Interview: Overkill

By Tinu
 
Kein Neid auf die "Big Four".



Was wäre die Musiklandschaft ohne Bobby "Blitz" Ellsworth? Genau, sehr viel ärmer, denn der Shouter von Overkill ist nicht nur ein unglaublicher Sänger, sondern auch eine wilde Rampensau und zusätzlich einer der freundlichsten Interviewpartner, den es geben kann. Mit dem letzten Album «The Grinding Wheel» zementierte die US-Truppe einmal mehr, dass sie zu den geilsten US-Power-Thrash Metal-Truppen gehören. Die Mischung aus teils Black Sabbath-artigen Sounds, gepaart mit einer punkigen Thrash-Note, in welcher immer der US-Metal die Oberhand behält, sucht nach wie vor Seinesgleichen. Seit 1980 existiert der Fünfer, damals noch als Quartett. Die Belange wurden von Bobby und seinem "Partner in crime" D.D. Verni (Bass) immer klar strukturiert geführt und vorangetrieben. Der 59-jährige Shouter sass mir gut gelaunt gegenüber. Sein spitzes Lachen erschallte im Minutentakt, und somit stand einem erneut tollen Interview nichts im Wege.

Bobby: Hey Martin, euer Nico Hischier ist ein verdammt toller Hockeyspieler. Ich schaue mir so oft ich kann die Spiele der New Jersey Devils an.

MF: Tja und dann hast du noch keine "Day Offs" auf dieser Tour hier…

Bobby (lachend): "No rest for old mans" (schallendes Gelächter). Wir spielen siebzehn Shows, und da ist es okay, wenn wir keinen freien Tag haben. Unter normalen Umständen verzichten wir auf "Day Offs". Zudem macht dies das Budget kleiner (grinst).

MF: Ist es kein Problem nicht Headliner auf dieser Tour («Headbangers Ball») zu sein, beziehungsweise, wie schwierig ist es die richtige Setliste zusammen zu stellen?

Bobby: Zuerst sollte es eine Double-Headliner Geschichte sein, zwischen Overkill und Arch Enemy. Arch Enemy haben sich dann dazu entschlossen nicht mitzumachen, aber wir hatten den Vertrag schon unterschrieben. Nun spielen wir fünfzig Minuten und legen den Wert auf einen möglichst runden Set. Aber die Songs auszuwählen ist ein "pain in the ass"! Mein Gott, wie viele Songs könnten wir spielen bei der Spielzeit…

MF: …wie immer "no fillers, just killers"…

Bobby (lautes Lachen): …ja mein Bruder, den Titel hast du mir vor einigen Jahren angeheftet (lacht). Da spielen wir heute für dich wohl nur Songs der ersten fünf Scheiben (lautes Lachen).

MF: Du bist 58 Jahre jung geblieben…

Bobby (lachend): … hey Jungs, habt ihr das gehört? "Some drinks for my friend Martin!" (lacht)…

MF: …woher erhältst du noch immer diese Energie für die Bühne?

Bobby (schaut mich mit grossen Augen an): Willst du eigentlich Geld von mir (schallendes Gelächter)…

MF: …okay, ich will es gar nicht wissen…

Bobby: …gute Drogen (lautes Lachen)! Die Zeiten mit "Sex, Drugs And Rock'n'Roll» sind schon lange vorbei. Natürlich ist der Rock'n'Roll geblieben, aber Sex und Drogen existieren nicht mehr. Feierst du bis morgen um vier Uhr, würde mich das killen. Gestern Abend habe ich mit meiner Frau telefoniert und bin dann sofort ins Bett gegangen. Es macht Sinn, dass man sich mehr Gedanken zu seiner Gesundheit macht, als dies noch früher der Fall war. Trotzdem habe ich Appetit für Spass zusammen mit meinen Jungs. Klar trinken wir zusammen ein paar Biere, aber dies darf unserer natürlichen Energie nicht schaden. Liebst du deinen Job, ist dies gleich zu setzen mit einem Aufstieg zu einer natürlichen Sucht. Es treibt dich voran, auf eine ganz natürliche Art und Weise.

