Livereview: Rocksound Openair 2010 "neo1-Festival"
10. Juli 2010, Huttwil - Nationales Sportzentrum
By Rockslave
Da wir vom Veranstalter unverständlicherweise bloss für den Samstag eine Akkreditierung erhalten hatten, beschränkt sich unsere Berichterstattung zum «neo1-Festival» 2010 nur auf den Samstag, also den zweiten Tag. Nachdem das ursprüngliche Billing zuerst noch etwas anders ausgesehen hatte, konnte sich die definitive Running Order dennoch sehen lassen. Der Ausfall der Woodstock-Legende Ten Years After dürfte allerdings nur einen Teil des Publikums, vorab älteren Jahrgangs, missmutig gestimmt haben. Mein Fokus am Freitag waren eh nur Krokus und vor allem Billy Idol, der einen unerwartet genialen Auftritt hinlegte! Dabei war Kult-Gitarrist Steve Stevens schon alleine das Eintrittsgeld wert und ich endlich um die lang ersehnte Premiere (!) reicher. Tags darauf wurde es für uns erst ab The Hooters relevant, denn Good Charlotte davor waren einfach nur grauenvoll. HammerFall überraschten derweil mit einem spritzigen Set, während Twisted "Fuckin" Sister auf der ganzen Linie killten und Gotthard danach zwar sehr solide waren, mich letztendlich aber nicht aus den Schuhen hauten.

The Hooters

Eigentlich war ich nie ein grosser Fan der Amis, die 1980, also vor just drei Dekaden den Grundstein zu ihrer beachtlichen Karriere legten. Im Wesentlichen liegt das daran, dass die Truppe um die drei Gründungsmitglieder Eric Bazilian (g/v), Rob Hyman (keys/v) und David Uosikkinen (d) für meinen persönlichen Geschmack viel weichspülermässig aufspielt. Dennoch muss man attestieren, dass wir es hier mit sehr gehaltvoller, poprockig ausgerichteter Musik mit etwas Folkeinschlag zu tun haben. Aufgrund des massiven Airplays kennt das gemeine Volk natürlich deren Classics «All You Zombies», «Johnny B.» und «Satellite». Daneben gab es noch weitere Hit-Titel wie «Hanging On A Heartbeat» oder «Day By Day». Das zweite Album «Nervous Night» (als erstes Major-Teil) verkaufte sich 1985 nicht weniger als 2'000'000 Mal! Während sich in Europa der Erfolg in der Folge steigern liess, schwand das Interesse in der Heimat zusehends. 1995 wurde die Band offiziell aufgelöst, da diverse Solo-Projekte anstanden und 2001 ebenso amtlich wieder reformiert. Das Ur-Trio Bazilian-Hyman-Uosikkinen verstärkte sich mit neuen Musikern und seither ist man wieder live unterwegs. In diesem Sommer kam mit «Five By Five» gar eine neue EP heraus. Vor nicht allzu viel Publikum zelebrierten danach The Hooters ihre Hits und die allgemein sehr melodiöse Mucke. Auch wenn stimmungsmässig nicht gerade der Bär los war, fand das Publikum durchaus Gefallen an diesem Auftritt und bekundete das jeweils mit ordentlichem Applaus. Meine Wenigkeit war danach zwar immer noch kein (neuer) Fan geworden, aber rein musikalisch, also vom Songwriting her, merkte man schon, dass die Band total harmonierte und es immer noch absolut drauf hat. Überdies passte dieser Stimmungs-Sound bestens ins Huttwiler Openair-Konzept und wurde natürlich professionell wie tight vorgetragen. Am Ende standen gute 60 Minuten Wohlfühl-Musik zu Buche und sichtlich zufriedene Zuschauer waren nun gespannt auf die nächste Gruppe, die bald auf der Bühne stehen würde.

