaube, das letzte Mal, dass ich Steve mit einer solchen Hingabe erlebte, war auf der «X-Factor»-Tour.

Es machte sichtlich Spass, mitanzusehen, wie Steve das Konzert genoss. Wie er immer wieder den Text imaginär mitsang und das Publikum animierte. Diese positive Energie übertrug sich von Song zu Song auf das Publikum, so dass nach gut zwei Drittel des Sets laute Chöre den Applaus des Publikums begleiteten. Die Stimmung stieg und als Richard verkündete, dass jedes Konzert dieser Tour für eine Live-CD mitgeschnitten werde, kannten die Reaktionen kein Halten mehr. Auch wenn nur Wenige diesem Konzert beiwohnten, diejenigen, die da waren genossen es. Die «oh-oh-oh-oh-oh-ooohhh»-Gesänge kannten plötzlich keinen Abbruch mehr und die verschwitzten wie warmgebangten Halswirbel standen in den ersten Reihen kaum mehr still. Tja, es muss wie damals gewesen sein, als Iron Maiden gerade mit den «Soundhouse»-Tapes auf sich aufmerksam machten und in den kleinen, stinkigen, englischen Clubs die Grundmauern zum Beben brachten.

Es schien auch, als ob sich Steve richtig über diese Club-Atmosphäre freute und weg von der Stadion-Mentalität seiner Stammtruppe wieder die "Basis" besuchen wollte. Dass er es sich nach dem Konzert nicht nehmen liess und mit seinen Jungs eine Autogrammstunde gab und jedem Wunsch nach einem gemeinsamen Foto nachkam, hatte etwas unglaublich Ehrliches und Fannahes an sich. Davon können die meisten Maiden-Fans nur träumen, Steve einmal so nahe zu sein. Dass der Gig nach etwas mehr als einer Stunde schon fertig war und keiner Zugabe gespielt wurde, hatte dann aber trotzdem etwas Befremdendes. Dennoch, und das hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, schaffte es die Band, dass ich mir das British Lion-Album zulegen und tiefer in die musikalische Welt der Löwen eintauchen werde. Auch wenn ich nach wie vor der Meinung bin, dass die Lieder auf dem Debüt alles andere als werdende Klassiker sind, aber diese sehr nette, ehrliche, authentische wie offene Art von Steve hat was Packendes, dem man sich nicht widersetzen kann. Was viele Bands/Musiker sagen, dass es keine Rolle spielt, ob sie nun vor 10, 100, 1'000, oder 50'000 Leuten spielen, hatte an diesem Abend bei Steve seine volle und authentische Berechtigung! Mir stellte sich zum Schluss allerdings nur die Frage, dass wenn sich Steve schon so dermassen fannah präsentierte, warum er dann keine Interviews auf Tour gab…

Setliste: «Intro» - «This Is My God» - «Lost Worlds» - «Father Lucifer» - «The Burning», «Spitfire» - «The Chosen Ones» - «These Are The Hands» - «Bible Black», «Guineas And Crowns» - «Last Chance» - «Us Against The World» - «A World Without Heaven» - «Judas» - «Let It Roll» - «Eyes Of The Young».