Interview: Kittie
By Kissi
Frauen waren in der Rockwelt schon immer in der Unterzahl. Neben all den komplett männlichen Bands und den schon bedeutend rareren Kapellen, in welchen eine zierliche (Nightwish) oder etwas toughere (Doro, Angela Gossow) Lady am Mikro stand oder steht, scheinen die Truppen, welche ausschliessliche aus weiblichen Mitgliedern bestehen, an einer Hand abzählbar. Da gab es mal Vixen, Bitch und immer noch unterwegs sind Girlschool, dazu die Party-Gören The Donnas und die hübschen Schwedinnen Crucified Barbara. Die wohl härteste Allgirl-Band der letzten Jahre jedoch sind Kittie, die gnadenlosen Kanadierinnen um die metallischen Schwestern Morgan und Mercedes Lander. Ende der 90er begonnen, gab's für das Debüt «Spit» von 1999 gleich eine goldene Platte in den USA. Nun, ein ganzes Jahrzehnt, drei mal mehr, mal weniger gelungene Alben, einige Besetzungs- und Labelwechsel später, blieb der ganz grosse Erfolg zwar aus, dafür können Kittie ohne schlechtes Gewissen sagen: Sie haben immer das gemacht, was sie wollten.

So ausgegoren und abwechslungsreich wie auf «In The Black», dem aktuellen Studioalbum der Kätzchen vom letzten Herbst, klang das dabei schon lange nicht mehr. Woher diese neue Kreativität kommt, was sich alles geändert hat und wie es so ist, als Frauentruppe melodischen und gleichzeitig finster harten Sound zu zocken, darüber sprach Metal Factory mit Gründerin und Trommel-Dame Mercedes Lander (ML) und der neuen Bassistin Ivy Vujic (IV) vor ihrer Show in der Küche des leider etwas spärlich bevölkerten Salzhaus in Winterthur. Nichtsdestotrotz sollten die vier Damen an diesem Abend noch eine (wenn auch kurze) Wucht entfesseln, die man ihnen während des ruhigen Interviews kaum zugetraut hätte.

Metal Factory: Hallo Mercedes und Ivy! Zuerst natürlich: Wie geht es euch?

Mercedes Lander: Phantastisch! Die Tour läuft super!

Ivy Vujic: Da kann ich nur zustimmen.

MF: Was gab's denn zu Essen heute?

ML: Gulasch! War das Gulasch?

IV: Nein, das war kein Gulasch, sondern irgendein anderer Rindereintopf. Dazu gab's Reis, Kartoffeln, Salat und Wein.

ML: Und als Nachtisch gab's diese unglaublich leckere Kastanien-Crème, von der ich schon die zweite Portion esse.

MF: Wer von der Band hat den nervigsten Tick, die nervigste Angewohnheit auf Tour?

ML: Ich denke, jeder von uns hat irgendwelche Ticks. Insgesamt lassen sich alle aber ohne grosse Probleme aushalten. Es gibt nichts, das wirklich unausstehlich wäre an einer von uns. Auf Tour haben wir so immer grossen Spass.

MF: Als Kanadierinnen seid ihr tourtechnisch immer öfter in den Vereinigten Staaten unterwegs als bei uns in Europa. In wiefern ist Touren in Europa anders als in den Staaten?

ML: Ich denke, der grösste Unterschied besteht im Verhalten der Fans während der Show. In Amerika drehen die Leute einfach komplett durch, wenn sie guter Laune sind. Dann hören sie während der ganzen Show nicht mehr auf zu feiern. Hier in Europa wirken die Leute, wie soll ich sagen, etwas höflicher. Wenn du hier spielst, dann werden die Leute unglaublich leise, da sie sich wirklich dafür interessieren, was und wie du spielst. Ansonsten bleibt die Sache ja letztendlich die selbe. Und wie so oft kann man das nicht einfach pauschalisieren. Es gibt gute Clubs in den Staaten, es gibt schlechte Clubs dort. Es gibt gute Clubs in Europa, es gibt schlechte Clubs hier.

MF: Während meinen Vorbereitungen hab ich irgendwo gelesen, dass Kittie seit ganzen 10 Jahren niemals als Vorband gespielt hat. Falls das stimmt: Warum?

