Interview: Helloween
By Roger W.
Pünktlich zu Halloween sind die deutschen Power-Metal-Ikonen Helloween wieder mit einem neuen Werk am Start. „7 Sinners“ präsentiert sich die Band ungewöhnlich hart und beweist, dass die Jungs nichts von ihrer traditionellen Spielfreude verloren haben. Ebenso wichtig ist der Humor, der immer wieder durchschimmert. Roger W. traf Sänger Andi Deris und Gitarrist Sascha Gerstner an einem sonnigen Montagnachmittag in Zürich. Er erhielt nicht nur Einblick in die Musiktheorie, sondern traf auch zwei Personen an, die teils (passend zum Album) brutal ehrlich zu sich selber sind.

MF: Pünktlich zu Halloween kommt das neue Helloween-Album raus. Das ist seit ein paar Jahren ja immer so. Ist das Zufall oder plant ihr das auch?


AD: Irgendwer fing mal mit dieser Unart an. Der dachte wohl, dass es völlig klar und naheliegend ist, dass ein Helloween-Album an Halloween rauskommen sollte. Ich finde das persönlich eigentlich komplett scheisse. Aber andere Herren haben gedacht, dass der VÖ (die Veröffentlichung) genau immer dann sein muss. Es ist auch okay für die Leute und ganz witzig, weil sie dann immer an Halloween gucken können. Mittlerweile sind sie sich das ja gewohnt.

MF: Es ist aber nicht so, dass ihr das Album monatelang deswegen zurückgehalten habt.

AD: Das haben wir Jahre zurückgehalten (lacht).

MF: Es war ja im August fertig.

SG: Wir sind eigentlich froh, dass wir es noch rechtzeitig fertig gekriegt haben. Das mit dem VÖ hat sich so ergeben. Und einmal im Jahr ist halt Halloween und vom Zyklus ist es auch so, dass wir immer im Herbst auf Tour gehen. Also machen wir folglich das Album immer davor. Und das hat auch gerade so hingehauen.

AD: Wobei wir diesen Teufelskreis auch mal durchbrechen sollten. Weil wenn wir zum Beispiel im Februar oder März rauskämen, dann müsste man doch eigentlich in den Frühling und Sommer rein touren dürfen. Ich glaube, ich werde ab sofort dagegen sein, das Ding an Halloween rauszubringen.

MF: Das Album "Rabbits Don’t Come Easy" wäre doch was für Ostern gewesen?

AD: Ja, stimmt (lacht). Das hätten wir eigentlich an Ostern rein zaubern müssen.

MF: Kommen wir zum neuen Album. Nach den ruhigen Interpretationen eurer Klassiker zum 25. jährigen Jubiläum ist das neue Album sehr hart geworden. War das eine Reaktion auf das ruhige Album?

AD: Das war eine Trotzreaktion (lacht). Oder mindestens was Ähnliches, weil wir durch die ganzen Produktions-Wochen mehr oder weniger ein Verstärker- und ein elektrisches Gitarren-Verbot hatten. Du durftest ja keinen Krach machen. Und immer nur eine Akustik-Gitarre ist dann irgendwann nicht das, wofür du dir irgendwann in jungen Jahren eine elektrische Gitarre gekauft hast, um zum Schluss nur noch akustisch zu spielen. Ich denke nach den Aufnahmen ist jeder in absoluter Suchterfüllung nach Hause in sein Studio gerannt und hat wieder einmal so richtig die Verstärker aufgerissen. Insofern wurden die Demos für das neue Album auch automatisch härter gemacht. Umso schneller, umso härter. Eine Suchtbefriedigung halt…

MF: Die Lieder entstanden also nach dem Jubiläum-Album oder bereits während dessen?

SG: Das ist bei uns auch immer so eine Sache. Also manchmal hast du bereits vorher Ideen, weil du genügend Zeit hattest. Was ich dazu noch anmerken wollte, ist, dass wir auch seit Ende 2008 nicht mehr auf Tour waren. Also alleine schon deshalb hatten wir Bock, wieder einmal so richtig Lärm zu machen. Das hat sich so ergeben. Dann haben wir das Jubiläums-Album gemacht, was für uns auch ein sehr geiles Album geworden ist. Das war für uns ein cooles Experiment. Aber es hat einfach total gefehlt, Gas zu geben. Und da haben wir Ideen, die wir bereits hatten, mit neuen Ideen verwurstelt. Das ist bei uns immer so. Wir sind ja immer am Ideen sammeln. Es gibt jetzt keinen Startschuss, ab welchem man Lieder schreiben muss. Wir sind Musiker und haben natürlich immer Bock Lieder zu schreiben.

