Interview: Porcupine Tree
By El Muerte
Steven Wilson als Weltenbummler und parallel dazu musikalisches Genie hinzustellen, würde noch nicht mal an der Oberfläche der ganzen Wahrheit kratzen. Der Überflieger tüftelt nicht nur ständig mit seiner Hauptband Porcupine Tree an neuen Sound- und Themenwelten, sondern veröffentlicht regelmässig über das eigene Label wirre Projekte, die seine Handschrift tragen (Nicht zuletzt sein eigenes Solo-Album), und jettet für all die Musik gerne auch mal rund um den Globus, um die Aufnahmebedingungen zu optimieren. Bei all dem hin und her qualitativ hervoragende Arbeit abzuliefern, und dabei noch den Fokus zu waren, sollte eigentlich schon an den maximalen Kapazitäten eines Individuums zerren, würde man meinen - Aber Steven Wilson stellt sich auch diesmal erneut als zusätzlich überraschend bodenhaftiger Denker heraus, der trotz all der gewagten Luftsprünge den Sinn für das grosse Ganze nie aus den Augen verliert.

Der anstehende Gig in der Tägerhard-Halle bei Wettingen sollte klar davon zeugen, doch die Vorzeichen standen auf allem anderen als Sturm: Der gute Herr Wilson sass ruhig Gitarren klimpernd und Fruchtsaft trinkend im Backstagebereich rum, und beantwortete Handzahm sämliche Fragen bis ins Detail und darüber hinaus…

Metal Factory (MF): Wie geht's dir?

Steven Wilson (SW): Mir geht's gut, ja - Danke!

MF: Fein. Wann seid ihr hier angekommen?

SW: Wir sind tatsächlich schon gestern eingetroffen. Wir hatten einen freien Tag, gestern. Da waren wir in… (Denkt nach) Baden (AG). Wir haben da was Gutes gegessen, eine ruhige Nacht an der Bar verbracht, und uns einfach ausgeruht. Es war nett.

MF: Wunderbar. Lass uns zuerst gleich über die neue Porcupine-Scheibe sprechen, wenn das für dich ok ist.

SW: Sicher.

MF: Ok. Nach was habt ihr diesmal Ausschau gehalten, was war die grundsätzliche Ausrichtung im Bezug zum Songwriting?

SW: Aehm… Nun, ich habe mir zuerst ein Ziel gesetzt, und zwar grundsätzlich eine lange, durchgehende Suite aus Musik zu kreieren, ein Song-Kreis. Das ist schon ziemlich anders als sonst, wenn wir uns daran machen, ein Album zu schreiben - Weil wir da eben normalerweise mal ein paar Songs schreiben, und dann gucken wie die am besten zusammen passen. Aber wenn du was schreibst, das tatsächlich sowas wie eine Kontinuität oder einen Fluss haben sollte, dann wird das Ganze zu einer richtigen Aufgabe - Schon allein, weil der Plot effektiv in Bewegung bleiben, und irgendwan einen Höhepunkt erreichen muss, und so weiter. Es war irgendwie so, wie eine Kurzgeschichte zu schreiben. Einfach weil mit dem ersten Kapitel begonnen wurde, dann einige Charakter und Themen nacheinander präsentiert wurden, und das ganze über einen bestimmten Zeitraum dann langsam verwoben wurde… das ist sehr schwer, ich habe das über die letzen Jahre schon ein paar mal versucht, und es meistens wieder sein lassen, weil… (Denkt nach) Aber diesmal hat es dann, aus welchen Gründen auch immer, einfach geklappt, und das war eine Herausforderung.

