Livereview: Jon Oliva's Pain - Circle II Circle - Need - Neverland
13. Oktober 2010, Pratteln - Z7
By Roger W.
Es war ein Konzert, das bereits einen Tag vor dem eigentlichen Auftritt begann, denn mit einem Newsletter informierte das Z7, dass als Vorband von Jon Oliva niemand Geringerer als Circle II Circle als zusätzliche Vorband verpflichtet werden konnte. Für Savatage-Kenner ging damit ein kleiner Traum in Erfüllung, handelt es sich bei Circle II Circle doch um die Soloband von Ex-Savatage Sänger Zak Stevens. Zusammen mit dem langjährigen Savatage-Sänger, Gründer und Songschreiber Jon Oliva versprach der Anlass also das zu werden, was sich die Besucher sehnlichst wünschten: Ein Abend voller Savatage-Klassiker, gesungen von den beiden Original-Stimmen. Da Jon Oliva zudem mit Neverland und Need zwei vielversprechende Newcomer mit an Bord hatte, stand einem niveauvollen Headbeanger-Abend nichts mehr im Wege.

Neverland

"Unsere Band ist der Beweis, dass Türken und Griechen friedlich zusammen leben können!" Mit dieser Aussage machte sich Iris Mavraki in der Mitte des Konzertes viele Freunde. Neverland funktionieren aber auch musikalisch ausgezeichnet. Ihr progressiver Power Metal hat definitiv Eier und die Gitarren-Soli wirkten wohl platziert, melodisch und vor allem songdienlich. Ebenso mit Bedacht eingesetzt wurden die Frauen- und die Männerstimme. Optisch wirkte das Ganze zwar noch ein wenig verhalten, das Potenzial war aber klar erkennbar. Nur komisch, dass die Band trotz coolen, eigenen Liedern zum Schluss ohne Sängerin den Metallica-Klassiker «Master Of Puppets» motiviert in die Reihen prügelte. Dieser krasse Stilwechsel wäre nicht nötig gewesen. Bleibt zu hoffen, dass uns Neverland bald mit mehr Selbstbewusstsein wieder beehren und die Fehler bis dann ausgemerzt sind.

Need
Man könnte dieses «Master Of Puppets» aber auch als stilistischen Brückenschlag zu den nachfolgenden Need betrachten, denn die Griechen präsentierten einen Heavy Metal, der am ehesten an Fear Factory erinnerte. Sehr heftig ballernd, stoisch und fast elektroid sorgten Need für die (un)nötige Abwechslung im Abendprogramm. Sehr engagiert und ausge-zeichnet eingespielt, waren Need eine Herausforderung für das Publikum. Wer ob dem Geprügel nicht nach draussen ging, erlebte beim genauen Hinhören eine groovige Band, mit abwechslungsreichen stilistischen Ausflügen, melodischen Soli und einer Stimme, die mühelos von clean auf Geschrei wechseln konnte. Auch hier bewegte sich nur Sänger Jon V., der noch am ehesten etwas Charisma versprühte. Der Rest der Band blieb bis auf die Fettleibigkeit des Gitarristen belang- und gesichtslos. Bei der Ballade «In Between» erzeugte Jon V. erstmals Gänsehaut an diesem Abend. Weitere Sympathie-Punkte holte er sich mit seinem T-Shirt, das den verstorbenen Bruder von Jon Oliva, Savatage-Gitarrist und Mitgründer Criss Oliva zeigte. Daher erstaunte es auch nicht, dass Need zum Schluss eine eigenwillige Version von Savatage's «Jesus Saves» intonierten. Damit schienen allerdings viele Zuhörer überfordert. Zudem verspielte sich die Band mit dem in diesem Song fehlenden Groove ebenfalls Vieles. Insgesamt also ein zweischneidiger Auftritt.