HammerFall
Der stilistische Wechsel konnte nun "krasser" nicht sein! Heavy Metal nach Folk Rock? Ja warum denn auch nicht, denn Abwechslung macht das Leben süss, oder?!! Zudem gab es, sofern bei der späteren Nachfrage durch Sänger Joacim Cans nicht geschummelt wurde, etliche Fans, die HammerFall zum allerersten Mal überhaupt sahen! Sowas passiert auf einem Festival wie diesem aber noch oft. Unseren Lesern müssen wir die Schweden aber mit Sicherheit nicht näher vorstellen! In den Anfängen noch voll auf dem True Metal Trip, wandelte sich der Stil in den letzten Jahren etwas mehr in die powermetallische Ecke, was spätestens seit 2002 mit dem Album «Crimson Thunder» deutlich hörbar ist. Dieser clevere Schachzug bescherte der spielfreudigen Band eine mächtige Fan-Basis, was sich zum Beispiel im Z7 in Pratteln stets durch ausverkaufte Konzerte manifestierte. Die jüngere Vergangenheit war geprägt vom medienmässig eng begleiteten Ausstieg zweier Musiker, nämlich Bassist Magnus Rosén und Gitarrist Stefan Elmgren. Diese Lücken wurden längst wieder ausgefüllt und mit Fredrik Larsson (b) kam gar ein ehemaliger Bandmember (1994 - 1997) wieder zurück. Der zweite Gitarrist Pontus Norgren (neben dem letzten, verbliebenen Gründungsmitglied Oscar Dronjak) hat sich inzwischen bestens integriert und HammerFall besitzen seither wieder die Schlagkraft von früher. Dies spürte man von der ersten Sekunde an, als die Schweden auf die Bühne stürmten und sehr groovig mit «Punish And Enslave» in den Set einstiegen, bezüglich der ursprünglichen Running Order jedoch mit etwas Verspätung. Weniger Freude am Beginn hatte allerdings Frontmann Joacim, dessen Mic seinen Dienst zunächst mal verweigerte. Dieses Problem, begleitet von einer ärgerlichen Miene des Sängers, liess sich dann zum Glück aber bald beheben. Doch es drohte weiteres Ungemach, denn kaum war meine Fotosession nach den ersten drei Songs um, kamen erste Regentropfen im Emmental auf. Sofort hatte ich das Bild von Jonschwil im Kopf, zumal zwischen der Wiese (wo mein Auto stand) und dem Festival-Gelände der offizielle Camping-Platz durchquert wurde. Trotz weiterem Nass von oben, hielt sich das Ganze zum Glück in Grenzen, wobei die Sitztribüne dann relativ schnell entvölkert war. Die Band liess sich von all dem jedoch überhaupt nicht aus dem Konzept bringen und spielte insgesamt einen eher midtempolastigen Set, der mich deswegen wirklich positiv überraschte! Die zur Verfügung stehende Stunde wurde, wie zuvor auch schon, optimal ausgenutzt und die Nordländer hatten am Schluss ihres Sets bestimmt einige Fans dazu gewonnen! Dabei störte es überhaupt nicht, dass die eigentlich sonst gewohnten Bühnenaufbauten gänzlich, respektive umbaubedingt, fehlten.

Twisted Sister
Ich frage mich heute noch, wie das OK die amerikanische Kult-Band überhaupt nach Huttwil lotsen konnte! Doch die Freude über die blosse Ankündigung und dem tatsächlichen Aufmarsch überwog dann schnell einmal jede Skepsis zu dieser Situation! Es war so zu sagen eine Art Generalprobe für den bevorstehenden Headliner-Auftritt eine Woche später in Balingen (D) am BYH!!!-Festival. Des Weiteren war der Rock- und Metalpresse ja zu entnehmen, dass Dee Snider & Co. nicht mehr gross Bock auf das ständige Umherreisen haben und schon nur deshalb musste man sich die Boys zu Gemüte führen! Aufgrund des Festivals und dass danach ja noch Gotthard kamen, musste man annehmen, dass Twisted Sister ohne grösseren Show-Faktor bezüglich der Kleider, Schminke und Haare auf die Bühne steigen würden. Und so kam es dann auch..., lediglich Dee Snider hatte sich noch einige Haar-Extensions einflechten lassen, aber ansonsten gab es in erster Linie Musik pur und dies nicht zu knapp! Zudem standen ja mit Jay Jay French(g), Eddie Ojeda (g), Mark Mendoza (b) und A.J. Pero (d) alle Original-Mitglieder auf der Bühne! Das bürgte natürlich für den unverfälschten wie unvergleichlichen Sound der Amerikaner. Frontsau Dee legte wie erwartet von der allerersten Sekunde an los wie ein Eilzug und man musste sich wirklich bald verwundert die Augen reiben, um erstaunt fest zu stellen, wie viel Energie da noch locker freigesetzt werden konnte. Die Party nahm so ihren Lauf, aber ich hatte mehrmals das Gefühl, dass das anwesende Publikum durch diese Energie-Attacke regelrecht über-rumpelt wurde. Klar war die Stimmung gut, zeitweilen sogar sehr gut, aber verglichen mit den kultigen Hammer-Auftritten von Balingen, war hier in Sachen Begeisterung kaum was Ekstatisches auszumachen. Selbst der ungewohnt früh gespielte Übersong «We're Not Gonna Take It» vermochte den Mob nicht ganz aufzurütteln. Nichtsdestotrotz zogen Twisted 'Fuckin' Sister in Huttwil voll vom Leder und hinterliessen nur noch verbrannte Erde. Der Sound hinten in der Mitte auf Höhe des Mischpults klang für meine Ohren sehr gut, was tags zuvor schon bei Billy Idol festgestellt werden konnte. Die zwischenzeitlichen Ansagen des blond gelockten Wirbelwindes waren zwar weit weg von einer Ikone wie Paul Stanley von Kiss, aber während Letzterer meist nur von Alkohol und Sex spricht, erfuhr das Schweizer Publikum zu seiner Überraschung, dass Dee Snider eine Deutschschweizer Mutter hat (!!) und er eigentlich viel zu selten hier sei! Die Band war (nach dem Z7) eh erst zum zweiten Mal überhaupt bei uns zu Gast! Darum musste man dankbar sein für jede einzelne der 75 Minuten des Co-Headliners! Der überragende Schlusspunkt wurde schliesslich mit einer atemberaubenden Version von «Long Live Rock'n'Roll» zu Ehren des am 16. Mai verstorbenen Ronnie James Dio (R.I.P.) gesetzt. Zeitweise hatte man fast das Gefühl, der Meister himself sei auf der Bühne gestanden. Die Hommage strahlte wirklich was Magisches aus und man konnte regelrecht fühlen, dass der Geist von Ronnie gerade an diesem Ort war.