MF: Bei der letzten Platte ('Fear Of A Blank Planet') hast du zuerst mit der Band gejammt, um danach dieses gemeinsam erarbeitete Material in Songs umzuwandeln…

SW: …Ja, das habe ich diesmal auch gemacht, hauptsächlich für die zweite Scheibe. Die besteht generell eher aus Bruchstücken und Teilen, die nicht ins Hauptgefüge gepasst haben… Aehm… Auch wenn wir das Gefühl hatten, dass diese Stücke musikalisch gesehen genau so stark wie der Rest waren, so passten sie einfach konzeptuell betrachtet nicht in das Hauptgefüge. Deswegen gibt es ja schlussendlich auch die zweite Scheibe. Aber auch im Hauptteil gibt es Momente, die die Band beim gemeinsamen Improvisieren im Studio geschaffen hat - Die habe ich dann in das Hauptgefüge eingearbeitet. 'The Incident' selber war schlussendlich schon eine ziemlich persönliche Angelegenheit, und ich hatte davon schon praktisch alles geschrieben, bevor ich es der Band zeigte, weil ich mir darüber im klaren sein wollte, dass das Material es wert ist, der Band gezeigt zu werden. Also habe ich einen Monat lang quasi in Einzelhaft daran gearbeitet. Und dann sind wir als Band durch die Ideen gegangen, und dabei haben sich dann neue Sachen entwickelt.

MF: Ok. Ich würde jetzt mal behaupten, dass dieses Album eine um einiges weitere Perspektive bietet, als der Vorgänger 'Fear…', und es gibt auch um einiges dynamischere Songs.

SW: Ja.

MF: Wie ist es dazu gekomen?

SW: Nun, auf jeden Fall nicht bewusst… überhaut nicht bewusst. Jedes Mal, wenn wir eine Platte machen, ist es eine sehr natürliche Erweiterung dessen, was uns in dem Moment gerade bewegt - Welche Musik wir hören, welche Musik uns inspiriert. Etwa drei Alben lang war ich sehr von Metal inspiriert. Diesmal war dies nicht wirklich der Fall, mich hat der Metal gelangweilt. Ich habe einfach nichts mehr gehört, dass sich jetzt als speziell interessant oder inspirierend herausgestellt hat. Also habe ich nach anderen Einflüssen gesucht, vor allem bei Quellen, die schon lange da waren. Ich bin mit Classic Rock aufgewachsen… aber ebenso mit industrieller Musik, elektronischer Musik, Ambient-Musik… Es gibt auch sowas wie eine Singer/Songwriter-Sensibilität auf manchen Stücken… Auch um einiges mehr an akustischen Gitarren, also jetzt in etwa auf 'Fear Of A Blank Planet'. Wie vorhin erwähnt, das ist wirklich einfach eine Reaktion darauf, aus was unser Input besteht, der Output hängt immer vom Input ab - Und wenn du nicht eine bestimmte Art Musik hörst, oder es gerade eben tust, dann wird sich ihr Einfluss ganz natürlich in deinem Schaffen bemerkbar machen.

MF: Klar. Was waren denn die konkreten Einflüsse an deiner Stelle?

SW: Ich denke das war einfach grundsätzlich… Nichts wirklich spezifisches… Es gab beispielsweise eine Periode in meinem Leben, in der ich sehr darauf fokusiert war, bestimme Musikstile zu hören, diese ganzen Genres und Sub-Genres zu entdecken, und mich da völlig hineinzustürzen, und das hat man dann auch klar rausgehört. Auf 'In Absentia' habe ich Musik wiederentdeckt, die ich für lange Zeit irgendwie verloren hatte, und zwar Metal. Und dann habe ich das wieder für mich entdeckt, mich da hineingestürzt, mit anderen Metal-Bands gearbeitet, und das hatte dann offensichtlich einen grossen Einfluss auf meine Musik. Diesmal war da aber nichts spezifisches, ich denke es war einfach ein genereller Blick in meine gesamte Vergangenheit, meine ganze angesammelte Erfahrung als Musikhörer - Da steckt immer noch irgendwo Metal drin. Aber auch langsame Musik. Aehm… Ich denke, das Album hat eher ein Classic Rock-Touch… Ein grundsätzliches Classic Rock-Feeling.

MF: Macht jetzt irgendwie Sinn. Wie schwierig war es, das Thema für die Texte auszuarbeiten?