MF: Ihr gilt ja eher als fröhliche Musiker.

AD: Ja, aber eher noch mit einem Augenzwinkern. Also hart hat es jeder gerne, aber nicht dieses Schauspielern da. Ich meine, letztendlich sind wir ja nicht „Born In The Garbage“ (Im Dreck geboren worden). Wir sind jetzt also keine Ami-Metaller, die jetzt nur aus dem Bösesten ihres Lebens singen können. Das sind wir nicht. Dafür sind wir als in Europa geborene einfach nicht glaubwürdig. Insofern gehört bei uns schon ein Augenzwinkern dazu. Ansonsten könntest du uns echt nicht ernst nehmen. Wenn wir mal böse Texte machen, dann muss man den Leuten auch immer den Ausweg lassen, dass es ihnen klar wird, dass das immerhin ein Deutscher geschrieben hat. Weil das glaubt dir ja keiner, dass du hier in der Schweiz, in Deutschland oder sonst wo hier geboren bist und tatsächlich die ersten sieben Jahren deines Lebens aus der Mülltonne gefressen hast. Das glaubt dir keiner. Also muss da ein Augenzwinkern dabei sein.

SG: So ein hartes Album zu machen, wie dieses, hat bei uns auch eher einen energetischen Aspekt. Und wie Andi sagt, haben wir jetzt nicht den Hintergrund, von dem wir sagen: „Oh die Welt ist schlecht und deswegen müssen wir so ein krasses, hartes Album machen.“ Das ist bei uns eher so eine Energie. Wir haben Bock, irgendwas Brutales zu machen und auch das ist bereits wieder eine Persiflage an uns selbst. Weil dass wir ein Album machen, das auch vom Cover her dermassen schneidend und brutal ist. Das kennt man von uns ja auch nicht. Das ist für uns auch schon wieder unser eigener Humor: „Oh guck mal wie geil! Fett!“ Das sind wir. Das ist auch unser Humor und jetzt auch, wenn man das Artwork ansieht. Das ist echt witzig. Wir haben den Bogen überspannt, was jetzt uns angeht, weil die Leute das von uns nicht gewohnt sein werden. Das ist aber unsere Art von Humor, den wir so nach aussen tragen.

AD: Ich denke, die meisten werden wohl sagen: „Guck mal die Idioten an!“ Aber sie werden es in jedem Fall mit einem Grinsen sagen. Das ist eigentlich die Intention. Auch wenn du das Cover dann mit Songs verbindest, die mit Sinner zu tun haben. „Where The Sinners Go“, und all die Gassenhauer, die auf die sieben Todsünden zielen. Die meisten sind einfach „gagy“. Du liest sie durch und du merkst: „Alles klar, das ist absolut doof gemeint.“ Da gibt es keinen Ernst im Sinne von nur schwarz oder nur weiss. Nein, um Gottes willen! So ist das Leben ja auch nicht. Ich finde Humor ist das Wichtigste im Leben. Wenn du den verlierst, kannst du eigentlich direkt in den Zürichsee springen und sagen: „Und tschüss Welt.“ Humor sollte die Triebfeder sein, warum man überhaupt noch durch die Welt wandelt.

SG: Wie die Frage „Are You Metal?“. Gerade dieser Titel von der Single; das sind wirklich wir. Alleine schon die Frage zu stellen und dann mit so einem Album, das so rüber. Ich meine, wie Metal kann man denn noch sein?

MF: Also im Stile von Gamma Rays „To The Metal“?

