Interview: TesseracT
By El Muerte
Ich hab's bei der Review von «One», dem Erstling von TesseracT, schon zur Genüge erwähnt: Das englische Quintett bringt nicht nur die nötige Platte an den Start, sondern hat sich auch gleich im Vorfeld durch ordentliche Live-Arbeit einen exzellenten Ruf erspielt. Im Zug der aktuellen Djent-Welle (Runtergestimmte Klampfen, Meshuggah-mässiges Riffing, melodische Flächen, etc.) bildet die Band zwar nur die Spitze eines stetig wachsenden Eisbergs, halten diesen Platz aber gekonnt. Basser Amos Williams war dann auch schnell bereit, Auskunft über den aktuellen Stand der Dinge zu geben…

MetalFactory.ch (MF): In deinen Worten, um was geht's bei TesseracT genau?

Amos Williams (AW): Die Idee ist, sich in der Musik zu verlieren, diesen Zustand zu finden, bei dem es im Universum nichts anderes mehr, als das hier und jetzt gibt - Der Moment zählt. Wir geniessen das wirklich, und wir versuchen so viel Hingabe wie nur möglich in unsere Musik zu stecken. Es geht dabei nicht hauptsächlich darum, neue Dinge zu erforschen (Ich bin mir sicher, dass du einverstanden bist, wenn ich sage, dass jede Musik schon mal in irgendeiner Form da war), sondern einfach moderne Musik in dieses neue Jahrhundert zu bringen, und dabei immer noch genau so viel Wert auf ein Songwriting zu legen, das nicht nur wir und andere Musiker, sondern auch einfach die Leute da draussen geniessen können.

MF: Ihr habt auf eurer Debütplatte «One»¬†selber sehr viel Hand angelegt, wie weit ging das?

AW: Acle Kahney und ich waren beide Engineers, und haben die Platte produziert, editiert und gemischt. So hat diese Szene überhaupt erst begonnen - Ideen und Techniken zu entwickeln, sie über's Internet mit anderen zu teilen, und so weiter. Ich hatte das Gefühl, dass Acle ein gutes musikalisches Vorstellungsvermögen hat, und deswegen habe ich durchgesetzt, dass er den grössten Teil des Mischens übernimmt. Das schlussendliche Resultat kommt dann auch der Musik zu gute, anstatt sich um aktuelle Trends zu kümmern. Wir haben bei diesem Projekt beide eine Menge gelernt, und können es kaum erwarten, wieder ins Studio zu gehen.

MF: Hattet ihr nie die Angst, den Überblick zu verlieren?

AW: Das ist natürlich die grosse Gefahr, wenn man sowas selber macht - Aber wir haben explizit drauf geachtet, die Sache immer wieder aus genügend Distanz zu betrachten, anstatt uns in den Details zu verlieren. Wir versuchten, sicher zu gehen, dass uns die Musik bei jedem Durchhören Gänsehaut gibt - Damit wussten wir dann, dass auch Leute, die nicht so stark in unserem Universum stecken, das selbe Feuer und den Einsatz spüren würden.

MF: Eurer Album hat diesen homogenen Fluss, vieles geht ineinander über - Wie viel Arbeit steckt denn da drin?

AW: Das kommt von unserer Liebe zu den klassischen Alben, und meiner Ausbildung zum Tontechniker. Die erste Regel des Masterns, bevor du dich ans technische, eigentliche, Mastering machst, ist, die Songs so aneinander zu reihen, dass sie untereinander funktionieren, einander komplementieren. Also, das Album als ganzes anzusehen, anstatt als Sammlung von 4 oder 5 Singles und 4 oder 5 Füller. Klassische Alben sind 60 Minuten pure Freude, bei denen man sich die Zeit nimmt, das ganze Ding zu hören, und nicht nur den besten Song.

MF: Wie läuft denn das Songwriting bei euch ab?

AW: Da haben wir keine fixe Formel. Wir lassen den Songs viel Entwicklungsraum, und gucken, wo uns das hinführt. Musik ist überall und in allem - Man muss nur lernen, zuzuhören, und damit rumzuspielen. Ich weiss, dass das jetzt nach Magie und Feenstaub klingt, aber es ist wahr. Der Musik die Kontrolle zu überlassen, ist der Schlüssel.

