Interview: Scorpions

By Tinu
 
Wurden schon abgeschrieben.



"Rock The Ring" Ausgabe 2016 bot dem Schweizer Publikum die Möglichkeit, sich einmal mehr von den Live-Qualitäten der Scorpions zu überzeugen. Keine Ahnung, wie oft ich die jung gebliebenen Klaus Meine (Gesang), Rudolf Schenker (Gitarre), Matthias Jabs (Gitarre) sowie Pawel Mąciwoda (Bass) und Ersatztrommler Mikkey Dee (ehemals Motörhead), welcher den erkrankten James Kottak auf dieser Tour ersetzt, gesehen habe. Der Skorpion hat aber seinen tödlichen Stachel selten so eingesetzt, dass man nicht mit glänzenden Augen und voller Freude das Konzert der Deutschen verliess. Auf der "50-Years Anniversary Tour", die seit Sommer letzten Jahres läuft, gastierten die Herren als verdiente Headliner in Hinwil und boten, wie nicht anders zu erwarten war, eine absolut geile Rockperformance. Vor dem Konzert stand mir der wie immer sehr nette und unterhaltsame Matthias Jabs zur Verfügung und plauderte frei Schnauze über die vergangenen letzten fünf Jahrzehnte, Vollpfosten und die kleine Krise bei den Scorpions.

MF: Matthias, nach 40 bis 50 Jahren im Musikbusiness, welches Fazit ziehst du?

Matthias: Ich muss sagen (grinst), eine fantastische Karriere einer Band, die in und um Hannover entstanden ist. Die mit einer grossen Vision gestartet ist, nicht aufgegeben hat und ihr Traum schlussendlich doch wahr geworden ist. So, dass wir auf der ganzen Welt spielen können, von Neukaledonien über Alaska zu allen anderen bekannten Märkten. Wir sind hier, fühlen uns jung, frisch und haben noch immer Bock zu spielen. Diese Tour startete am 1. Mai 2015 in China und wir sind noch immer am Spielen. Am 2. Dezember 2016 soll das letzte Konzert in Berlin stattfinden. Dazwischen sind wir den ganzen September in Südamerika, plus Asien und Vietnam im Oktober. Dort treten wir zum ersten Mal auf. Es macht noch immer sehr viel Spass, und rückblickend können wir nur sagen, wir haben alles richtig gemacht (grinst zufrieden).

MF: Was war früher für dich wichtig, was ist es heute?

Matthias: Zu Beginn war wichtig, dass man sich musikalisch entwickelt. Da ging ich äusserst ehrgeizig ans Werk. Schon als Schüler brachte ich mir alles selber bei. Nach der Schule wollte ich pro Tag fünf Stunden auf der Gitarre üben. Dabei begleitete mich eine Grafik, die in einem kleinen Büchlein mein Wegbegleiter war. Heute würde man dies auf einem iPad machen (grinst). Den gab es damals aber noch nicht. Bedingt durch Schule und Sport schaffte ich diese fünf Stunden nicht jeden Tag. So habe ich versucht, mit einem acht Stunden Pensum an den Wochenenden den Durchschnitt zu halten. Das war mein erstes Ziel. So gut zu sein, wie nur möglich. Dann mit einer Band erfolgreich zu sein, gute Musik zu komponieren und zu spielen, welche auf der ganzen Welt akzeptiert wird. Für uns stand nie zur Debatte in Deutsch zu singen. Wir alle hatten das Gefühl..., selbst als ich ein paar Jahre später zu den Scorpions gestossen bin, aber noch immer früh genug, bis es richtig losging. Ich kam 1978 zur Band und ein Jahr später zündete es bei uns richtig. 1979 waren wir zum ersten Mal in den USA und seit diesem Moment fing die grosse Karriere an. Hätten wir die Lieder in Deutsch gesungen, hätte dies ausserhalb von Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz niemanden interessiert. Dieses Schicksal haben ja Einige zu tragen (lacht). Wir wollten dies nicht! So war das Englische für uns ein Türöffner. Als in England oder den USA niemand auf eine deutsche Truppe gewartet hat, standen wir plötzlich in den grössten Hallen. War es in New York, Chicago oder Los Angeles, die Leute waren von uns begeistert. Das ist normalerweise nicht der Fall, sonst würden hunderte von deutschen Bands die USA Tag für Tag betouren. Da musst du dein Ziel schon unbeirrt verfolgen, um diesen Erfolg zu haben. So waren und sind die Scorpions, noch heute! Natürlich haben wir viele dieser Ziele auf dem langen Weg erreicht, auch zu versuchen, wie ein Verrückter bekannt zu machen. Gewisse Dinge müssen wir heute zum Glück nicht mehr machen (lacht), die man damals vor lauter Begeisterung garantiert tat. Alles und noch viel mehr. Das können wir uns heute ein bisschen besser einteilen (grinst).