ML: Das lag einzig und alleine am Label. Dieses wollte einfach nichts dafür bezahlen. Wenn du aber als Support auf einer Tour mit dabei bist, dann musst du meistens draufzahlen, damit es reicht. Es geht ja dann nicht darum, Geld zu verdienen, sondern neue Fans zu gewinnen. Und wenn dein Label nicht darin investieren will, dann ist es einfach nicht möglich. Man kann ja dann nicht für 150 Dollars Gage spielen und gleichzeitig noch das Benzin und alles andere bezahlen. Jetzt haben wir aber ein Label, welches uns wirklich wahnsinnig unterstützt und hoffen nun, dass sich das ändern wird.

MF: Und für wen würdet ihr denn gerne mal eröffnen?

ML: Das ist mir eigentlich egal. Ich würde für praktisch jede Band, die grösser ist als wir, die Vorband geben, da ist ja nichts Schlechtes dabei.

IV: Am allerliebsten würden wir aber schon mit Metallica auf Tour!

ML: Ja genau! Vorband von Metallica, das wäre verdammt cool!

MF: Kittie hat in der Vergangenheit ziemlich viele Besetzungswechsel verkraften müssen, wobei nur noch du, Mercedes, und deine Schwester Morgan von den Originalmitgliedern übrig geblieben seid. Seid ihr, deine Schwester und du, schwierige Menschen zum Zusammenarbeiten?

ML (lacht): Nein, das denke ich nicht. Jedes ehemalige Mitglied hat sich selber entschlossen, Kittie zu verlassen. Niemand wurde jemals gefeuert. Ich glaube einfach, dass nicht viele Leute für das Leben on the road gemacht sind und falsche Vorstellungen haben. Ich meine, da ist weder Champagner noch Limousine. Wir machen nicht wirklich viel Kohle und irgendwann, nach einigen Tagen auf Tour, beginnt man einfach leicht zu müffeln, da man schlicht nicht so viel duschen kann, wie man gerne möchte. Dafür sind eben nicht viele Leute gemacht. Und um ehrlich zu sein: Dazu kommt, dass gewisse Leute auch einfach etwas verrückt sind.

IV: Wenn man als nicht so grosse Band auf Tour ist, dann ist das Musikerleben halt nicht so, wie man es aus Hollywood-Filmen oder Rockstar-Biographien kennt. So ist es einfach nicht. Ich meine, wir kommen finanziell gerade so durch, haben dafür aber verdammt viel Spass.

ML: Genau! Es macht Spass, doch nicht viele Leute sind dafür wirklich gemacht.

MF: Was ist denn so hart am Tourleben?

ML: Ich denke nicht, dass es hart ist. Ich meine, ich würde das nicht seid über 10 Jahren machen, wenn ich es wirklich hart finden würde. Man muss dann halt auf gewisse Dinge verzichten, die sonst so selbstverständlich sind in einem normalen Leben. Ein richtiges Badezimmer zum Beispiel.

IV: Ja, das ist das Härteste. Am Morgen wachst du kaputt und verkatert auf und versuchst solange durchzuhalten, bis ein Badezimmer kommt.

MF: Eure neue Scheibe hört auf den Namen «In The Black». Was habt ihr denn im Dunkeln gefunden?

ML: Es geht eigentlich weniger um Dunkles oder so. Der Titel ist vielmehr eine Anspielung auf die Redewendung «schwarze Zahlen schreiben». Auf englisch sagt man: «I'm in the black». Das Album hat also eigentlich ein sehr positiver Titel.

IV: Der Titel wiederspiegelt auch irgendwie die gute Stimmung in der Band. So als Statement: «Alles ist okay!»

ML: Und sind wir ehrlich: «In The Black» klingt auch einfach verdammt nach Metal! Es ist einfach ein cooler Name.

MF: Für mich ist «In The Black» die ausgereifteste und vielleicht sogar beste Scheibe eurer Karriere, vielleicht, da man auf «In The Black», wie ich finde, eure unter anderem traditionellen Einflüsse besser hört, als auf den Vorgängern.