AD: Ja, gut, wobei die das auch so meinen. Meine Frage bezieht sich eigentlich auf alle, die genau so stur köpfige und konservative Metal-Köpfe wie ich sind. Weil ich bin ja wirklich einer derjenigen, die nur das mögen, was schnell, brutal, hoch und laut ist und was Power- und Speed-Metal ist, das ist geil. Melodic-Metal geht auch noch, aber es muss dann auch wirklich noch Dampf haben. Und dann muss ich sagen, merke ich an mir selber, wie ich als Metal-Fan echt eine konservative blöde Kuh bin, und nichts links und rechts gelten lassen will. Das ist nicht meine Musik, ich will die nicht hören. Also musst du mich eher bekehren, jahrelang an mir rumbaggern und mich immer wieder versuchen dazu zu bringen, mal was anderes zu hören, bevor mir dann wirklich mal eine andere Band gefällt. Erst mal will ich gar nicht, dass die mir gefällt. Weil es nicht Metal ist. Und deswegen ist „Are You Metal“ letztendlich nicht die Klischee-Bedingung, sondern eigentlich mehr die Frage, ob ihr genau so sturköpfige Metal-Köpfe seit wie ich? Weil nämlich nicht alles positiv an uns ist, muss ich leider zugeben.

MF: Handkehrum habt ihr aber auch eine Querflöte bei „Rais The Noise“ eingebaut.

AD: Ja, schlimm! Nicht?

MF: Ja, sehr schlimm!

SD: Wobei man damit natürlich wieder auf die Frage mit dem Humor zurück kommt. Denn das mit der Querflöte ist Weiki (Michael Weikath, Gitarrist). Das ist „Weiki at his best“, würde ich mal sagen. Jeder Fan, der sich eingehend mit der Band beschäftigt, weiss wie skurril er sein kann. Und das hat auch eine gewisse Coolness. Wir oder besser ich persönlich hätte die Querflöte nicht unbedingt gebraucht. So ein Flötensolo, das wirklich echt aus dem Ganzen herausbricht. Aber wer Weiki kennt, der wird gleich sagen, dass das Weiki ist. Das hat Humor.

AD: Er rechtfertigt das natürlich damit, dass es da über den Rattenfänger von Harlem geht. Der ja da ins Dorf ging, um es von den Ratten zu befreien, indem er auf seiner Flöte spielt. Und in Wirklichkeit sind ja dann die Kinder hinterher gerannt und waren schlussendlich verschwunden. Dieselbe Story gibt es auf Englisch und überhaupt überall auf der Welt, gibt es komischerweise diese Geschichte. In England oder im Amiland heisst der Typ Aldo, und dann geht’s halt los: „Aldo plays the pipe.“ Und dann kommt halt dieses ätzende Flöten-Solo, wo ich eigentlich.... Aber es gibt ja Gott sei Dank die Single-Version von „Raise The Noise“, auf der nur Gitarren drauf sind. Sprich als ich mir das Album auf meinen iPod gezogen habe, wurde die Album-Version von „Raise The Noise“ rausgeschmissen und ersetzt mit der Single-Version. Und jetzt bin ich auch wieder glücklich (lacht sich hämisch ins Fäustchen).

MF: Dieses Solo hat ja auch was von Jethro Tull. Ist das eine kleine Verneigung vor ihnen. Ist Weiki Jethro Tull-Fan?

AD: Ja, ganz klar (nüchtern). Weiki ist Jethro Tull-Fan. Aber da gibt es auch eine Anekdote. Er wollte ja, dass Ian Anderson (Jethro Tull-Querflöter und Sänger) die Flöte spielt. Er hat sich irgendwann mit deren Management quergeschaltet und hat wohl ein Demo von sich hingeschickt, das grottenschlecht und nur die Idee war. Ich meine, wenn du eine Idee festhältst will ja keiner eine richtige Produktion davon hören. Nur wenn ich dann halt hergehe um einem Ian Anderson meine Hochachtung zu machen und zu fragen, ob er da ein Solo mit der Flöte drauf spielen könnte, dann sollte das Demo doch besser klingen, als dass, was er uns vorspielt. Und er hat halt einfach nur diese Idee-Festhaltung hingeschickt und dann kam die ganze Zeit keine Rückmeldung. Und irgendwann hat sich Weiki beschwert und dann kam halt irgendwie von ihm so ein „Naja, dann halt Fuck Off“. So diese Nummer halt. Und wir haben uns totgelacht. Jedenfalls ist es nicht Ian Anderson, der hier spielt. Aber auch irgendein bekannter Vogel. Aber da ich ja ein bekennender Flötenhasser bin, weiss ich echt nicht, wer das ist.

