Szene! Judas Priest - «Firepower» im Kreuzverhör
26. Februar 2018

JUDAS PRIEST -
Firepower
Sony Music
Wenn die Metal-Götter von Judas Priest tatsächlich mal ein Album raus bringen, dann müssen wir da schon genauer hinhören. Deswegen wurde das neue Album einem Kreuzverhör unterzogen. Hier könnt Ihr nun die Meinungen von vier unserer Metal Factory Redakteure nachlesen.
 
By Mirko: Irgendwie hab ich gerade ein Flashback. Vor rund 21 Jahren erschien der Singletrack «Bullet Train» als Teaser für das erste Judas Priest Album ohne Rob Halford. Der stimmliche Wunderknabe Tim "Ripper" Owens hatte dessen schwieriges Erbe angetreten und machte zugegebenermassen einen erstklassigen Job, so überschlugen sich denn auch die Kritiken und das noch zu erscheinende Werk «Jugulator» wurde mit vielen Vorschusslorbeeren überhäuft. Als es dann endlich veröffentlicht wurde, gab es fast nur noch lange Gesichter. Fans wie Fachpresse konnten sich partout nicht mit dem sehr modernen –, schon fast Priest – untypischen Songwriting anfreunden. Der Rest ist Geschichte. Das vier Jahre später erschienene «Demolition» fiel trotz leichter Kurskorrektur ebenfalls durch, und Owens, der für die musikalische Neuorientierung der Priester am wenigsten konnte, musste gehen. Ähnliche Situation jetzt: Um das neue Werk «Firepower» schmackhaft zu machen, wird am 5. Januar 2018 der Videoclip zum Albumtrack «Lightning Strike» veröffentlicht, und augenblicklich bricht die gleiche Euphorie los wie damals, mit dem Unterschied, dass sie diesmal durchaus berechtigt ist. Unter den Fittichen des Producer – Duos Tom Allom und Andy Sneap haben Priest ein solides Stück Stahl geschmiedet, das dieser grossen Band in jeder Hinsicht würdig ist. Wir müssen nicht mehr darüber diskutieren, welche Bands die Grundlagen für das Genre gelegt haben, aber Fakt ist, dass erst Judas Priest den Heavy Metal in mancherlei Hinsicht nachhaltig geprägt haben, musikalisch und imagetechnisch. Und genau in diese Kerbe schlägt «Firepower». Euch erwartet eine knappe Stunde Vollbedienung, das ist Priest in Reinkultur.

Die Riffs sind griffiger denn je, nicht zuletzt dank Richie Faulkners Beitrag im Songwriting, Titel wie das bereits erwähnte «Lightning Strike», der Titeltrack oder «Necromancer» gehören genau zu jenen giftigen Nackenbrechern, wie man sie sich von dieser Truppe bis in alle Ewigkeit wünscht. Aber die drei alten und zwei nicht ganz so alten Herren sind nicht einfach auf Nummer sicher gegangen und haben ebenso leicht rockiges aber vor allem viel episches Material auf das Album gepackt. Einige Schreiberlinge gehen gar so weit zu behaupten, «Firepower» sei das beste Priest Album seit «Painkiller» und stellen es auf eine Ebene mit Meilensteinen wie «British Steel», «Screaming For Vengeance» und «Defenders Of The Faith». Mit solchen Vergleichen habe ich zwar etwas Mühe, da wir hier von völlig verschiedenen musikalischen Phasen der Band sprechen, aber Fakt bleibt, dass es die neue Scheibe härtetechnisch und kompositorisch locker mit den eben genannten Klassikern aufnehmen kann. Wenn auch nicht jeder Track das Prädikat "Supergeil" einheimsen kann, stehen diese schlicht guten Nummern in meiner Gunst immer noch über Simpel – Songs der Marke «Breaking The Law» und «Living After Midnight». Ihr könnt mich ja später noch dafür mit Schimpftiraden überziehen, aber ich habe bereits bei deren Erscheinen 1980 nicht wirklich begriffen, was an denen so toll sein soll, da hatte «British Steel» ganz andere Kaliber zu bieten. Aber das ist ein anderes Thema. «Firepower» ist ein absoluter Pflichtkauf, der gegenüber dem Vorgänger «Redeemer Of Souls» die Nase ganz leicht vorn hat, und auf dem Rob Halford wieder mal eindrücklich demonstriert, dass er mit 66 Jahren immer noch zu den besten seines Fachs gehört. Hört Euch nur mal das abschliessende, halbballadeske «Sea Of Red» an. Sollte dies in Anbetracht von Glenn Tiptons angeschlagener Gesundheit das letzte Priest Album sein, dann wäre das wirklich ein würdiger und erhabener Abgang.
Mirko B.
Punkte: 9.3 von 10