SW: Nun, nicht wirklich, weil es für mich erst mal am wichtigsten war, den Fluss der Musik richtig hin zu kriegen, und das wollte ich nicht auch noch mit dem Texten machen… Also keine kontinuierliche Geschichte erzählen - Und so sind die Texte dann auch quer durcheinander. Es geht um Geschehnisse aus meinem eigenen Leben, aus meiner Vergangenheit, es geht um Geschehnisse… die ich aus den Nachrichtensendungen aufgelesen habe, aus den Medien… Offensichtlich sind sie über Dinge, die eine Auswirkung auf mich hatten, und mich dazu gebracht haben, einen Song über sie zu schreiben. Oder ich habe es einfach der Musik überlassen, mich zum Text zu führen. Also grösstenteils haben wir uns darum gekümmert, die Musik zum fliessen zu bringen - Und erst danach habe ich über Texte nachgedacht. Ich habe der Musik erlaubt, mir Themen zu suggerieren. Es gibt dunkle Themen, aber auch sehr… fast romantisches, sentimentales Material. 'Time Flies' ist ein sehr nostalgischer, sentimentaler Song über das Aufwachsen in einem Vorort von London - Und das war's, nicht mehr… nicht mehr als das. Ich habe offensichlich ein sehr nostalgisches Verhältnis zu meiner Kindheit - das ist etwas, was du zu dem Zeitpunkt gar nicht zu schätzen weisst, du kannst es gar nicht erwarten, erwachsen zu sein… Und wenn du dann erwachsen bist, dann schaust du mit diesem typisch verklärten und romantischem Blick auf die Kindheit zurück, die damals gewirkt hat, als ob sie ewig dauern würde… Verstehst du? Und du hast nie mehr die Gelegenheit, nochmals so naiv und forschend, oder so unschuldig dem Leben gegenüber zu sein, und das vermisse ich irgendwie… Und daraus ist dann 'Time Flies' geworden. Das wurde dann das Zentrum des Albums. Aber es gab auch eine Menge Glück, gerade wie die Stücke zusammengekommen sind, und wie es alles zu fliessen scheint. Aber wie gesagt, musikalisch gesehen haben wir uns darauf konzentiert, eine Geschichte zu erzählen - Und die Texte sind dann da aufgetaucht, wo ich das Gefühl hatte, sie würden passen.

MF: Und wo genau wurde dann entschieden, das Album auf einzelne Songs runterzuschneiden? ('The Incident' hätte irgendwo im Lauf der Dinge mal ein durchgehender Track werden sollen, die Red.)

SW: Das wollte ich schon immer tun. Wie Kapitel in einem Buch.

MF: Aber war das von Anfang an präzise geplant?

SW: Erneut, ich denke nicht, dass das etwas extrem durchdachtes oder durchmeditiertes war. Während der Arbeit am Album hatte ich Namen für all diese Teile, weisst du - Einige davon waren Arbeits-Titel, einige wurden zu etwas anderem. Es war eher eine Bequemlichkeits-Frage, weil wir uns daran erinnern müssen… Wir müssen uns über die einzelnen Teile unterhalten können, etwa «Lasst uns den 'Time Flies'-Teil üben!», oder «Lasst uns den 'Octane Twisted'-Teil üben!». Also beginnst du, die Teile zu benennen, und das hat mir ziemlich gut gefallen - Diese Geschichten-Analogie mit Hilfe der Kapitel-Titel weiterzuführen.

MF: Du hast mir letztes Mal erklärt, dass du auch die Produktion so nahe wie möglich verfolgst, und deswegen auch gleich selber mischst und masterst - 'The Incident' wurde aber nicht von dir gemastert. Wie kommt's?

