Livereview: Disturbed - Shinedown
24.10.2008, Volkshaus Zürich
by Kissi – Photos by Roxx
«Lieber spät als nie!» – Redewendungen können noch so abgelutscht und verbraucht klingen, oftmals haben sie etwas Wahres an sich und passen auf dutzende Situationen. So auch auf das Gastspiel von Disturbed. Eigentlich schon für den Juli angekündigt, schafften es die amerikanischen Megasellers erst kürzlich, den Weg in die Schweiz zu finden. Nachtragend schienen die Fans der Band aber nicht im Geringsten zu sein, denn die «Verstörten» (so die Übersetzung des Bandnamens) zogen Horden von jung bis alt ins ehrwürdige Zürcher Volkshaus, welches infolgedessen tobte wie schon lange nicht mehr. Dies nicht nur beim etwas enttäuschend statischen Hauptact, sondern auch bei den um Längen agileren Youngsters von Shinedown. Zieht man das unverständliche Rauchverbot und dessen mir immer noch schleierhafte Gründe ab, so darf man das nächste abgedroschene Sprichwort bringen: «Ende gut, alles gut!»

Shinedown
Ist man das erste Mal in einem Land, dann freut man sich gewaltig. Shinedown, die in den USA schon seit einigen Jahren unzählige Jugendliche zum Abgehen bringen, sind in Europa für Viele noch ein unbeschriebenes Blatt. Um dies zu ändern liess der Fünfer aus den Südstaaten vom ersten Ton von «Devour» an nichts anbrennen und moshten bzw. zappelten wie die Irren über die Bühne. Fronter Brent Smith zeigte sich dabei stimmgewaltig wie auf Scheibe und intonierte gerade groovende Tracks von «Us And Them» (2005) wie grandiose «Heroes» als wäre er ein zweiter Chris Cornell. Das Publikum hätte derweil nicht dankbarer sein können und feierte jeden Song, auch wenn für die meisten wohl vorher ungehört, ab. Den Enthusiasmus der Menge lobt Smith, der insgesamt fast ein wenig zu viel Smalltalk betreibt, daraufhin mit der Beteurung, dass die Schweizer «das beste Publikum Europas» seien, was wiederum frenetisch bejubelt wurde. Nicht zuletzt die Setlist dürfte sich dafür verantwortlich zeichnen, verzichtete man bis auf das gemässigtere «Save Me» und das melancholische, semiballadeske «Second Chance» von der aktuellen Platte «The Sound Of Madness» fast ausschliesslich auf ruhigere (man könnte sagen Teenie-) Töne und liess es mit «Cyanide Sweet Tooth Suicide» und «Fly From The Inside» doch so richtig krachen. Was geschieht, wenn man infolge Zeitknappheit keinen Soundcheck machen darf, manifestierte sich leider im Sound: Wummernde, undurchsichtige Gitarren stellten den Wehrmutstropfen eines ansonsten überaus gelungenen Schweiz-Debüts dar, welches wohl nicht nur eine handvoll Leute am 09.01.09 ins Abart wandern werden lässt, wo Shinedown ihre erste Headliner-Show bei uns spielen werden.

Setlist Shinedown:
Devour – Heroes – Cyanide Sweet Tooth Suicide – Sound Of Madness – Left Out – 45 – Save Me – Second Chance – Fly From The Inside

Disturbed
Eine zweischneidige Angelegenheit waren darauf leider Disturbed. Noch euphorischer als zuvor begrüsste das Publikum die langerwartete Ausnahmeband, sodass schon vom eröffnenden «Perfect Insanity» an geklatscht, gesungen und gehüpft wurde was das Zeug hielt. Anders als bei Shinedown jedoch blieb die Band hinter der Bewegungsfreiheit ihrer Fans zurück. Bis auf Frontglatze David Draiman liess man es nämlich eher behäbig zu und her gehen, schlenderte ein wenig hin und her und konnte sich meist nicht einmal dazu überwinden einmal richitg den Kopf auf und ab zu schütteln. Mehr oder weniger wettgemacht wurde dies von einer mächtigen Licht- bzw. Bühnenshow: Eine perfekt auf rhythmische Nummern wie «Liberate» oder das mächtige «Just Stop» (von der meines Erachtens immer noch besten Disturbed-Scheibe «Ten Tousand Fists») abgestimmte Lichtanlage (inklusive dem momentan so beliebten, epileptischen Blitzlicht) beleuchtete stimmungsvoll eindrückliche Backdrops, die von zeit zu zeit ausgewechselt wurden. Der wahre Dämpfer des Abends war aber nicht die fehlende Agilität der Band, sondern der zu Beginn echt klägliche Sound. Zu dürre Gitarren, zu dürre Bassdrum, von einem Bass zuerst gar keine Spur und der dünne Gesang von Draiman – da entwickeln Nummern wie «Indestructible», «Prayer» oder «Deify» ab Konserve eine ganz andere Gewalt. Das wie aus dem Häuschen wirkende Publikum schert das jedoch wenig. Zu älteren Tracks wie «Stupify» wird tatkräftig mitgesungen, beim rasenden «Divide» tobt der Mob wie von Sinnen und beim heftigen Medley bestehend aus «Guarded», «Violence Fetish», «Criminal», «Devour» und «Meaning Of Life» ist auch der letzte Gast im Volkshaus pitschnass, egal ob er sich selber verausgabt oder einfach von anderen angeschwitzt wird. Gitarrist Dan Donegans Trägheit während dem ganzen Tohuwabohu zeigt dabei eines mal wieder ganz klar: die Songs machen die Sache aus. Umso besser der Song, umso schlechter darf das Stageacting sein, damit die Fans immer noch jubeln. Disturbed hat diese Songs und vielmehr nach diesen und weniger nach einer überzeugenden Band schreit das Publikum, als nach «The Game» der vorläufige Schlussstrich gezogen wird. «Inside The Fire» eröffnet die hitgeladene Zugabenpalette, gefolgt von «Stricken» (fulminant!), einem kurzen, knackigen Drumsolo und dem berauschenden, endgültigen Finale «Down With The Sickness». Um die Fans, die nach 80 Minuten immer noch nicht genug haben, dann endgültig aus der Puste zu bringen, wird von Draiman angeführt das Volkshaus noch schnell in seinen Grundmauern erschüttert, indem alles, was auf dem Balkon ist (der auch überraschend mitgemacht hat bei der ganzen Sause) zum Stampfen animiert wird. Danach ist aber wirklich Schluss im Schacht und man ist sich als Rezensent unschlüssig, was man von dieser Show nun halten soll. Eines steht aber fest: ein solch energiegeladenes Publikum hab ich schon lange nicht mehr gesehen. Dieses hatte definitiv Spass und genau das ist ja das soll ja erreicht werden.

Setlist Disturbed: Perfect Insanity – Liberate – Just Stop – Voices – Indestructible – Prayer – Land Of Confusion – Torn – Deify – Stupify – Divide – Hunted – Medley (Guarded, Violence Fetish, Criminal, Devour, Meaning Of Life) – The Game
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Inside The Fire – Stricken – Drum Solo – Down With The Sickness