ML: Das stimmt vielleicht... Ich denke aber, dass Kittie als Ganzes so viele verschiedene Einflüsse hat. Wir alle hören ja nicht nur Metal. Tara (McLeod, Kittie-Gitarristin - Anm.d.Verf.) zum Beispiel liebt Blues und kommt vom Gitarrenspiel her ja eher aus der jazzigen Ecke und auch der Rest von uns hört verschiedene Stile. Unser Gemeinsames ist aber schon klassischer Rock und Metal, was man auf «In The Black» sicher deutlich hört. Ich denke aber nicht, dass das das einzige war, welches den Sound beeinflusst hat.

MF: Wo seht ihr die grössten Unterschiede zwischen «In The Black» und euren vorherigen Alben?

IV: Ich denke, die Produktion ist hörbar besser.

ML: Auf jeden Fall! Der Arbeitsprozess war dabei auch ganz anders. Wir gingen vorher noch nie ins Studio, um eigenständig eine Platte aufzunehmen. Das ganze Album entstand ja ohne Label im Hintergrund und so hatten wir niemanden, der uns über die Schulter schaute, um etwas an uns zu ändern. So war es vielleicht auch das erste Mal, dass wir mit einem Produzenten zusammenarbeiten konnten, der die selbe Vision hatte wie wir. Das war super, da wir den Typ, mit welchem wir das Album machten, schon seid 10 Jahren kennen und er vollen Einsatz gab.

IV: Ich denke, dass kann man an dem Album wirklich hören, dass wir eine klare Vorstellung hatten und es genau so herausgekommen ist, wie wir wollten, ohne von jemand Aussenstehendem in eine Richtung gedrängt zu werden.

ML: Kein Typ, der danebensteht und andauernd sagt: «Denkt dran, ihr braucht noch eine Radio-Single».

MF: Früher wurde euch also Druck gemacht, etwas kompatibler zu sein?

ML: Ich denke, es waren viele Leute, die dachten, sie selbst wüssten besser Bescheid als wir. Nicht, dass man uns Dinge verboten hätte oder so... Ich glaube einfach, dass die meisten Plattenlabels nichts anderes machen wollen als Geld. Dafür klage ich sie nicht an, immerhin sind sie Unternehmen. Manchmal passte dieses Ziel einfach nicht mit unseren eigenen Ideen zusammen.

MF: Was denkt ihr? Würde Kittie anders klingen, wenn ihr Männer wärt?

ML: Nein! Also, ich weiss ja nicht, wie ich als Mann wäre, da ich ja nie einer war. Ich glaube aber nicht, dass unser Sound anders klingt als der von Männern. Ich glaube auch nicht, dass es überhaupt grosse Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt.

IV: Vielleicht würden wir mehr Texte über heisse Frauen schreiben, hahaha...

MF: Warum gibt es dann aber deutlich weniger weibliche Musikerinnen und noch deutlicher so wenige komplett weibliche Bands?

IV: Ich habe keine Ahnung! Ich glaube, dass es ähnlich ist wie in anderen Berufen. Es ist ja noch nicht so lange her, dass es auch deutlich weniger weibliche Anwälte oder Ärztinnen gab. Es war meistens eher ein gesellschaftliches denn ein themenspezifisches Problem. Vielleicht ist es vergleichbar mit einem typisch männlichen Beruf wie Mechaniker. Da ist es ja auch immer noch speziell, wenn es eine Frau macht. Vielleicht sind viele Frauen gerade während ihrer Jugendzeit etwas eingeschüchtert von der Metalszene, da diese auf den ersten Blick ja doch erstens ziemlich männerdominiert und zweitens in der öffentlichen Meinung das Gegenteil von mädchenhaft ist. Ich meine diese wilden, etwas aggressiv wirkenden Kerle mit vielen Haaren, die nicht immer gerade gut riechen und so. Nicht, dass sie wirklich so wären, aber so wirken sie vielleicht von aussen. Ich glaube aber, dass sich das wie in anderen Bereichen gerade heute zu ändern beginnt. Das sieht man ja auch, wenn man das Publikum heute mit dem Publikum vor 10 Jahren oder so vergleicht. Da hat es schon bedeutend mehr Frauen dabei.

MF: Vor einiger Zeit fand in Deutschland der erste akademische Kongress über Heavy Metal und Geschlechter statt. Dabei vertraten auch Leute aus der Szene die Ansicht, dass vor allem früher Frauen gerade von Bands eher als passive Objekte dargestellt wurden.