SW: Das ist eine gute Frage, aehm… Mastern ist eines dieser Dinge, die ziemlich sicher nicht alle genau verstehen - Es ist wie eine schwarze Kunst. In etwa… Wenn du zu einem professionellen Mastering-Engineer gehst, dann haben die alle diese Kisten, und erzählen dann «Diese Kiste war 1967 in den Abey Road-Studios!», oder etwa «Dieser Kompressor wurde von diesem Typen benutzt!», und so weiter. Du kannst dann da deine Mixes durchschicken, und wahrscheinlich weiss der Mastering-Engineer nicht mal selber, was da genau passiert… (Lacht). Ich meine, ich habe ja jetzt schon ein paar Sachen selber gemastert, und das wohl auch ganz ok. Aber unter'm Strich führt es darauf hinaus, dass wenn du die Platte richtig aufgenommen, und auch noch ordentlich gemischt hast, dann musst du beim Mastern nicht mehr viel machen. Und ich denke, dass das genau das Problem der meisten Mastering-Engineer da draussen ist - Sie fühlen sich einfach verpflichtet, zu viel daran rumzuschrauben…

MF: Ja, genau…

SW: …Die fügen dann Höhen und Bässe hinzu, komprimieren das ganze, machen es breit und laut… All das kann aber eine gute Platte zerstören. Und wenn eine Platte richtig aufgenommen wurde, dann müsstest du eigentlich nix mehr verändern. Und mit 'Fear Of A Blank Planet', wollte ich irgendwie… Also der Grund, weswegen ich die Platte selber gemastert habe, ist, dass wir das zuerst von jemandem anders haben machen lassen - Und wir haben das Resultat gehasst. Weil diese Person genau all das erwähnte gemacht hat: Höhen und Bässe hinzugefügt, Kompression… Ich will keine Kompression, ich will, dass die Platte warm und angenehm für die Ohren klingt, nicht ermüdend. Also haben wir diesmal was anderes ausprobiert, wir dachten «Lass uns die Platte drei verschiedenen Engineers geben!», drei Mastering-Engineers. Und dann würden wir dann wirklich sehen… Wir haben jeden davon bezahlt, es war ein Experiment, ein kostspieliges Experiment, aber wir wollten das wirklich ausprobieren: Drei Mastering-Engineers, jeder dafür bezahlt, die Scheibe zu mastern, und dann würden wir sehen, wie stark der Unterschied ist. Aber die Antwort ist, dass der Unterschied jetzt nicht so gross war. Aber: Der Hauptunterschied war klar die Kompression, einige Engineers haben da mehr gemacht, als andere - In anderen Worten, es ist eine Lautstärken-Sache. Und… Vor allem der amerikanische Engineer, den wir damit beauftragten… da war viel mehr Brickwall-Limiting dabei. Aber wir wollten nichts davon. Wir sagten, wir wollen nichts, dass komprimiert klingt - Egal, ob die Scheibe jetzt weniger laut als die aktuelle Metallica-Platte klingt, es ist uns egal. Und der englische Typ, Jon Astley, der hatte wirklich ein nettes Resultat am Start - Er war in den 70igern ziemlich gross, so ein Old School-Typ. Er hat das Material durch seine magischen Kisten geschickt, und es hat ein bisschen süsser geklungen, absolut ohne Kompression, ohne Brickwall-Limiting, und… deswegen haben wir sein Master verwendet.

MF: Habt ihr Vorgaben gemacht, oder konnten die Engineers sich einfach austoben?

SW: Wir sagten einfach «Es ist uns egal, wenn die Scheibe nicht so laut ist wie die nächstbeste», aber davon abgesehen einfach «Macht euer Ding, bis es richtig klingt!».

MF: Ok.

SW. Und… Wie gesagt, die Platte wurde ziemlich gut aufgenommen, also hätte sie auch gar nicht viel benötigt. Also wäre jeder, der tonnenweise Equalisation und Zeugs… also das hat ja eigentlich niemand gemacht! Das waren alles gute Leute, die uns empfohlen wurden. Aber wie gesagt, der Hauptunterschied war schon die Lautstärke, und es ist äusserst interessant, zu sehen… wie viel Spielraum… weisst du, vier bis fünf Dezibel Unterschied zwischen zwei Master… Unsere Musik ist nicht niederwalzend. Sie hat eine Menge Dynamik, also hätte man das auch gar nicht plätten müssen - Wenn du das gemacht hättest, hätte alles viel schlimmer geklungen. Du willst ja nicht die leisen Stellen so laut wie die lautesten Stellen, darum geht's ja in unserer Musik… Von Ambient zu Death Metal zu Pop, die Leute tendieren einfach dazu, alles glatt zu bügeln, davon könntest du die ganze Zeit schreien…

MF: War das ein Problem für das Plattenlabel? (Roadrunner Records sind bekannt für eher plattgedrückte Musik, die Red.)