Circle II Circle
Ein kleiner Dämpfer gab es gleich zu Beginn des Auftritts von Circle II Circle: Zak Stevens kündigte an, dass er sich heute auf neues Material konzentrieren wolle. Die Fans trauten ihren Ohren kaum, und hofften in den nächsten Minuten, dass der Sänger, der zwischen 1992 und 2000 immerhin vier Savatage-Alben mit seiner Stimme veredelte, doch noch seinem alten Brötchengeber huldigen würde. Zuerst galt es nun aber, sich mit dem neuen Circle II Circle-Album auseinander zu setzen. Der Titelsong «Consequence Of Power» ging gut ins Ohr, während der Rest des Materials, wie in den Wochen nach dem Konzert festgestellt, beim ersten Hören Schwierigkeiten verur-sachten. Die Stimmung im Publikum war deshalb nicht gerade euphorisch, obwohl der Amerikaner immer wieder mit unglaublich präzisen, kraftvollen und hohen Schreien bewies, dass er zweifellos zu den Besten seines Faches gehört. Einen Trost auf eine andere unglaubliche, aber leider kürzlich tragisch verstummte Stimme, sprach Bassist Paul Steward aus. Die Ballade «Blood Of An Angel» widmete er Steve Lee. Paul's Ehrerbietung wirkte wie eine Herzensan-gelegenheit und die Schweiz fühlte sich für ihren berühmten Ex-Mitbürger geehrt. Die nächste Ansage gehörte wieder Zak Stevens, der aber durch den Schlagzeuger gestoppt wurde. Dieser zählt den Abschluss des Konzerts an, der endlich die Stimme mit den richtigen Liedern verband. «Taunting Cobras» groovt live immer noch 100 mal mehr als auf CD und «Edge Of Thorns» ist nicht nur das erste Lied auf der ersten von Zak eingesungen Savatage-Platten, sondern auch ein Klassiker par excellence. Das Publikum ging endlich steil ab und spekulierte in der anschliessenden Pause, ob Zak wohl bei Jon Oliva ebenfalls auf der Bühne erscheinen würde.

Jon Oliva’s Pain
Mit einem kleinen Informationsvorsprung gegenüber dem restlichen Publikum konnte ich bereits vor dem Konzert ahnen, dass der Auftritt von Jon Oliva zwar wie immer unglaublich, aber nicht ohne Schwierigkeiten werden würde. Der Sänger hatte sich nämlich eine fiese Erkältung eingefangen, die seine Stimme arg in Mitleidenschaft zog. «Festival» vom gleichnamigen eher schwachen neuen Jon Oliva’s Pain-Album eröffnete den letzten Reigen. Das anschliessende «Hounds» von «Gutter Ballet» liess den durchschnittlichen Beginn gleich vergessen. Bei «Hounds» klang Jon Oliva heute fies, bedrohlich und diabolisch, die Riffs und laut-leise-Wechsel elektrisierend. Die Schreie gingen durch Mark und Bein. «Hounds» wurde zur musikalischen Achter-bahn und das während ich mich eigentlich aufs Fotografieren konzentrieren musste. Ent-spannen konnte ich mich bei den nächsten beiden Liedern von «Festival», welche ohne die tolle Band und die Ausstrahlung von Jon Oliva in der Bedeutungslosigkeit verloren gegangen wären. Konnte er seine Stimmte bisher einigermassen in Form halten, gab sie ab «Agony And Ecstasy» vom «Streets» Sava-Album laufend nach. Da der Meister aber generell heiser klingt, störte dies noch wenig, so dass auch «Sirens» zum Genuss wurde.

Auffallend im Vergleich zu früheren Auftritten war, dass Jon Oliva relativ oft seinen Flügel verliess und mit dem Publikum und seinen Musikern Spässe machte, während er gleichzeitig sang. Die Bandatmosphäre schien ausgezeichnet. Auch dann, wenn Jon Oliva seinen neuen Bassisten mit den Worten «Jason has more fun than his wife knows» oder den richtig fetten Gitarristen Matt als den «sexiest guy in the world» vorstellte. «Ghost In The Ruins» wurde danach zu einer Gitarren-Gefrickel-Version ausgebaut, bei der beide Gitarristen ihr Können bewiesen, dabei aber das Mass verloren und gegen Schluss nur noch langweilten. Für die unsterbliche Halbballade «Believe» holt Jon Oliva Need Sänger Jon V. auf die Bühne. Dabei gestand er, dass er dessen eigenwillige Version von «Jesus Saves» mochte, was den Need-Sänger vor Ehrerbietung fast im Boden versinken liess. Jon V. sang danach die erste Strophe von «Believe», bevor die beiden das Lied als Duet weiter führten. Dabei kackte Oliva's Stimme dann leider völlig ab. «Believe» vom Mountain King in nur einer Tonlage geröchelt, löste bei mir zum ersten Mal überhaupt(!) keine Gänsehaut mehr aus. Jon Oliva handelte anschliessend richtig, und sang auch «Gutter Ballet» zusammen mit dem Need-Shouter. Und wo blieb Zak Stevens? Der kam schliesslich beim finalen «Hall Of The Mountain King» doch noch auf die Bühne und übernahm den Gesang nun ganz. Nicht wenige Träume wurden damit wahr und durch die Umarmung der beiden Savatage(r) in pure Freude umgewandelt. Fazit: Es war der im Vorfeld erwartete, unvergessliche Konzertabend, auch wenn sich mit dem Schlusssong noch eine weitere Tatsache offenbarte: Jon Oliva hatte heute die Songs, Zak Stevens die Stimme dazu.