MF: Trotzdem hat euch Ron Lipnicki (Schlagzeug) verlassen…

Bobby: …ganz ehrlich? Er hat es uns nie gesagt warum (lautes Lachen). Das hat mich schon ein bisschen abgefuckt. Wir spielten eine der grössten Shows in unserer Karriere in New York. Zusammen waren wir mit Symphony X als Double-Headliner unterwegs. Es hat alles perfekt gepasst. Wir spielten da noch nie vor 2'500 Leuten. Am Ende der Show kam Ron zu mir und sagte: "Oh, ich werde heute mein Schlagzeug mit nach Hause nehmen." Einen Monat später war er verspätet mit Dingen, die er sonst immer zeitnah ablieferte. Ich rief ihn an und sagte: "Hör mal mein Lieber, Brasilien wartet nicht auf uns. Also schick mir das Zeugs zu." Das Nächste war, als wir für die DVD-Show in Oberhausen probten. Da meinte er nur, dass er keine Zeit dazu hätte (lautes Lachen). Das ist die verdammte Wahrheit und mehr kann ich dir dazu nicht sagen! Ich versuchte mit ihm darüber zu sprechen, den Grund heraus zu finden oder ob wir etwas verändern oder verbessern könnten. "Oh nein, es sind einige andere Dinge!" Er gab mir nie eine genaue Antwort, was der Grund oder die Gründe für seinen Ausstieg waren. Wir liessen ihm die Türe offen, sollte er persönliche Probleme haben und zu uns zurückkehren wollen. Aber es bleibt wohl ein Geheimnis, wieso er ausstieg, zumindest bis heute. Zum Glück fanden wir Jason Bittner.

MF: Jason, ein Glücksgriff für euch?

Bobby: Er ist ein alter Freund von uns. Bevor wir unsere US-Tour starteten, rief ich Jason an und fragte, ob er bei uns aushelfen könnte. "Gib mir fünf Minuten, ich laufe gerade mit meiner Frau um den Block". Fünf Minuten später rief er an und meinte: "Bin zurück von meinem Spaziergang, ich bin dabei" (lautes Lachen). Wir kennen uns seit Jahren und sind immer in Kontakt geblieben (Jason läuft vorbei). "Hey Jason, das ist Martin, ein alter Freund von mir!"

MF: Wenn ihr einen neuen Musiker findet, was ist dir wichtiger? Sein Spiel oder seine Persönlichkeit?

Bobby: Persönlichkeit! Wir sind so viel unterwegs, und wenn da die Chemie nicht passt, dann hast du echt ein Problem. Zuerst muss die Person seriös sein, und dann muss ich sie mögen. Ich denke, das ist grundsätzlich der Schlüssel zum Erfolg.

MF: Wenn du zurück schaust, welches war die erfolgreichste Zeit für dich?

Bobby: Oh, da gibt es viele Stationen und auch viele Wege den Erfolg zu definieren. Metallica können zur Bank gehen und… (schallendes Lachen). Diesen Erfolg werde ich nie mehr haben, beziehungsweise deren Kontostand (lautes Lachen). Grundsätzlich wüsste ich aber nicht, ob mich dies glücklicher machen würde. Aber ich bin sicher, dass ich bedeutend erfolgloser bin, was das Geld betrifft. Den persönlichen Erfolg erlebte ich in den neunziger Jahren. Zu 90% haben wir uns selber gemanagt. D.D. und ich waren uns sicher, diese Belange selber in die Hand nehmen zu können und deswegen nicht weniger erfolgreich zu sein. Wir wurden vom Major-Label getrennt, aber konnten immer wieder neue und bessere Verträge mit neuen Firmen abschliessen. Ich erinnere mich, wie ich von New Jersey nach North Carolina gefahren bin. Eine verdammte Zwölfstundenfahrt. Ich verteilte Demos auf den Pulten irgendwelcher Bosse und sagte: "Hey, ich bin von Overkill und will auf eurem Label sein!" Tja und alle wollten uns. Du weisst, was ich meine (grinst). Sie luden mich in verdammt teure Restaurants ein und wir speisten wie die Fürsten (schallendes Gelächter). Trotzdem ergab sich daraus eine sehr gute Zusammenarbeit mit CMC und der Deal mit Spitfire. Wir machten diesen Scheiss, um weiterhin am Ball bleiben zu können. Es öffnete uns neue Türen und brachte uns viele Erfahrungen ein. Damals war der Metal gerade im Umbruch, aber unser Tun liess den Namen Overkill, speziell in den Staaten, nicht in Vergessenheit geraten. Wenn ich zurück schaue, so haben wir zwischen 1995 und 1997 viel gelernt. Ich im Speziellen viel über das Business und war dabei so erfolgreich, dass ich bei Diskussionen mitreden konnte, die ich vorher nicht führte. Endlich hatte ich eine Art Manager, "one little motherfucker", dem ich vertraute und er spielte in meiner Band (lautes Lachen). "How fucking great is that?" (lautes Lachen). Darum denke ich, dass diese Zeit meine persönlich erfolgreichste war. Ich sah, was alles möglich war, wenn man hartnäckig daran arbeitet. Viele andere Musiker hätten ihr Zeugs zusammengepackt und wären nach Hause gegangen. D.D. und ich haben uns für den anderen Weg entschieden und blieben erfolgreich.