SW: Nein, überhaupt nicht. Die haben uns komplett vertraut. Es war einfach ein Problem wegen der vergangenen Erfahrung - Wie gesagt, der erste Mastering-Engineer von 'Fear Of A Blank Planet' hat all das gemacht… und darüber bin ich froh. Weil ich deswegen die Sache selber in die Hand genommen habe, wir hatten da kein Geld mehr. Ich bin so froh, dass wir nicht das erste Master haben rausgehen lassen…

MF: In Anbetracht deines kompletten Katalogs an Platten, bei denen du mitgearbeitet hast - Gibt es einen Punkt, an dem du dich hinsetzen, und die Dinger einfach als Musikfan anhören kannst?

SW: Die Platten, die ich gemacht habe? Nein, nie. Niemals. Es ist zu schmerzhaft.

MF: Hörst du immer noch Fehler, oder Sachen, die du hättest besser machen können?

SW: Genau. Du hörst all die Sachen, die die anderen Leute gar nicht hören, Sachen, die nur dich anspringen - Wie eine Hi-Hat mit zu viel Höhen, oder ein komisch gesungenes Wort, oder du denkst «Wir hätten das besser singen sollen!» oder «Diese Gitarre hat zu viel Bass!», all dieser Scheiss.
Vielleicht werde ich das eines Tages können, die Musik ohne all das anzuhören, aber… Ich bin immer noch… Auch die Alben, die ich vor zehn, fünfzehn Jahren gemacht habe, ich bin da immer noch zu nahe dran, um sie mir anzuhören. Ich finde sie immer noch ziemlich schmerzhaft. Wirklich, der letzte Moment, in dem ich mir die Sachen anhöre, ist beim Mastern.

MF: Du hast ja auch einige Platten in 5.1 neu gemischt und/oder neu gemastert - Wie schwer war das?

SW: Neu Mischen war einfach, weil du dabei eine Menge davon reparieren kannst. Aber neu mastern… du musst da einfach alles noch mal anhören, etwas EQ hinzufügen, oder was auch immer… Das ist schon ziemlich schmerzhaft, ja.

MF: Und die Versuchung, davon etwas neu einzuspielen?

SW: Nun, um ehrlich zu sein, ich habe ja nur zwei Alben neu gemischt, 'Stupid Dream' und 'Lightbulb Sun', das habe ich in einer Retrospektive gemacht. Wenn ich weiter zurückgehe… Ich habe beispielsweise 'Up The Downstair' nicht neu gemischt, sondern gleich komplett überarbeitet - Weil ich die Drum-Maschinen mit echten Drums ersetzen wollte. Das habe ich vor fünf, sechs Jahen getan… Die Versuchung ist schon da, wenn man schon mal hinter den Reglern sitzt, weisst du? Einige Sachen, die ich damals aufgenommen habe, sind schon ziemlich primitiv - Ich hatte kein Budget für Equipment, also konnte ich auch kaum einen guten Sound rausholen… Die akustischen Gitarren klingen dünn und hässlich… Also war die Versuchung schon da, mal eben zu sagen «Ah, das dauert nur fünf Minuten, diesen Gitarren-Teil neu aufzunehmen», aber tatsächlich habe ich es nicht gemacht. Ich dachte «Das geht einfach zu weit». Sowas ist extremst verlockend, gleich neu aufzunehmen - Aber darum geht es einfach nicht. Der Punkt ist, dass bestimmte Arbeit genau wegen den Verfänglichkeiten das ist, was sie ist. Und wenn du dann beginnst, da aufzuräumen, dann verlierst du eventuell genau, was ursprünglich daran so charmant war, du verlierst, was die Leute vielleicht genau gemocht haben, was einfach Teil davon ist.

