Livereview: Deep Purple
19. Februar 2006, Zürich Hallenstadion
By Rockslave
Wenn mir einer 1985 gesagt hätte, dass ich meine Lieblingsband über zwanzig Jahre später an gleicher Stelle wieder oder immer noch spielen sehen könne, ich hätte ihn für völlig plemplem erklärt. Klar war die Reunion in den 80ern emotional ungleich stärker, aber all die Jahre hindurch haben sich Deep Purple gehalten und vermögen immer noch tausende von Fans anzuziehen. Dass dies möglich ist, hat im Wesentlichen mit einem Mann zu tun, der seit mittlerweile auch schon wieder elf Jahren das heutige Gesicht der Rocklegende mitprägt: Steve Morse! Ohne ihn wäre kurz nach dem Split von Ritchie Blackmore Ende 1993 definitiv Schicht im Schacht gewesen. Dass sich inzwischen auch der Maestro der Hammond-Organ, Mr. Jon Lord, zurückgezogen hat, liegt dem Schreiber dieser Zeilen (und vielen anderen, vor allem älteren Fans) immer noch schwer auf dem Magen, aber wenigstens stammt sein Nachfolger Don Airey auch aus dem Umfeld, das Deep Purple umgibt, sprich Rainbow, Company Of Snakes und viele mehr. Der Rest mit den Urgesteinen Gillan/Glover/Paice vermag aber die Magie des Rock-Dinos immer noch aufrecht zu erhalten. Auch wenn nach "The battle rages on" musikalisch nichts mehr wirklich Weltbewegendes kam, versprühen die neueren Songs durchaus ihren Reiz. Es ist wie beim Wein: Je älter, je besser in Bezug auf die Glaubwürdigkeit als Band. Live waren und sind Deep Purple immer noch eine Bank, aber dass der heutige Abend derart gut werden würde, war nicht zwingend zu erwarten und überraschte nicht nur mich (angenehmst) als Fan der ersten..., oder sagen wir mal zweiten Stunde!

Konzertbillette sind eigentlich nicht nur dazu da, dass man Zutritt zur Halle hat, sondern sie taugen auch als Informationsträger. Unter anderem steht da drauf, wann die Tür geöffnet wird und das Konzert anfängt. Da ich dies nicht tat, respektive keines Blickes würdigte, kam es natürlich so heraus, dass ich meine Ankunft auf Konzertbeginn 20.00 Uhr ausgerichtet hatte. Das wiederum führte dazu, dass ich den Schweizer Support Gigi Moto glatt verpasste. Das war mir allerdings schnuppe, da ich lieber Alice Cooper (wie in Deutschland) voraus gesehen hätte. Aber nicht auszudenken, wenn mir dieser Fauxpas beim guten Alice widerfahren wäre! Puhhh, Glück gehabt. Damit war abzusehen, dass die Heimreise nach dem Konzert etwas früher angetreten werden konnte. Über Gigi Moto kann ich demnach rein gar nichts berichten, aber dem Vernehmen nach soll es (oder besser "sie") ganz ordentlich, aber nicht mehr gewesen sein.

Und dann ging es los mit dem Opener "Pictures of home". Ian Paice hämmerte seinen Beat zu Beginn (nach dem Intro) in unvergleichlicher Weise in das sehr gut gefüllte Hallenstadion, das beinahe ausverkauft war. Ein erster Augenschein liess schnell erkennen, dass das Publikum beileibe nicht nur aus angejahrten Retro-Hippies bestand, sondern dass sich auch sehr viele junge Fans darunter befanden, die während der Reunion-Tour von 1985 noch gar nicht erst geboren waren! Nach dem ersten Classix machte sich dann bei mir etwas Ratlosigkeit breit, da ich den nächsten Song nicht einordnen konnte..., zumindest wäre es mir mit Sicherheit so ergangen, aber Internet sein Dank (oder Fluch) hatte ich bereits ein paar Setlisten der laufenden Tour in der Hosentasche und wusste deshalb mit grosser Sicherheit, was wann kommen sollte. "Things I never had" war ursprünglich der Japan Bonus-Track des neuen Album's "Rapture of the deep" und dürfte kaum von der Mehrheit der Fans erkannt worden sein. Nanu? Ein guter neuer Song, der in unseren Breitengraden nur begrenzt verbreitet ist? Die Abhilfe war bereits im Angebot, denn die Tour-Edition DCD von "Rapture..." enthält "Things..." und auch den Blechbox Bonus-Track "MTV". Die Anschaffung dieses Teils nach dem Konzert war somit nur noch Formsache. Weiter im Programm ging es dann mit "Wrong man", einem ebenfalls neuen Track, der gar etwas "Perfect strangers"-Flair versprühte. Nach dem Bühnenbesuch von Mechaniker Ted wurde mit "Living wreck" ein uralter Heuler vom "In Rock"-Album (1970) reaktiviert, der wie die berühmte Faust auf's Auge passte. Nach "Bloodsucker" und "Into the fire" (nebst "Speed king" und "Child in time") wagten sich Deep Purple nun an eine weitere geniale Perle aus ganz frühen Tagen, die nichts von ihrem Glanz eingebüsst hatte. Im Gegenteil..., es war einfach himmlisch, das noch miterleben zu können. Für mich fehlt jetzt nur noch "Flight of the rat", ein Song, der meines Wissens noch kein einziges Mal live gespielt wurde und es wahrscheinlich auch nie erleben wird. Tja..., schade eigentlich, denn erstens ist Setlisten-Bremser Blackmore nicht mehr da und zweitens wär's doch einfach geil und zudem bekäme Ian Paice eine Alternative für sein Schlagzeug-Solo! Je länger das Konzert dauerte, desto mehr tauten die Zuschauer auf. Egal, ob neuere Songs wie der Titeltrack, "Before time began" oder weitere Klassiker der Währung "Mary Long" gespielt wurden, respektive "Lazy" einfach nur glänzten, passte alles wunderbar zusammen. Einzig das Ausbleiben der Laser-Show wie früher zu "Perfect strangers" liess etwas Wehmut aufkommen. Die zweite Hälfte des Konzertes trug mit "Kiss tomorrow goodbye" den letzten Neu-Song zu Schau und danach war nur noch musikalisches Schaulaufen der Extra-Klasse angesagt: "Space truckin'", "Highway star" und..., logisch: "Smoke on the water", wo die Halle aus voller Kehle mitsang. "Hush" hinterliess die gleiche Wirkung, ehe "Black night" als letzte Zugabe ebenfalls nur zufriedene Gesichter zurück liess. Fazit: Der Altherren-Club lieferte bei verbessertem Neubau-Sound des ehrwürdigen Hallenstadions eine ihrer besten Performances ab, was am heutigen Abend massgeblich an der guten Stimme von Ian Gillan lag, der praktisch alle gefährlichen Klippen umschiffte, indem er wohl bewusst das weg liess, was er nicht mehr so wie in jungen Jahren bringen kann und alles andere dafür optimal performte. In dieser Form dürften noch ein paar (wenige) Jährchen anstehen, die nicht verpasst werden dürfen!

Set-Liste: "Pictures of home", "Things I never said", "Wrong man", "Ted the mechanic", "Living wreck", "Rapture of the deep", "Before time began", "Mary Long", "Contact lost/Solo Steve Morse/"Well dressed guitar", "Lazy", "Solo Don Airey", "Perfect strangers", "Kiss tomorrow goodbye", "Space truckin'", "Highway star", "Smoke on the water", "Hush/Drum-Solo Ian Paice", "Black night".