ML: Ich glaube weniger, dass es die Bands waren als vielmehr die Zusammensetzung des Publikums. Ich meine, in den 80ern waren Metalkonzerte praktisch reine Männerveranstaltungen. Das schreckte Frauen dann natürlich auch ab. Da sind jetzt vielmehr die Frauen gefragt als die Männer. Männer freuen sich natürlich, wenn mehr Frauen zu den Konzerten kommen, hahaha...

MF: Wie seid ihr dann in die ganze Szene gekommen?

ML: Naja, bei mir lag das wohl an meinen Eltern. Ich begann mit Rock und Hard Rock aus den 70ern, dem Sound, den meine Eltern hörten. Irgendwann begann ich dann eben, noch härteren Sound zu hören.

MF: Glaubt ihr, dass es für eine all-female Band leichter oder schwieriger ist im Rockbusiness zu bestehen?

IV: Nein! Ich glaube, beides hat Vor- und Nachteile.

ML: Naja, auch das können wir ja nicht wirklich wissen, da wir nie eine männliche Band waren. Ich denke aber, dass es für jede Band, egal ob männlich oder weiblich, schwierig ist und man kämpfen muss, wenn man etwas erreichen will.

MF: Ihr habt vorher davon gesprochen, dass das Tourleben nicht so ist, wie man es sich vielleicht erträumt hat. Haben sich eure Vorstellungen von der Schweiz erfüllt oder gab es auch Überraschungen?

ML: Also die Klischees wurden schon irgendwie erfüllt. Eure Schokolade ist wirklich unglaublich gut und die Landschaft ist schön. Ansonsten sieht man auf Tour natürlich nicht so viel. Dafür erfährt man auch einiges, wenn man mit Leuten spricht.

IV: Ihr seid schon eines der reichsten Länder der Welt, das merkt man.

ML: Und ihr seid das vielleicht selbstständigste Land der Welt, obwohl ihr so klein seid. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wenn die ganze Welt zugrunde gehen würde, ihr genug Geld und Ressourcen hättet, um die Menschheit wieder auf die Beine zu stellen.

IV: Und ich habe gehört, dass ihr, wie wir in Kanada, für alles ziemlich viel bezahlen müsst.

MF: A propos Kanada: Ich habe immer das Gefühl, dass die Menschen zwischen den USA und Kanada nicht wirklich unterscheiden und Kanada einfach als eine etwas hübschere Version der Vereinigten Staaten betrachten...

ML: Das ist nicht richtig. Es gibt schon einige Unterschiede. Wir haben eine ganz eigene Mentalität und Kultur. Wir hassen es als Amerikaner bezeichnet zu werden. Das ist vielleicht so, wie wenn man dich fragt, aus welchem Teil Deutschland du stammst. Und wir haben den Ahornsirup erfunden, den in Amerika alle essen...

MF: Wie sehen die Pläne für Kittie in 2010 aus?

ML: Wir wollen dieses Jahr vor allem touren. Hoffentlich werden wir dabei einige Support-Möglichkeiten kriegen, die seit 10 Jahren auf uns warten.

IV: Ich hoffe, dass wir im Sommer wieder nach Europa zurückkommen, um auf ein paar Festivals zu spielen.

MF: Und die letzte Frage, welche ich am Ende jedes Interviews stelle: Wo werdet ihr und/oder Kittie in 10 Jahren stehen?

ML: Entweder werde ich dann immer noch das machen oder irgendwas anderes mit Musik, als Produzentin vielleicht oder als Songschreiberin...

IV: So stell ich mir meine Zukunft auch vor. Ich glaube zwar nicht, dass ich mit 60 noch auf einer Bühne headbangen werde, aber...

ML: Ich hoffentlich schon. Obwohl ich nicht weiss, ob dann noch jemand Eintritt bezahlen will, um mich mit einem künstlichen Hüftgelenk und überzogen von Falten spielen zu sehen, hahaha...

IV: Musik sollte dann aber schon noch der Mittelpunkt sein.

MF: Dann wünschen wir euch also die Möglichkeit, bald als Vorband nach Europa zurückzukommen! Mercedes, Ivy, ich danke euch für eure Zeit.

ML: Kein Problem! Geniess die Show! Und frag nach dem Rezept für diese Kastaniencrème, die ist wirklich lecker!


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