MF: Wo greift hier Sänger Dan Tompkins ein? Passt er sich den fertigen Songs an, oder hat er auch kreativen Input?

AW: Wir gehen da alle ziemlich unzimperlich vor, auch Dan. Wir lassen ihm textlich und musikalisch freie Bahn, agieren eher als Produzenten um das Schiff zu steuern wenn mal was nicht funktioniert – Oder wir was hören, das der Musik gut tun würde.

MF: Ihr habt letztes Jahr am Break The Silence-Festival gespielt. Dan verliess in den instrumentalen Passagen die Bühne, sang aber dahinter konsequent weiter - Warum das?

AW: Wahrscheinlich meinst du «Concealing Fate, Part Five - Epiphany», das ist instrumental. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte Dan eine Halsentzündung, und verwendete die Zeit, um etwas Luft zu kriegen, und sich für den nächsten Song vorzubereiten, bei dem er ziemlich hohe Noten zu singen hat.

MF: Viele der Djent-Bands fokussieren sich einzig und allein auf das eine, ultimative Riff, bei euch geht's eher um Kontinuität - Wo kommt dieser Einfluss her?

AW: Unsere Einflüsse sind alles, was wir Konsumieren - Also nicht nur Musik, sondern Kunst, Literatur, Kino und auch Fernsehen. Ein simples Konzept kann dir genau die nötige Inspiration bringen: Nimm' nur mal den Namen TesseracT. Der hat sich für uns in eine ergiebige Quelle verwandelt, während dem wir die Idee und die Physik/Geometrie eines Tesseract und der höheren Dimension untersucht haben. Zudem lassen wir natürlich gerne viel Freiraum in unserer Musik. Irgendwer hat mal gesagt, man müsse viel Löcher übrig lassen, man wisse nie, wenn da noch Musik rausfallen könnte. Wir hatten einfach genug von diesem vollgestopften Metal-Sound, der uns heutzutage überall begegnet. Musik braucht Kontext, um etwas zu bedeuten, um Dimension zu haben. Ich denke, das ist ein klares Beispiel des Einflusses von Bands wie Pink Floyd und Led Zeppelin in unserem Sound. Wir stehen total auf diesen dunklen und geisterhaften Sound, vor allem von Alben wie «Wish You Were Here» und «Dark Side Of The Moon».

MF: Wie wichtig ist euch das Konzept einer ganzen Platte? Veraltet?

AW: Wenn du jetzt meinst, ob Bands Platten oder nur Singles veröffentlichen sollten, dann würde ich meinen, dass, obwohl es finanziell gesehen mehr Sinn macht, pro Jahr nur eine EP zu veröffentlichen, es für uns nichts wie das Album für sich gibt, diese 60 Minuten aus roher Kreativität. Es ist wie ein Roman: Jedes Kapitel kann für sich ein Meisterstück sein, aber das Buch ist eine Reise. Wenn du meinst, ob sich verkaufende Songs wichtig sind, dann auch ja. Sie helfen, dem Musiker seinen Unterhalt zu verdienen, und sich so die Zeit nehmen zu können, neue Alben zu machen, und Musiker zu bleiben. Einige Leute denken, es wäre Ok, von einem Künstler zu stehlen. Aber denkt mal nur einen Moment an all die harte Arbeit, die der da rein gesteckt hat, die Zeit (Manchmal viele Jahre!), all die Liebe. Die investieren ihr ganzes Leben in dieses geistige Eigentum, und dann haben einige Leute das Gefühl sie hätten da Anrecht drauf. Die Kehrseite ist natürlich, dass du dein Publikum vergrössern, und die Ticketverkäufe erhöhen kannst - Aber die Veranstalter verlangen mittlerweile allerhand idiotischer Steuern, beanspruchen einen Anteil am Merchandise, Zahlen so wenig wie nur möglich, und verlangen allerhand Unmögliches - Was die Bands mit nicht mehr viel zurücklässt. Ich finde das ganze Business ziemlich traurig, und wenn jemand das Gefühl hat, es ist ok, in irgend einer Art und Weise von einem Künstler zu stehlen, dann ist er moralisch korrupt, und ich will nicht mehr mit ihm weiter reden. Zu viele wunderbare Musiker stehen vor ruinierten Leben, weil sie sich nicht mehr ein grundsätzliches Einkommen absichern können.