MF: Bei allem Erfolg, gab es dann auch dunklere Zeiten?

Bobby (überlegt lange): In einer Band zu sein (grinst)… Ehrlich, ich habe mir nie Gedanken über schwierigere Momente gemacht. Du kennst mich Martin. All die Zeit erlebte ich als eine tolle Reise. Es war mein Leben, vielleicht nicht eine Karriere. Ich wollte immer ein Heavy Metal Leben führen. Was war schwierig (überlegt)… Wahrscheinlich der Verluste des ersten und zweiten Musikers in der Band. Das gab mir das Gefühl, dass nicht alles für die Ewigkeit ist. Die Energie eines jungen Mannes, mit Appetit auf Alkohol, Mädels und Parties… Du weisst, was ich meine…

MF: …da haben wir es wieder! Sex, Drugs And Rock'n'Roll…

Bobby (schallendes Gelächter): …du stellst es für mich richtig und bringst es auf den Punkt (lautes Lachen) und ich habe es damals umgesetzt, speziell wegen dem ersten (schallendes Gelächter). Das ist der Schlüssel zum Erfolg, genau das (lautes Lachen), oder war es (lacht). Erfahrungen bringen dich dazu, Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Damals fehlten mir einige Erfahrungen. Als Rat Skates (Schlagzeuger) nach zwei Alben den Abflug machte… "Two works have done, FINITO!" Als uns dann noch Bobby Gustafson (Gitarre) verliess, sah ich die Band schon am Ende. Aber, es entwickelte sich mit anderen Musikern ein neues gutes Gefühl. D.D. und ich schrieben «Horrorscope». Das Album hörte sich wie ein hungriger Löwe an, der auf alles pisste, was sich ihm in den Weg stellte. Okay, er war auch spitz (lautes Lachen). "A horny life, sorry lion" (schallendes Gelächter). Das war einer der ersten grossen Lernprozesse, die ich durchlebte. Veränderungen können was sehr Positives haben oder Veränderungen können Dinge erfrischen und aktualisieren. In der harten Zeit, wenn dich Musiker verliessen, war das Resultat eine positive Geschichte.

MF: Wenn wir schon beim Refreshen sind, wie wichtig war es für dich, eurem Sound immer wieder etwas Neues beizufügen? Ich denke da von «Horrorscope» zu «I Hear Black» oder von «Bloodletting» zu «Killbox 13».

Bobby: Das war ein Lernprozess für uns. «Horroscope» steht für den damaligen Aufbruch in der Thrash-Szene. Das Album war purer Thrash, aber hatte unheimlich viel Groove zu bieten. Es war nicht nur die Geschwindigkeit, welche die Härte dominierte, sondern es war die pure Energie mit einem alles niederwalzenden Groove. Ab diesem Moment haben wir uns immer wieder einen Schritt weiter entwickelt. Wir haben immer wieder Neues dazugelernt. Dabei haben wir viele unterschiedliche Charaktere in unser Songwriting eingebaut. Viele Leute sind der Meinung, dass sich Overkill nicht verändert haben. Das ist völliger Blödsinn. Wir haben Tempowechsel, Groove, Rock'n'Roll und Doom, sowie Heavy Metal. All diese Stilelemente vermischten wir für eine gute Konfiguration. Wir haben den Overkill-Sound immer erneuert. Kräfte verändern sich! Wir sind noch immer hungrig beim Schreiben und sich als Sänger, Bassist oder Songwriter zu verbessern. Merkt dies die Öffentlichkeit, wirst du gute Resultate vorweisen können. All die letzten Werke wie «The Grinding Wheel» oder «Ironbound» beinhalten eine Aussage. Du kannst die Frage nach dem Hunger beantworten (lacht). Nicht durchs Fragen, sondern durchs Hören der Lieder.

MF: Wieso hat «I Hear Black» nie den Erfolg bekommen, der ihm zustand?