MF: Was ist der Unterschied, wenn du für Porcuine Tree oder für dich selber schreibst?

SW: Nun, das ist einfach. Wenn ich für Porcupine Tree schreibe, dann weiss ich, dass ich für vier Leute schreibe, und ich weiss genau, was diese vier Leute verbindet, und was ihnen Spass macht, zu spielen. Wenn du dir die vier Leute in Porcupine Tree als vier Kreise vorstellst, dann gibt's einen Teil, wo sich die vier Kreise schneiden - Der ist ziemlich klein -, da verstehen wir uns, das ist unsere Musik. Ich würde nie verlangen… Auch wenn ich den grössten Teil der Musik schreibe, würde ich nie verlangen, dass sie etwas spielen, was sie nicht mögen, oder verstehen, oder geniessen können. Als ich für meine Solo-Scheibe schrieb, konnte ich all das machen, weil ich das nie einer Band zeigen musste. Ich habe beispielsweise viel extremen Lärm auf dieser Platte verwendet, Drones, Soundwände, und das verstehen nicht alle Musiker, die Verwendung von Lärm in der Musik - Manchmal ist es für sie einfach nur Lärm. Das andere, was ich auf meiner Soloplatte verwirklichen konnte, ist, die Gitarre zu verwenden, um Flächen und Sounds zu erzeugen, die bei uns normalerweise von den Keyboards übernommen werden würden. Bei Porcupine Tree sind viele dieser Flächen Richard (Barbieri, Keys/Synths - die Red.), aber auf meiner Solo-Scheibe gibt's kaum was davon, ich habe dazu Gitarren verwendet, so ein Shoegaze-Ansatz der Gitarre. Also das war auch für mich unterschiedlich.

Was die Texte angeht, da habe ich versucht, weder fliessend noch klar zu sein, es sollte nichts bedeuten. Bei Porcupine scheint es immer so, als ob alles eine Bedeutung hätte, und das versuche ich auch so umzusetzen, damit die Leute die Themen erforschen können, die Texte erforschen können. Auf meiner Solo-Platte sollten die Texte und der Gesang einfach Teil der Flächen, der Musik sein - Ich wollte nicht, dass die Leute da zu viel analysieren. Deswegen sind im Booklet auch keine Texte abgedruckt. Ich wollte nicht, dass die Leute die lesen und analysieren. Das sind so zwei oder drei grundsätzliche Unterschiede. Und natürlich sagen die Leute «Das hätte auch klar auf einer Porcupine Tree-Scheibe sein können!»… Natürlich, ich kann mich ja nicht verstellen, meine Persönlichkeit kommt da immer noch durch, egal was ich mache! Aber da gibt's eben auch einige Aspekte auf dieser Platte, die Porcupine Tree nicht spielen würden.

MF: Für die Solo-Scheibe bist du rund um die Erde gereist, und hast unter anderem in Mexiko, Japan und Israel aufgenommen - Wie kam's dazu?