SG: Ja, und überhaupt Flöten… Aber man muss auch wirklich sagen, dass das halt wirklich Weiki ist. Und hätten wir jetzt so ein Element gar nicht auf dem Album, dann würde sich wahrscheinlich auch einige Fragen, ob wir das so ernst meinen mit dem Album. Ob das jetzt unser purer Ernst ist, jetzt nur so hart und auf die Fresse zu spielen. So wie du das sagtest. Mit „To The Metal“ hat das ja nichts zu tun. Es geht ja nicht darum den Metal zu huldigen, sondern es geht darum, dass wir das machen, worauf wir Bock haben. Und das, was wir machen, auch wieder mit einem Augenzwinkern zu hinterfragen. Und Weiki ist für ein Augenzwinkern immer gut. Das ist also schon irgendwie legitim, dass das Flötensolo drauf ist.

MF: Ihr als Band hattet ja auch immer den Mut, euch weiterzuentwickeln, und das eigentlich seit den ersten Platten.

AD: Auf jeden Fall der Mut. Aber ich würde dem nicht Mut sagen. Ich würde einfach sagen, dass das die Notwendigkeit ist, damit du überhaupt Spass hast an dem was du tust. Überlege mal, dass du jetzt fabrikgetreu das Produkt abliefern müsstest und nichts anderes. Das hat also nichts mit Mut zu tun, sondern ist letztendlich nur… man kann es dumm nennen (lacht), man kann es arrogant nennen, aber man kann es auch einfach… was ist denn da eine positive Wertung dafür? Ich habe es auf der Zunge.

SG: Mutig ist schon recht positiv.

MF: Ehrlich zu sich selbst?

AD: Ja, ehrlich zu sich selbst. Oder… mit fällt das Wort nicht ein. Aber einfach, dass du das tust, was du jetzt eigentlich gerne tun möchtest. Das ist ja dann dein Hobby. Und damit du dein Hobby beibehalten kannst, musst du letztendlich einen Punkt erreichen, an dem du es nicht erzwingen tust. Ich verstehe es im Grunde genommen gar nicht, wenn einer erzwungen irgendwas macht, und dass dann noch sein Hobby nennt. Das ist komisch.

MF: Und diese Einstellung ist ja auch schon wieder eine Art „Heavy Metal“.

AD: Ja, und Rock’n’Roll. Denn da kommt das her.

SG: Ich finde, dass das mehr „Heavy Metal“ ist, als lange Haare zu haben.

AD: Also von der Lebenseinstellung her, definitiv.

MF: Kommen wir zur Produktion. Ihr habt ja in Teneriffa aufgenommen. Wart ihr alle die ganze Zeit von April bis August vor Ort?

AD: Ja, also der ein oder andere (lacht). Also er und ich, ja.

SG: Also Andi lebt ja da. Ihm bleibt nichts anderes übrig. Scheiss leben halt (lacht).

AD: Ja, scheiss Insel halt.

SG: Das ist bei uns ja mittlerweile echt super organisiert. Das hat sich in den letzten Jahren echt gut raus kristallisiert, wie wir am besten zusammen arbeiten. Und für mich ist es ganz cool vor Ort zu sein, weil ich über die Produktion hinweg am längsten dort sein muss. Dani kommt rein und nimmt seine Drums auf und danach fliegt er nach Hause. Ich meine was soll er da dann auch noch lange rumhängen, und sich das geben, wie ich irgendwie meine Gitarren aufnehme, oder wie Andi singt. Das muss er nicht. Deswegen ist Dani dann wieder weg. Markus (Grosskopf) hat sein Studio zu Hause. Er spielt einen Grossteil zu Hause ein und kommt dann nur ab und zu mal rein, um Sachen auszubessern, oder wenn neue Ideen da sind, die man übers Telefon einfach schlecht erklären kann, dann ist er da. Und ansonsten sind einfach immer Andi und ich da. Also Andi am längsten logischerweise, und ich und Weiki auch. Weil Weiki lebt ja auch auf Teneriffa.

AD: Das ist ja eigentlich das Tragische an der Geschichte. Wenn ich jetzt nicht hier sein würde, wäre ich immer noch dort. Stell dir das mal vor. Die arme Sau. Das ist ja fast schon der Graf von Monte Christo. Nein, nein. Aber der Weiki lebt auch dort. Er lebt 18 Kilometer von mir entfernt.