MF: Es hat eine Weile gedauert, bis ihr nach dem Plattendeal dann die Scheibe rausgebracht habt - Wie kommt's?

AW: Das war eine Entscheidung aus der marketing-technischen Perspektive. Unser Label hat spezifische Veröffentlichungs-Zeitfenster, und sie wollten mindestens drei Monate, um für uns eine Presse-Kampagne aufzubauen. Bei der Vertragsunterzeichnung waren wir zu nahe am nächsten Fenster, und das nächste wäre während der Weihnachtsferien gewesen - Unser Label veröffentlicht aber nie neue Bands um diese Zeit. Deswegen hat es gut sechs Monate gedauert, bis die Platte rauskam. Was in der Retrospektive eine gute Sache war, weil wir so die Platte durch Konzerte und Pressearbeit bekanntmachen konnten. Ich wünsche mir, dass das mehr Bands so machen würden. Wenn es dir die Musik nicht wert ist, die Sache richtig zu machen, weshalb machst du es dann überhaupt?

MF: Für eine Band, die gerade eben ihr Debüt-Album, und kurz vorher eine EP herausgebracht hat, habt ihr bereits eine grosse Online-Fangemeinde - Wie kommt's?

AW: Wie bereits diskutiert, die Djent-Szene ist aus der Online-Idee heraus entstanden - Und wie mit allem anderen auch, haben die Initianten (Acle, Misha, Chimp Spanner) das alles grösstenteils selber aufgebaut, und dabei einen entsprechenden Ruf gewonnen, während andere dazugestossen sind. Verbunden mit dem Internet bedeutet das, dass du nicht mehr nur auf die umliegen Städte begrenzt bist, um eine Fanbase aufzubauen… Du kannst das weltweit angehen – Deswegen konnten wir ja auch um den halben Globus reisen, bevor die Platte überhaupt veröffentlicht wurde.

MF: Wie macht ihr das live mit den Samples? Sind da nur Soundflächen drin, oder kommen da auch noch Backing-Vocals, Gitarren und dergleichen?

AW: Stört es Gitarristen, Delaypedale und Verzerrung zu verwenden? Stört es Drummer, ein Doppel-Pedal zu verwenden, wenn sie nur eine Kickdrum haben? Nein, das sind einfach Werkzeuge, die es uns erlauben, besser zu klingen. Einen Sequenzer zu verwenden, der Samples, Synthies, Backing-Vocals kontrolliert… Also alles was wir wollen, das ist einfach eine Verwendung der aktuell erhältlichen Technologie. Es ist ja nicht so, dass wir nur schauspielern, wie spielen alles selber. Aber wir bräuchten ein 40-köpfiges Orchester, um unseren Sound umzusetzen. Diese Sachen sind verpönt, aber wenn man sie geschmackvoll einsetzt, um die Realität zu erweitern, dann sind das fantastische Werkzeuge.

MF: Wie schaut's mit den Tour-Plänen nach den Staaten aus? Wann kommt ihr zurück in die Schweiz?

AW: Wir kommen definitiv noch dieses Jahr nach Europa zurück, um unsere Scheibe zu bewerben - Aber wir müssen noch einige Details bestätigen. Wir gehen dieses Jahr auch noch mal in die Staaten zurück. Und nebst all dem müssen wir noch die Zeit finden, unsere zweite Platte fertig zu schreiben, und Album Nummer zwei aufzunehmen!

MF: Cool, danke für die Infos! Möchtest du noch etwas den Lesern weiterleiten?

AW: Danke für's Lesen, für's Anhören – Und, in einigen Fällen, für's geniessen!