Gotthard
Auch wenn es jetzt hart klingt, aber eigentlich hätte das Openair nach Twisted Sister bereits beendet sein müssen, denn was will man noch nach so einer Wahnsinns-Show der Amis runter reissen? Zudem kommen Gotthard bei mir in der jüngeren Vergangenheit immer weniger an! Der livehaftige Peak wurde eigentlich spätestens im Dezember 2005 erreicht, als die Schweizer das Hallenstadion gefüllt und wirklich einen saustarken Auftritt hingelegt hatten. «Domino Effect» (2007) war gewiss kein Ausfall, aber der kompositorische Glanz und Biss der früheren Jahre hat klar nachgelassen und man wandelt schleichend immer mehr auf den Spuren von Bon Jovi, wenn auch nicht so soft zum Glück. Immerhin klingt das neuste Opus «Need To Believe» (2009) mehrheitlich recht knackig (obwohl es gleichzeitig dazu auch Stimmen gibt, die an dieser Stelle monieren, dass der Sound total überladen sei) und dass der Chart-Thron der CH-Hitparade regelmässig erklommen wird, ist ebenfalls Tatsache. Trotzdem "langweilen" mich die Konzerte von Gotthard zunehmend, was wohl auch damit zu tun hat, dass die Schweizer mittlerweile einfach zu mainstreamig geworden sind und das Publikum entsprechend auch. Natürlich sind die Balladen spitzenmässig, aber ohne Steve Lee wären diese erstens nur halb so gut und zweitens kann es doch nicht sein, dass viele Leute nur auf «Heaven» warten. Punkt 22.00 Uhr stieg der Headliner auf jeden Fall sichtlich motiviert auf die Bühne und vor dem unter anderem für diesen Auftritt reaktivierten, alten Bühnen-Dekor der «Lipservice»-Tour legten Steve Lee und seine Mannen kraftvoll los. Ungewohnt früh im Set kam «Hush», was die Stimmung in Huttwil umgehend ansteigen liess. «Top Of The World» geriet auch ganz gut und danach gab es eine feine Balladen-Triplette, die beinahe schon andächtig wirkte. Steve Lee sang des Weiteren ohne Fehl und Tadel und die beiden Gitarren von Leo und Freddy waren angenehm laut abgemischt. Hena's Drum hingegen klang total pappig, also echt grottig und wenn ich schon beim Rummosern bin, dann sollte sich der liebe Marc mal etwas anders einkleiden, denn der ewige "Holzfäller aus Kanada"-Look ist einfach nicht sexy! Match-Winner des Abends war dann klar «Shangri La», der Opener der neuen CD. Die schon fast obligaten Solo-Parts von Leo, Freddy und Steve waren soweit stimmig und nicht zu ausufernd. Die Drum-Battle zwischen Steve und Hena wurde hingegen aus technischen wie örtlichen Gründen ausge-lassen, was aber nicht weiter tragisch war, denn wenn man diese Einlage ein paar Mal gesehen hat, verliert sie rasch ihren Reiz. Ein weiteres Highlight war schliesslich «Sister Moon», doch leider verzichtete man heute Abend auf «Firedance», das eine Woche später in Lugano gespielt wurde! «Anytime Anywhere» und das mittlerweile total abgelutschte «Mighty Quinn» Cover beendeten knapp vor Mitternacht ein unter dem Strich ohne Zweifel tolles Konzert. Trotzdem denke ich mit etwas Wehmut an die 90er Jahre zurück, als Gotthard wirklich noch mehr Saft in den Knochen hatten und die Konzertsäle zum Kochen brachten.