Livereview: Destruction - Flotsam And Jetsam - Enforcer - Nervosa

15. September 2016, Pratteln – Z7
By Rockslave
Wenn die Farbenpracht in den Wäldern die herbstliche Jahreszeit charakterisiert und diese als Vorbote des nahenden Winters fungiert, fangen die Leute in der Regel an, ihre Gärten und Balkone wintertauglich zu machen. Das heisst es wird ab- und zugedeckt, was das Zeug hält und normalerweise erst wieder im Frühling ausgepackt. Das gilt freilich nicht für die Musikszene, die eigentlich keine solchen „Pausen“ kennt und besonders im letzten Quartal, oft einher gehend mit neuen Releases, nochmals ausgiebig die Bühnen der Welt beehrt. Ein in dieser Hinsicht ziemlich leckeres Package mit Destruction als Headliner und den grandiosen Flotsam And Jetsam als eher selten gesehene Begleitband war mitte September zu Gast im Z7. Damit das Ganze noch etwas mehr potenzielle Besucher generiert, wurde das Tour-Billing mit zwei weiteren Combos aufgestockt. Zum einen sind das Enforcer aus Schweden und die brasilianischen Thrash-Girls von Nervosa. Letztere hatte ich 2015, zusammen mit Headliner Hirax, im Coq d’Or in Olten gesehen. Dort hinterliessen sie einen starken Eindruck und haben mit «Agony» ein neues Album am Start. Weder das eine noch das andere trifft bei Enforcer zu.

Nervosa

Der Nachteil bei vier Bands zusammen auf einer Tour, die so natürlich nicht unter dem Banner eines Festivals läuft, ist, dass die jeweils erste Band in der Regel relativ früh auf die Bühne steigen muss und da erfahrungsgemäss noch längst nicht alle Fans in der Halle sind. Zusammen mit manchmal falsch kommunizierten Anspielzeiten kann es deshalb vorkommen, dass sich beim Opener erst ein paar Nasen vor der Bühne einfinden, was im Fall vom Z7 dramatische Ausmasse im negativen Sinne annehmen kann. Dass sich dies stimmungsmässig mitunter auch auf die Bands abfärben kann, kommt vor, ist aber die Seltenheit. Das sahen auch Nervosa so, allen voran die quirlige Bassistin und sexy Frontfrau Fernanda Lira, die bei uns auch diesmal ein Coroner-Shirt trug. Zusammen mit den Kollginnen Prika Amaral (g/v) und der Tourdrummerin Samantha Landa legte sie pünktlich um 19:15 Uhr los. Der brachial vorgetragene Thrash Metal, untermalt mit ordentlich rauen Vocals, gewährte keine Anwärmphase. Von null auf hundert knüppelte sich das Trio durch seine bisherigen zwei Studioalben hindurch. Während die agile und posenreiche Performance keinerlei Anlass zur Kritik zulässt, vermochten die Songs leider nicht so zu punkten. Was schon beim Debüt über die Distanz auffiel, nämlich der Mangel an zündenden Ideen und überraschenden Arrangements, macht sich leider auch bei der zweiten Langrille bemerkbar. Die daraus resultierende Sperrigkeit geht auf Kosten der Eingängigkeit, was letzten Endes bedeutet, dass die Mucke, da zu schablonenhaft, bald einmal langweilig wird. Nervosa liessen dies dank der halben Stunde Spielzeit zwar nicht wirklich aufkommen, aber bestünde hier nicht der Bonus der holden wie ansehnlichen Weiblichkeit, gepaart mit zweifellos technischem Können, wird es schwierig, sich hier künftig mit Konzerten über die Langdistanz zu profilieren. Nichtsdestotrotz gab es durchaus den einen anderen Moment, der musikalisch(e) Akzente zu setzen vermochte. Fragt sich nur, ob das so ausreicht und dereinst mal ein spürbarer Schritt nach vorne realisiert werden kann. Das fanfreundliche Verhalten am Merch-Stand sorgte immerhin für weitere Pluspunkte.