 

By Rockslave: Zwingend konnten die Fans der britischen Metal-Legende nicht davon ausgehen, dass es nach «Redeemer Of Souls» von 2014 noch ein weiteres Studioalbum geben wird. Auf der anderen Seite gab es da aber einen gewissen Richie Faulkner, der den Oberpriestern den erhofften Energieschub verpassen konnte. Die Konzerte der letzten Tournee überzeugten weitgehend, und selbst der Metal-God Rob Halford himself konnte dabei ebenso wieder punkten. Das Live-Album «Battle Cry» von 2016 holte aus den grundsätzlich guten aber nicht komplett unwiderstehlichen «Redeemer...»-Tracks noch eine Portion Schmiss heraus, und bei den Klassikern bewies der Nachfolger von K. K. Downing, dass er es definitiv drauf hat. Zudem dürfte Mr. Faulkner mitunter auch der Grund dafür sein, dass die Metal-Welt im Jahre 2018 wieder in ihren Grundfesten erschüttert wird. Allerdings schockierte unlängst bereits im Vorfeld der Veröffentlichung von «Firepower» am 09.03.2018 die Nachricht von Gitarrist Glenn Tipton, bei dem Parkinson diagnostiziert wurde! Was im Studio noch möglich war, wird für die anstehende Tour, bis auf auf wenige Teileinsätze, leider nicht mehr hinhauen. An seiner Stelle wird auf ausdrücklichen Wunsch Producer Andy Sneap (Hell) einspringen. Judas Priest ohne Tipton/Downing?! Das wird bestimmt nicht allen Fans gefallen, aber die neuen Songs sind einfach zu gut, um nicht auf den Bühnen der Welt zelebriert zu werden. Wer bei Metal Factory den Härtetest zu «Redeemer Of Souls» nachliest, wird bei mir eine Zehner-Rezi vorfinden, die im Nachhinein jedoch eindeutig zu hoch gegriffen war.

Das wurde mir schon nach dem ersten Durchlauf von «Firepower» klar, und nicht nur wegen der druckvollen Produktion von Andy Sneap. Vor allem Rob Halford liefert hier sehr beeindruckende Vocals ab, und davon profitiert das neue Material ungemein. Bereits der Opener und Titeltrack überrascht mit Tempo und «Painkiller»-Anleihen sowie ersten Hammer-Soli, was für ein Einstieg! «Lightning Strike» marschiert ebenso vorwärts und Rob Halford performt wie in seinen besseren Tagen. Die Gitarren-Arbeit von Tipton/Faulkner ist erste Sahne und spätestens beim treibenden Midtempo-Rocker «Evil Never Dies» und seinem geilen Double Bass Drum Refrain zerbröselt die aktuelle und ach so abgefeierte Accept-Scheibe «The Rise Of Chaos» zu Staub und Asche. Das epische «Never The Heroes» hätte auch HammerFall gut zu Gesicht gestanden und beim modern angehauchten «Necromancer» werden die Bluthunde von der Leine gelassen. Was soll ich sagen? Ich bin echt beeindruckt, vor allem von Halfords sackstarken Vocals, geniesse auch die nachfolgenden Songs und kann eigentlich kaum ein Haar in der Suppe finden. Getragen vom geilen Sound knallt ein Kracher nach dem anderen aus den Speakern. Wie bei «Redeemer Of Souls» gibt es mehr Groove als Tempo, aber diesmal wirkt der Metal-God wie dem Jungbrunnen entsprungen, und deshalb steht der Gesang stärker im Vordergrund, was beim zu Beginn halbballadesken Schlusssong «Sea Of Red» zum krönenden Abschluss von «Firepower» führt. Für die Höchstnote reicht es dennoch nicht ganz, da mir der absolute Killer-Song fehlt und zwölf anstatt vierzehn Songs (inklusive ein Intro) ausreichend gewesen wären. Dennoch sind Judas Priest, zusammen mit Saxon und Iron Maiden, nach wie vor die Gralshüter des britischen Heavy Metals.
Rockslave
Punkte: 9.0 von 10


 