MF: Wie war damals für dich das US-Festival in San Bernardino?

Matthias: Das war super und für mich eines der Highlights in meiner Karriere. Dieser Auftritt hat uns nochmals auf ein grösseres Niveau katapultiert. 1982 hatten wir den Headliner-Status in den Staaten mit dem Album «Blackout» erreicht. Mit «No One Like You» hatten wir den meist gespieltesten Song im Rock-Radio in den USA. Die ersten drei Wochen haben wir dort Rainbow supportet. Ritchie Blackmore, von dem habe ich unheimlich viel gelernt... «Deep Purple In Rock», da war ich gerade mal 13 Jahre alt... - Da kommt er während der Tour zu uns in unsere Garderobe und fragt mich: «Wie spielst du dieses zweistimmige Intro/Solo bei «No One Like You»?» Oh ja (lacht)! Dann haben wir die Jungs noch im Fussball geschlagen (lacht), 4:0 (lacht) und darauf folgte die Anfrage, ob wir nicht die Reihenfolge tauschen wollten. Eigentlich die grösste Schmach überhaupt, wenn der Headliner zugeben muss, dass sie Abend für Abend an die Wand gespielt werden. Es war für Rainbow nicht schön mitanzusehen, dass nach unserem Auftritt die Hälfte der Besucher nach Hause ging. Wir lehnten aber ab, weil wir keine Produktion für eine Headliner-Show hatten. Nach diesen Support-Shows wurden wir Headliner, haben eine tolle Show aus dem Boden gestampft und spielten so ein halbes Jahr.

In Stockholm arbeiteten wir an «Love At First Sting» und um zurück auf deine Frage zu kommen (grinst)... - Das US-Festival war für uns ein "schnell aus dem Studio raus", ein paar Konzerte zusammen mit Quiet Riot spielen und dann aufs Festival zu gehen. Dank des nationalen TVs fanden wir uns auf einem anderen Level wieder und dank «Love At First Sting» und dem Song «Rock You Like A Hurricane» sind wir dann ganz fett durch die Decke gegangen. Beim Festival..., man musste sich was einfallen lassen (grinst). Früher war dies so, dass es eine strenge Hierarchie gab. Der Headliner hat was zu sagen, teilweise gings den Bands gar nicht darum, aber den Produktionsleuten war dies sehr wichtig. Da wir ja nicht doof waren (grinst)..., wenn wir auf der Bühne schon nichts machen können, dann machen wir das eine Stufe höher. Das wäre heute nicht mehr denkbar, dass fünf Kampfjets ganz tief über das San Bernardino Valley und 320'000 Leute fliegen. Damals haben die daraus einen Übungsflug gemacht und fertig (lacht). Da war fliegen in den USA sowieso wie Bus fahren. Ohne Kontrolle bist du von einem Gate zum nächsten gewandert, hast auch mal einen Flug sausen lassen und den nächsten genommen. Heute ist dies nicht mehr denkbar mit all den Scheisskontrollen seit 9/11.

MF: Hast du dich jemals als Rockstar gefühlt?

Matthias: Das ist so ein bisschen an mir vorbei gegangen. Klar, ich meine..., mir ist das heute fast unangenehm. Da ziehe ich mich lieber zurück und werde schon fast ein bisschen publikumsscheu. Ich weiss was zu tun ist, reisse mich aber nicht darum. Klar, damals fuhren wir mit Stretch-Limousinen, hatten Bodyguards und rote Teppiche. Das war mir damals schon zu viel, aber man muss es eben machen. Heute..., wenn ich darauf verzichten kann, tue ich es gern (grinst zufrieden)!

MF: Die Alben «Eye To Eye» oder auch «Pure Instinct», war das damals eine schwierigere Zeit für euch?

Matthias: Ja! Die zweite Hälfte der 90er war geprägt von einer gewissen Orientierungslosigkeit. Intern, aber auch aus der Folge daraus, dass die Musikindustrie... - Wir hatten noch das Glück, im Gegensatz zu anderen 80er-Jahre Bands, dass wir uns in mit dem sehr erfolgreichen Album «Crazy World» und den Singlehits «Send Me An Angel», «Tease Me, Please Me» und natürlich «Wind Of Change» in die 90er-Jahre hinein retten konnten. Die anderen kackten schon alle ab, weil der Grundtenor der war, dass alles, was aus den 80er Jahren kam, völlig «oldfashioned» war. Das ist alles so was von «out»! Und heute? Die ganzen Vollidioten, die damals diese Parolen in den Radiostationen los liessen, schreien heute «the best makes the eighties»! Das geilste Jahrzehnt. Die gleichen Vollpfosten, diese Schwachmaten, die uns damals alle an den Marterpfahl gehängt haben (lacht)! Naja, als sensibler Musiker bekamst du damals diese ganzen Sprüche mit und fragtest dich tatsächlich einmal, ob man nicht auf dem falschen Weg ist. Schliess den Gitarrenkoffer zu, geh nach Hause und mache die Schotten dicht (lacht). Was sonst nie der Fall war, aber zu diesem Zeitpunkt gab es bei den Scorpions tatsächlich Unstimmigkeiten. Keiner wusste mehr, wo es lang gehen soll.