SW: Das ist ebenfalls etwas spezielles an der Solo-Scheibe – das ist etwas, das ich nie mit einer Band machen konnte, das wäre einfach zu kompliziert. Zu sagen «Hey Leute, lasst uns diese Woche nach Mexiko gehen, um dort aufzunehmen!», oder etwa «Lasst uns nach Israel gehen!»… Aber bei der Solo-Scheibe – Weil's da wirklich nur ich und ein Filme-Macher waren, der die ganze Zeit dabei war - Wir waren da völlig frei, konnten uns während dem Prozess entscheiden… Und wir überlegten halt «Wo wäre es toll, um aufnehmen zu gehen, wo könnte man gut filmen?», und dann eben «Hey, lass uns nach Mexiko gehen!», und das haben wir dann gemacht. Sobald wir da ankamen, haben wir ein paar Leute getroffen, die wir vor Ort kannten, wir haben Musiker gefunden, wir haben Studios gefunden, wir fanden… Eine der besten Locations an der wir aufgenommen haben, war in Mexiko City: Eine alte, verlassene Gruft. Da konnten wir quasi mitten in der Nacht hingehen – Das war ein grusliger Ort. Die Geister all der Leute, die da durchgegangen sind, waren die ganze Zeit bei uns. Und… Einfach ein inspirierender Ort. Und ich bin da wirklich einfach reingegangen, hatte nix zum aufzunehmen, und… Es war ein Piano dort, also habe ich mich da hingesessen, an Ort und Stelle was geschrieben, und wir haben es direkt auf einen Laptop aufgenommen, das ganze gefilmt, und das wurde dann der Titelsong von «Insurgentes». Also gab's definitiv Fälle, bei denen die Location explizit Einfluss auf den kreativen Prozess hatte. Das kannst du mit einer kompletten Band einfach nicht machen, weisst du? Da gibt's immer Material zum rumschleppen, und Leute, die dann meinen «Ich sollte diese Woche noch zum Zahnarzt!», oder etwa «Ich habe meiner Frau versprochen, ich würde sie abholen!». All das, weisst du. Da kannst du nicht einfach so sagen «Hey Jungs, lasst uns heute nach Brasilien gehen!», das kannst du solo machen.

MF: Wie viel des Solo-Materials war tatsächlich schon fertig, bevor ihr euch aufgemacht habt, herum zu reisen und zu recorden? Oder wurde der grösste Teil wirklich dann vor Ort entwickelt?

SW: Mehr oder weniger. Ich habe ein paar Sachen geschrieben… Als ich begonnen habe, an der Solo-Scheibe zu arbeiten, bin ich in mein Studio gegangen, um mit Ideen rumzubasteln - Um zu gucken, ob was da ist. Und ich habe… gut drei, vier Songs geschrieben, um dann zu realisieren «Ok, ich hab' hier was, etwas spezielles, ich glaub' das würde auf die Platte gehören, aber da kommt noch mehr». An diesem Punkt habe ich den Filme-Macher angerufen, und gesagt «Hör' mal, ich mache eine Solo-Scheibe, und… Ich möchte, dass du den ganzen Prozess filmst, und hey: Lass' uns einen Road-Trip machen!». Ich habe den Prozess gestartet… ich habe nicht… ich habe nicht… ich habe es gemacht, weil ich Vertrauen darin hatte, dass da noch genug kommen würde. Ich meine, es gäbe nichts schlimmeres, als auf den Road-Trip zu gehen, und dann zu denken «So, und was tu' ich jetzt?». Aber ich wusste, dass da genug vorhanden war, ich hatte eine starke Vision für die Platte – so viel, dass ich genug Vertrauen hatte, dass ich losgehen, und das tun könnte.

MF: Diese ursprünglichen Songs, haben die es auf die Platte geschafft?

SW: Ja! Aehm… Der erste, den ich geschrieben habe, war 'Get All You Deserve', und der zweite war 'Harmony Korine', und der dritte dann 'Salvaging'. Und… an diesem Punkt war ich wirklich sehr aufgeregt über diese drei Stücke - Und der Rest wuchs dann aus dem Road-Trip heraus.

MF: Interessant, dass es gerade diese Songs sind - Die scheinen mir am stärksten mit Porcupine Tree verbunden zu sein.

SW: Richtig! Möglicherweise! Ich denke 'Salvaing' ist ziemlich unterschiedlich, die Struktur ist sehr unterschiedlich. Es startet mit diesem donnernden Ruf, geht dann in diese wunderschöne Orchester-Sektion, und endet mit einer Wand an Lärm - Und das war für mich schon sehr kinomässig. So etwa wie eine Kino-Suite. Was ich jetzt nicht unbedingt mit Porcupine Tree assoziieren würde. Aber du hast wahrscheinlich recht, du hast wahrscheinlich recht. Diese Songs wurden ja im gleichen Umfeld wie die Porcupine Tree-Songs geschrieben - Es gibt da wahrscheinlich schon einige Zusammenhänge.