Enforcer
Für Finnland gingen die inzwischen verblichenen Machine Men an den Start, Spanien brachte Tierra Santa hervor und die Schweiz hat hier mit Sin Starlett einen spitzigen Pfeil im Köcher. Gemeint sind Bands, die sich vor allem dem Sound von Iron Maiden verschrieben haben und mitunter darauf aufbauend ihr eigenes Ding durchziehen. Enforcer sind ebenfalls auf dieser Schiene positioniert und stammen aus Schweden. Was Multiinstrumentalist und Sänger Olof Wikstrand 2004 noch als Einmann-Projekt losgetreten hat, ging vor zehn Jahren erstmals als Band an den Start. Das ungestüme Debüt kam 2008 heraus, aber besser in Szene setzen konnten sich Nordländer mit dem Zweitling «Diamonds», der zwei Jahre später veröffentlicht wurde. Dort wurde auch meine Wenigkeit auf die Jungs aufmerksam, und live sah ich sie zuletzt 2013 in Aarau als Support von Angel Witch und Grand Magus. Die damalige persönliche Bilanz fiel unter dem Strich eher ernüchternd aus und dieses Damokles-Schwert hing auch heute Abend über den Köpfen der Schweden. Seit der zweite Gitarrist Adam Zaars 2011 von Bord ging, schrumpften Enforcer zum Quartett und das sind sie immer noch. Mit «From Beyond» kam letztes Jahr das vierte Studio-Album heraus, gefolgt von einer Livescheibe. Es ist unbestritten, dass die Nordlichter inzwischen eine entsprechende Fanbase aufgebaut haben, aber gemessen an dem, was Sabaton im gleichen Zeitraum erreicht haben, steht man gelinde gesagt immer noch ganz unten, am Fusse des Berges. Unter anderem ein Grund dafür ist das zu eintönige Songwriting, das sich aktuell nicht gross vom Debüt unterscheidet, sprich speediges Maiden-Geballer mit dem stets sirenenhaften Gesang von Mr. Wikstrand. Das mag ja eine Weile cool sein und verpackt in eine mitreissende Performance, wie heute Abend auch geschehen, können mehrheitlich die jüngeren Fans durchaus abgeholt werden. Gemessen an der wirklich guten Stimmung war das auf jeden Fall so. Persönlich wurde ich bald bestätigt und nervte mich zunehmend ob dem Gejodel von Olof. Ich glaube das Kapitel Enforcer wird langsam aber sicher abgehakt, je länger…, je mehr!


Flotsam And Jetsam
Es gab mal Zeiten, wo diese Band sehr oft bloss als diejenige Truppe bezeichnet wurde, wo ein gewisser Jason Newsted (Ex-Metallica) mal in den 80ern in die Basssaiten gehauen hat. Des Weiteren wurden das dazugehörende Debüt-Album «Doomsday For The Deceiver» (1986) und der direkte Nachfolger «No Place For Disgrace» (1988) zurecht als zeitlose Genre-Juwelen gehandelt. In den Jahren danach lief es jedoch nicht mehr so rund bei den Amis, und leider wurde dann zum Beispiel das Hammer-Album «Quatro» (1992) trotz Stilkorrektur letztlich ein weiteres beklagenswertes Opfer der einsetzenden Grunge-Welle. Die Jahre danach waren gekennzeichnet durch einige Lineup-Wechsel, Drogen und mehrere Alben, die damals abkackten, aber heute zumindest teils in einem anderen Licht dastehen. Ganz weg war die Truppe aber nie und Alben wie «Unnatural Selection» (1999) oder «The God» (2010) als einzelne Exponate in meiner Tonträgersammlung lassen erkennen, dass der typische Flotsam-Sound, getragen von den Vocals von Eric A.K. auch bei mir nie dem totalen Untergang geweiht war. Die Die-Hard Fans kamen 2008 überdies in den Genuss, dass die Band aus Phoenix das „Keep It True“-Festival in Lauda-Königshofen (D) headlinen konnte, und letztes Jahr bereicherte man ausserdem das Billing des „Rock Hard“-Festivals in Gelsenkirchen. Allerspätestens mit dem aktuellen selbstbetitelten Hammerteil sind die Jungs kompositorisch auf jeden Fall wieder da, wo sie hingehören, nämlich ganz weit vorne. Schade nur, dass dies vorderhand nicht mehr Leute erreicht, aber so eine Tour wie die zusammen mit den Altmeistern von Destruction ist das beste Gegenmittel dazu. So entwickelte sich der heutige Auftritt des eigentlichen Co-Headliners hin zu einem Triumphzug sondergleichen. Die Tightness war zum Niederknien geil und die Mischung aus neuen und alten Songs wie Klassikern fliessend. Das derzeitige Line-Up mit Eric 'AK' Knutson (v), Steve Conley (g), Michael Gilber (g), Jason Bittner (d) sowie Michael Spencer (b) harmoniert bestens, und so schüttelte das eingespielte Kollektiv einen Kracher nach dem anderen aus dem Ärmel. Man bemerkte sofort, dass die Chose mächtig nach vorne schob und das Bandfeuer mehr denn je am Lodern ist. Die Reaktionen der Fans waren dann auch entsprechend recht euphorisch. Bleibt zu hoffen, dass wir diesen Genre-Leckerbissen in der Schweiz baldmöglichst wieder zu Gesicht und Ohren bekommen.