Genau in dieser Zeit kam dieses beschissene Album raus («Eye To Eye»), mit dem völlig falschen Produzenten. Peter Wolf hatte mit uns gar nichts am Hut. Aber, naja. Dann wurde noch ein bescheuertes Video gedreht, die Haare wurden abgeschnitten und dann war wirklich alles zu spät (grinst). ABER! Den Jungs und mir wurde klar, dass dies vielleicht der beste Fehler war, den wir jemals machten. Vorausgesetzt, wir machen es wieder richtig. Die Haare wuchsen wieder (grinst) und die Musik wurde auch wieder das, was sie sein sollte. Die Fans haben uns auch ganz ehrlich gesagt, dass das Scheisse ist und nicht die Scorpions repräsentiert. So seht ihr nicht aus, so hört ihr euch nicht an, macht lieber wieder das, was ihr könnt. Klar, als Musiker willst du nicht immer das Gleiche machen. Es nervt eh schon, 200 Mal das Gleiche auf Tour zu spielen. Eigentlich ist das nervend. Ohne Publikum würden wir dies nicht im Traum machen, und schon gar nicht im Übungsraum. Warum (lacht)? Wir haben uns damals am eigenen Schopf wieder aus dem Sumpf gezogen, in dem wir wieder das taten, was wir am besten können, wofür wir berühmt und bekannt geworden sind und konnten die Kiste so wieder drehen. Das war eine Schwächephase, gut dass du es ansprichst, aus der man viel lernen konnte (grinst). Heute lassen wir uns von keinem mehr rein reden. Ob dies nun «oldfashioned» oder was auch immer ist, hau ab und geht nach HAUSE! Was wir machen, ist extrem erfolgreich, weltweit! Wir sind eine der wenigen Bands, die zum Beispiel in Numéa spielen. Ich glaube, wir haben mittlerweile in 83 Ländern gespielt.

MF: Was sind die Pläne für die Zukunft?

Matthias: Wir sind so ein bisschen..., nicht planlos, aber planfrei. Wir kommen gerade aus Mexiko und den USA, und man möchte das Gleiche schon wieder mit uns nächsten Sommer durchziehen. Wir haben so ein bisschen... - Seit Sommer 2009, als wir «Sting In The Tail» aufnahmen und grundsätzlich die letzte Tour für 2010 ankündigten, gab es für uns keine Pause. Aber! Vier Alben und vier Welttourneen später... - Am 2. Dezember 2016 wird das letzte Konzert dieser Tour in Berlin stattfinden, und dann folgt auf jeden Fall eine Pause. Und wer behauptet die sei nicht verdient, dem haue ich die Türe vor der Nase zu (lacht). Jetzt ist mal wirklich gut. Danach schauen wir ganz ruhig, was wir machen. Ich denke mal, die ersten Monate gar nichts. Man muss dieses Ding (hält seine Gitarre in den Händen, auf welcher er sich während des ganzen Interviews warm spielte) auch mal vier Wochen an den Nagel hängen. Nehme ich sie dann wieder in die Hände, fällt mir sicher wieder was Neues ein. Das ist nicht gewährleistet, wenn ich sie jeden Tag in den Fingern habe, so werden wir es machen. Was dann passiert, kann ich dir aber noch nicht sagen. Der Titel des letzten Albums verrät ja schon einiges (grinst). «Return To Forever»! Wir kündeten die letzte Tour an, schlossen das Kapitel dann doch nicht... - Klar, damals standen wir dazu und glaubten auch selber daran. Die Leute wollten uns aber gar nicht ziehen lassen. Die Ansage von uns war auch zu früh und zudem haben wir noch viel zu viel Spass, wenn wir auf der Bühne stehen. Wir sind noch immer da, aber für einen unbestimmten Zeitraum... «…To Forever» sei dann auch nochmals hinterfragt (grinst).

MF: Besten Dank fürs Interview...

Matthias: ...ja, sehr gerne!

MF: Alles Gute für die Zukunft und auf eine gute Show heute Abend!

Matthias: Das wünsche ich dir auch, und zieh dich warm an...

MF: ...wieso, der Sommer kommt doch...

Matthias: ...wo? In Afrika oder dem Equator vielleicht (grinst).