MF: Du hast um den Album-Release herum öffentlich ein paar Wege getestet, wie man iPods am besten zerstören kann - Quasi als Metapher, um die schlechte Qualität der Musikkompression an den Pranger zu stellen, der sich die Leute heutzutags hingeben. Was sind deine grundsätzlichen Gedanken zu diesem Thema? Gibt es noch Hoffnung, oder sind die Leute einfach bescheuert, oder…

SW: Nein! Das ist überhaupt keine Dummheit… Erstens denke ich, war es es wert, das auf den Punkt, und die Leute wenigstens zur Diskussion gebracht zu haben. Und wir haben das ja gefilmt, die Idee war, das ganze in einer lustigen, unterhaltenden Art und Weise rüberzubringen… «Haha, der durchgeknallte Mucker zerstört iPods!» – Immerhin das Thema zur Diskussion gebracht zu haben. Die Sache ist doch die: Die Leute realisieren das gar nicht… vor allem Kinder, die in den letzten fünfzehn Jahren geboren wurden, die jetzt vielleicht Teens sind, die sind nie wirklich mit etwas anderem aufgewachsen. Die konnten schon immer Musik runterladen, die konnten schon immer ihre Musik auf ihren iPods anhören… Und die sind sich einfach nicht darüber bewusst… was für Scheisse sie sich da anhören. MP3 sind einfach extremst schlimm komprimierte Versionen von etwas, das ursprünglich mal Kunst war. Du würdest ja auch nicht ein grossartiges Gemälde nehmen, es in ein JPG umwandeln… und dann erwarten, dass die Leute dieses JPG angucken. Du willst, dass die Leute zum Bild hingehen, die Reflektionen des Lichts an der Oberfläche, den Farben, und der Farbtextur bestaunen. So stellt man ein grosses Meisterwerk zur Schau. Und ich glaube, mit der Musik ist es das selbe… MP3 sind wie die JPGs… Man kann's immernoch bestaunen, wenn's denn ein wirklich gutes Gemälde, oder eben ein wirklich gutes Stück Musik ist…

Aber es geht nicht um Dummheit, es geht um Bequemheit. Und ich denke, die menschliche Rasse hängt von der Natur her einfach daran, die bequeme Erfahrung der qualitativen vorzuziehen. Man erkennt da auch wiederholende Muster in der Geschichte. Und der iPod ist einfach das letzte Beispiel, wie Bequemlichkeit immer gewinnen wird. Ich würde gerne denken, dass Leute die Ipods benutzen, wenn sie unterwegs sind, im Flugzeug… Aber ich denke, die Realität ist, dass viele Leute nur noch auf iPods Musik hören, und die legen zu Hause nie eine CD auf, oder hören sich nie einen schönen Surround Sound-Mix auf einem richtig installieren (Grinst) System an. Ich befürchte, dass das der Fall ist. Und gerade weil der iPod so bequem ist, ist es genau so einfach, die Sache per USB - oder was auch immer - anzuschliessen, und diese hässlich komprimierten Versionen von Musik anzuhören. Und das ist es für mich zumindest wert, diskutiert zu werden. Und das haben wir halt eben die letzten Jahre gemacht. Ich denke, ich habe das Thema zur Diskussion gebracht, darüber in Interviews gesprochen… Und wenn auch nur ein Kind mit dem Gedanken «Weisst du was? Ich habe darüber gar noch nie so nachgedacht, vielleicht sollte ich einen Plattenspieler, oder eine CD kaufen, und die richtig hören!» davon läuft, dann hat es sich gelohnt.

MF: Ok, cool… gibt es sonst noch was, was du an die Leser von Metalfactory.ch loswerden möchtest?

SW: Oh Gott, ich weiss nicht… wir haben doch schon eine ganze Menge, nicht wahr?

MF: Ich würd's meinen!

SW: Gut!

MF: Cool, danke sehr - Dann war's das!

SW: My pleasure, geniess die Show.

MF: Das werde ich, man sieht sich!

SW: Nett wieder mit dir geplaudert zu haben, bye!

Steven Wilson mit unserem El Muerte >>>