Destruction
Nach dem grandiosen Auftritt von Flotsam And Jetsam konnten sich einige Besucher nicht wirklich vorstellen, dass dies noch übertrumpft werden kann. Doch wenn der Headliner Destruction heisst und so ein Sahneteil wie den neusten Streich namens «Under Attack», nota bene das vierzehnte Studio-Album am Start hat, muss diese Einschätzung ziemlich schnell in die Waagschale gelegt werden, und man wird dann schon bald sehen wie hören, was passiert. Mainman Schmier und sein unerlässlicher Sidekick Mike sind seit 1982 zusammen aktiv und kein bisschen müde, wobei die Tourabstecher nach Übersee, sprich Südamerika schon nicht mehr so einfach wie früher weggesteckt werden. Solange die Fans dort aber immer noch nach den deutschen Thrash-Icons lechzen und die Situation so ist, wie sie sich gegenwärtig präsentiert, werden Schmier & Co. bestimmt nicht aufstecken und weiter voll auf die Tube drücken. Da ist der Album-Titel natürlich Programm und lässt sich vorzüglich umsetzen. So präsentierte sich entsprechend auch der Bühnenaufbau, und es war abzusehen, dass im Verlauf des Konzertes die Farbe Rot einen zentralen Part einnehmen wird. Als Opener des heutigen Thrash-Orkans fungierte gleich «Under Attack», der Titeltrack der neuen Scheibe und offenbarte gleich die volle Breitseite, was die Deutschen schon seit den Anfängen als Genre-Messlatte gesetzt haben. Dabei kam auch sofort wieder zum Tragen, dass diese Band am besten als Trio fungiert, was ja, wenn man die Bandgeschichte kennt, nicht immer der Fall war. Die einzige Konstante seit der Gründung ist nämlich Gitarrist Mike Sifringer, während Kollege und Frontmann Schmier einen Break von zehn Jahren zwischen 1989 und 1999 zu verzeichnen hat. Und kaum wer wird sich noch daran erinnern, dass der Schweizer André Grieder (Poltergeist) das Album «Cracked Brain» von 1990 eingesungen hat. Seit 2000 und dem Comeback-Album «All Hell Breaks Loose» sitzt der grosse Hüne am Bass jedoch wieder fest im Sattel, und seit sechs Jahren ist mit Drummer Vaaver als insgesamt fünftem Musiker hinter den Kesseln ebenso wieder Ruhe und Konstanz eingekehrt. Musikalisch weichen Destruction auch im Jahre nicht von ihren prägenden Roots ab, doch während das eine oder andere Album der jüngeren Vergangenheit gut, aber nicht überragend ausfiel, kann hier «Under Attack» voll punkten. Das Album verkörpert ein hohes Mass an kompositorischer Variabilität, die das Teil sehr ausgewogen wie gleichzeitig traditionell klingen lässt. Ein gutes Beispiel dafür ist «Pathogenic», das zu Beginn den gewohnten Speed bringt und hinten raus nach der Bass-Bridge in einen obergeilen Stampfer übergeht, bevor es zum Schluss wieder wie am Anfang bratzt. Dazu kommen frische Abrissbirnen wie «Second To None», die einen dank der fetten Produktion schon auf dem Tonträger wegpusten. Live kommt das Ganze natürlich noch ein Zacken heftiger, und diese Energie verströmten die alten Klassiker der Marke «Mad Butcher», «Life Without Sense» oder das unverwüstliche «Bestial Invasion» als letzte Zugabe ebenso, bevor der gute alte Frank Sinatra mit «Stranger In The Night» für ein schon fast erlösendes Outro sorgte. Unter dem Strich hiessen die Sieger von heute Abend jedoch Flotsam And Jetsam, wenn auch mit knappem Vorsprung, da Destruction aktuell stärker denn je sind!

Setliste: «Under Attack» - «Curse The Gods» - «Pathogenic» - «Nailed To The Cross» - «Mad Butcher» - «Dethroned» - «Life Without Sense» - «Total Desaster» - «Thrash Attack» - «Black Death» - «Invincible Force» - «Second To None» - «The Butcher Strikes Back» -- «Days Of Confusion (Intro)» - «Thrash Till Death» - «Eternal Ban» - «Bestial Invasion» - «Stranger In The Night (Outro)».