Bobby: Am Ende des Tages war es unser erfolgreichstes Werk (lacht). Damals war die Promotion unglaublich gross. Die Radiostationen haben die Lieder gespielt und MTV die Videos. Das war eine perfekte Vorlage für uns. Aber bei den Fans erhielt das Album nicht den Respekt, den es verdient hätte. Das war ein weiterer Lehrprozess für uns. Nach «Horroscope» wechselten wir von einem Gitarristen (Bobby Gustafson) auf zwei (Merritt Gant und Rob Cannavino). Der Fokus wechselte sich beim Songschreiben von D.D. und mir auf die beiden Neuen. Wir tauschten uns mit den Beiden aus und wurden dadurch ein bisschen… unfokussiert. Höre ich mir die Scheibe heute an, höre ich dieses Nichtfokussiertsein heraus. Unsere Idee war es, eine absolut grossartige Scheibe zu komponieren. Aber wenn du neue Leute in den Overkill-Sound einarbeiten musst, dann lenkt dies dich zu sehr ab. Das war schlussendlich das Resultat dieser Scheibe.

MF: Die grossen Vier im Thrash Metal, Metallica, Slayer, Megadeth und Anthrax…

Bobby: …die grossen Wer (schallendes Gelächter)?

MF: Das ist die grosse Frage, wieso fehlen hier Overkill?

Bobby: Diese Scheissverkaufszahlen. Wir haben vorhin darüber gesprochen, dass Metallica zu ihrer eigenen Bank laufen. Das Schöne ist, dass wir ein gutes Verhältnis zu Metallica haben. Hätten wir mehr Platten verkauft, würden wir auch dazugehören. Liebe oder hasse es, aber du musst es erkennen und akzeptieren. Ich war auch nicht enttäuscht darüber, dass die anderen Vier mehr Anerkennung oder Erfolg feiern konnten. Erfolg kannst du auf viele Arten definieren. Spiel nicht mit Neid, damit öffnest du eine grosse Box. Filtere alles was du gemacht hast. Dabei habe ich nie meine Erfolge oder die Misserfolge gezählt, sondern habe mein Leben gelebt. Stell mich in einen Raum mit dreissig Musikern, und ich kann dir in wenigen Sekunden sagen, welcher der Echte und welcher der "Faker" ist (lacht). Und ich bin verdammt stolz darauf, dass ich nicht zu den "Fakern" gehöre (lautes Lachen). Das ist ein gutes Mass, Erfolg zu messen. In einer Welt, in der grosses Talent kaum was zählt, alles andere berühmt und erfolgreich wird und selbst die Plattenfirmen heute noch an den Merchandise-Artikeln verdienen wollen… «That's the modern day slavery» (lautes Lachen).

MF: Wie wichtig ist für dich die Balance zwischen Privatleben und der Musik?

Bobby: Die Familie kommt immer an erster Stelle! Das ist ganz einfach! Was wir tun, das wollen wir. Auch wenn die Leute denken, dass es ein harter Job ist. "Oh mein Gott, ihr geht auf Tour und habt nicht mal einen freien Tag "you poor son of a bitch" (lautes Lachen). Dabei trinken wir nur Bier und spielen Karten (lautes Lachen). Der Grund, wieso dies alles Möglich ist? Weil wir alle verständnisvolle Familien haben. Der Start von Verständnis… Ich versuche zu verstehen, dann wird die Liebe in der Familie um einiges grösser. Ich verstehe, dass es so sein muss. Ja, lebe dein Leben, aber stelle deine Familie an erster Stelle. Ich erinnere mich an so viele Momente in meiner Karriere, zusammen mit D.D… Seine Frau und er sind seit der Highschool zusammen. "How fucking great is this?" Wie stolz und glücklich ist man da? Starte mit deiner Karriere, aber stell die Familie immer an die erste Stelle! Viele Leute verlieren den Boden unter den Füssen. Ich verlor ihn nie, aber ich bin mir sicher, dass viele Leute die bedeutend erfolgreicher sind, irgendwas in ihrem Leben vermissen.

MF: Auf Tour zu sein, eine andere Welt, als die wirkliche?

Bobby: Natürlich! Für uns war dies nie ein Problem. Klar, wenn du auf Tour bist, fühlst du dich wie ein 14-jähriger Junge, aber zu Hause musst du dich wieder wie ein 40-jähriger Erwachsener benehmen (lacht). Und ich weiss, diese Umstellung kann ein verdammtes Problem werden (lautes Lachen). Mir wird immer wieder gesagt, dass dies ein Problem ist (noch lauteres Lachen).

MF: Bobby, wie immer herzlichen Dank für das Interview und den damit verbundenen Spass.

Bobby: Ja, es hat Spass gemacht, wie immer (schallendes Gelächter). Alles Gute und auf bald mein Freund.