By Tinu: Die britische Stahlschmiede hat sich in den letzten Jahren speziell auf dem Live-Sektor wieder ihren Platz im Metal-Olymp zurück erobert. Was bei den letzten Live-Shows, insbesondere von Sänger Rob Halford vollbracht wurde, war sensationell und suchte Seinesgleichen. Zusammen mit Richie Faulkner, er ersetzt den 2012 ausgestiegenen Gitarristen K.K. Downing, kam ein frischer Wind in die Band, welcher schon auf dem Studio-Vorgänger «Redeemer Of Souls» zu hören war. Dass man das nicht mehr ganz so neue Gitarrengespann nun leider nur auf dem neuen Tonträger hören, und nicht auf der Bühne sehen wird, ist ein richtiger Wermutstropfen. Konkret: Gitarrist Glenn Tipton wird wegen seiner Parkinson-Krankheit nur ganz wenige Konzerte der kommenden «Firepower»-Tour bestreiten. Wenden wir uns aber dem neuen Album zu. Schon das Eröffnungsriff und der sich dazugesellende Halford-Ur-Schrei zeigen das Quintett von ihrer besten Seite. Ja, der Opener «Firepower» ist Judas Priest in Reinkultur, macht keine grossen Anbiederungen an neue Sounds, sondern hätte von seiner Machart auch sehr gut auf «Defenders Of The Faith» oder «Angel Of Retribution» gepasst. Die Gitarrensolos knallen genau so, wie man es sich vom Evangelium des Metals erwartet und im Hintergrund donnert das Schlagzeug von Scott Travis. Eine richtige Hymne ist «Lightning Strikes» geworden.

Auch wenn Rob heute durchwegs ein bisschen tiefer singt, von seiner Bösartigkeit hat der Engländer nichts eingebüsst und kreischt, schreit und singt sich souverän durch die dreizehn neuen Songs (plus ein Intro «Guardians»). «Evil Never Dies» ist ein Midtempotrack (mit donnernden Doublebass Drums), der auch auf ein Album wie «Point Of Entry» gepasst hätte. Interessant auch «Never The Heroes», das mit seinem stampfenden Grundrhythmus und Aufbau an «Desert Plains» erinnert. Schon fast Galeeren-artig prügelt sich «Children Of The Sun» aus den Boxen. Mit feinem, akustischem Aufbau und einem leidenden Rob (seine Stimme hier ist unglaublich!), ein exzellenter Track. Irgendwo zwischen «Out In The Cold» («Turbo») und «Worth Fighting For» («Angel Of Retribution») liegt «Rising From Ruins». Auch hier ist einmal mehr die Gitarrenarbeit unglaublich! Mit seinen knapp drei Minuten Spielzeit ist «No Surrender» ein möglicher kommender Klassiker. Man denke nur an «Breaking The Law»! Mit «Lone Wolf» (Black Sabbath lassen grüssen) und «Sea Of Red» (typische Priest-Nummer mit balladesken und orchestralen Momenten, «Blood Red Skies» lässt grüssen) zeigen Priest, zu was sie heute noch immer im Stande sind. «Firepower» ist ein verdammt starkes Album geworden, das den schon extrem geilen Vorgänger «Redeemer Of Souls» noch um ein paar Zacken toppt. Auch wenn Halford, Tipton, Faulkner, Travis und Ian Hill (Bass) vielleicht nicht in die Liga der grossen Momente von Judas Priest aufsteigen («British Steel», «Point Of Entry», «Screaming For Vengeance», «Defenders Of The Faith», «Ram It Down»), so ist «Firepower» ein unglaublich geiles Album geworden, das sich sehr wohl zwischen «Angel Of Retribution» und «Redeemer Of Souls» fühlt.

Tinu
Punkte: 9.4 von 10
 
By Leopold: Wenn es einen Namen gibt, der die Metallische Union so verbindet und vereint, dann fällt stets der Name Judas Priest. Klar, man soll dabei die anderen Heroen des NWOBHM nicht vergessen, die wären Iron Maiden, Saxon, Raven und Konsorten. Doch in Sachen Beständigkeit und Innovation haben die Briten Judas Priest eindeutig das Näschen ganz nach vorne gerückt. Die jetzige Bandkonstellation funktioniert einwandfrei, so wie eine gute, alte Norton mit frischem Motorenöl. Mit «Firepower» folgt das 18. Studioalbum, sofern ich richtig gezählt habe, und dies mit einem gehörigen Paukenschlag und Metalhammer. 14 Tracks haben es auf dieses Album geschafft, manche in typischer Priest-Manier, manche wiederum sehr überraschend gelungen und doch, die Priest-Gene sind stets darin enthalten. Klar auch, sonst würden diese Songs es ja auch nicht auf ein so gelungenes Album schaffen. Eins vorweg, «Firepower» ist eindeutig straighter, ähnlich wie das Album «Painkiller», jedoch nicht so thrashlastig. Melodie, Speed, Power, the Genuine of Judas Priest, um es kurz zusammenzufassen. Mit den drei ersten Tracks kommt man recht gut an den Song «Painkiller» ran, um einen Vergleich zu nehmen, da speeded man recht goil drauflos. «Firepower» ist ein perfekter Speed-Opener mit leicht thrashigen Elementen, um dann sogleich nahtlos in «Lightning Strikes» reinzuflutschen, welcher ein powervoller Speed-Metaller ist und mit «Evil Never Dies», welches stampfend, midtempomässig beginnt und mit powervollen, kurzen und knackigen Speed-Attacken seitens des Ausnahmedrummers Scott Travis untermalt wird, diese Speed-Triade zu beenden. Mit diesen drei Tracks spricht man Metalfreaks aller Genres an, selbst gestandene Thrasher, Deather, Speed- und Power-Metaller. «Never The Heroes» ist ein midtempo-mässiger Stampfer, da wird einem etwas Luft zum Durchatmen gegeben, denn der nächste Kracher folgt sogleich. Glenn Tiptons Gitarrensoli sind einfach herrgöttlich auf den ersten vier Songs, unterstützt dabei von Richie Faulkner an der zweiten Klampfe, Ian Hill dem Tieftöner, eben besagtem Drummer Scott Travis und natürlich Rob Halfords Stimme, welche einfach richtig gut geölt daherkommt, eben, wie eine alte, gute Norton. «Necromancer» ist ein asteiner Power Metal Kracher, der einfach herrlich vor sich hinstampft. «Children Of The Sun» ist auch ein midtempo-mässiger Song, ähnlich wie «Never The Heroes», wo auch die ruhigen Seiten von Judas Priest zum Tragen kommen, will sagen die langsameren Parts, die teils mit Akustikgitarre getragen werden, wo natürlich Rob Halfords Stimme bestens zum Ausdruck kommt.

Es sind auch die Songs, wo es auch leicht doomig abgeht, will sagen, heroisch und mystisch. Dann kommt das kurze, pianogehaltene «Guardians», sehr überraschend und lockert das bisher gehörte auf, um dann in die Halbballade «Rising From Ruins» hinüberzugleiten, wo diese Pianosequenzen weitergesponnen werden. Aber keine Angst, dieser Track steigert sich von Minute zu Minute, so wie es sich für eine Judas Priest-Halbballade gehört, wobei mir spontan sogleich der Song «Out In The Cold» in den Sinn kommt, vom '86er Album «Turbo». Nun, Vergangenes ist Vergangenheit, wenden wir uns wieder der Gegenwart zu und gelangen somit zu «Flame Thrower», dem neunten Track, welcher sich ebenfalls im midtempo-mässigen Fahrwasser wie «Children Of The Sun» befindet, aber keine Angst, auch wenn 14 Tracks den Weg auf das Album gefunden haben, kein Song ist wie der andere, also nicht irgendwie '... hab' ich doch schon mal gehört ...', nee, jeder dieser 14 Songs ist einfach Judas Priest pur. Interessant wird's auch beim nächsten Song «Spectre», rein vom gespielten Gitarrenintro her hört man da das Horn von Babylon erschallen, kann sich die hängenden Gärten mal bildlich vorstellen, ein weiterer überraschender Priestsong, was einfach wieder mal aufgleist und aufzeigt, wie unverbraucht die Band seit der Gründung 1969 immer noch unterwegs ist. «Traitors Gate» beginnt mit einem Akkustikgitarren-Intermezzo und mutiert sich dann zur Power Metal Granate à la «Evil Never Dies» rauf, stets powervolle und speedige Elemente im Zwiegespräch mit allen Instrumenten. «No Surrender» ist ein melodiöser, midtempomässiger Metal-Stampfer der nahtlos in «Lone Wolf», welcher mit einem 70ies-Style-Intro beginnt, rüberschmelzt, wobei «Lone Wolf» einfach goiler, stampfender Heavy Metal darstellt. Der vierzehnte und letzte Track auf «Firepower», «Sea Of Red», ist eine weitere Halbballade mit Hymnencharakter, der sich erneut von Minute zu Minute steigert. Ein perfektes Coverartwork, welches auf einem T-Shirt ebenfalls perfekt zur Geltung kommt, eine saubere und druckvolle Produktion, was will man als Metaller mehr? Eben, und deshalb ist «Firepower» eine Scheibe von Metallern für Metaller, solche die schon lange dabei sind, solche die den Metal erst für sich entdeckt haben, «Firepower» vereint sie alle. Metal never dies!
Leopold
Punkte: 9.8 von 10