MF: Also noch in der Nachbarschaft.

AD: Quasi ja. Mit der Autobahn 18 Minuten. Dann bist du bei ihm.

MF: Sascha, verbindet ihr das auch mit Urlaub?

SG: Nein. Also ich verbinde das gar nicht mit Urlaub, weil das Album ja irgendwie fertig werden muss. Also das wird nicht fertig, wenn ich draussen bei Andi im Pool liege und ein bisschen rumplantsche. Aber gerade die Umgebung macht es einfacher, wenn du gerade eine Pause hast, oder wenn du einfach mal eine Pause brauchst… Das ist ja auch so ein Ding. Ich weiss wie das früher war in Hamburg war und wir dort Platten im Studio aufgenommen haben. Da hat es echt oft geregnet. Und jeder weiss wie es in Hamburg ist. Da gibt es oft ganz mieses Wetter und dann bist du echt deprimiert. Dann willst du eine Pause, weil du ausgebrannt bist, gehst raus und wirst nass und es ist ätzend. Das ist bei Andi natürlich wesentlich schöner. Du gehst raus, siehst die Palmen…

AD: …und willst eigentlich nicht mehr weiter arbeiten.

SG: Ja, und willst eigentlich gar nicht mehr weiterarbeiten. Genau. Und das ist natürlich angenehmer von den Umständen her. Also in dem Moment wo du es geniessen kannst, ist das angenehmer. Aber ansonsten ist es genauso knallharte Arbeit, wie sonst auch.

AD: Dazu muss ich noch ergänzen, dass Sascha wirklich den ganzen Scheisstag dasitzt und schliesslich sein kleines Studiochen aufgebaut hat. Und letztendlich macht er dann sein Einspiel und schickt es dann rein an den Produzenten. Der sagt dann, dass er das cool findet und das andere nicht so cool ist. Und dann muss es Sascha nochmals aufnehmen. Das geht aber jedem so. Aber für Sascha ist es letztendlich ein knallharter Produktionstag und sogar noch schwieriger, weil er das Zeug ohne Hilfe des Produzenten vorbereitet und erst ganz zum Schluss die Gegenmeldung vom Produzenten kriegt. Also ein „Ja es ist geil genug“ oder ein „Nein es ist nicht geil genug und das musst du nochmals machen“. Das ist schon verdammt harte Arbeit. Und da fällt dir auch bestimmt nicht das Palmendach auf, unter dem du sitzt, oder die Palmen die links und rechts sind. Und in den Pool springst du höchstens um deine Energie zu pushen, weil es gerade zu heiss ist, um weiter zu arbeiten. Aber bestimmt nicht aus Urlaubsgründen.

SG: Wir brauchen für so eine Produktion im Schnitt drei Monate, also reine Produktionszeit. Und du bist ja trotzdem nicht zu Hause. Also du hast jetzt nicht den Luxus, wie du zum Beispiel zu Hause die Füsse hoch zu legen. Es ist halt nicht zu Hause.

MF: Ihr hattet diesmal einen Keyboarder, der viele Sachen eingespielt hat. Kommt der auch mit auf Tour?

AD: Nein. Und Matthias ist eigentlich auch kein Keyboarder. Als Keyboarder würde ich ihn nicht bezeichnen. Er ist eher so ein Soundcollagen-Künstler. Weil wir ja auch super wenige Teppiche haben. Also so ein reines Keyboard hörst du selten. Das sind eigentlich fast nur Cinema-Scope-Effekte, was er für uns zaubert. Sonst würde es nämlich ganz schnell auf den Trichter kommen, dass die Musik gar nicht so modern ist, die wir da gemacht haben. Wenn du das nämlich volltakst mit all den altmodischen String-Teppichen, hättest du eigentlich nicht diese obermoderne Nummer. Aber wenn er jetzt letztendlich mit cinemascopeischen Effekten anfängt, das Zeug so zu unterstützen und Parts vorbereitet, die dich letztendlich mit einem fast nicht hörbaren Sound so in Spannung versetzen dass jetzt wenn der Refrain kommt du denkst „Wow, geht das auf jetzt, geil“. Und das ist eigentlich eine Leistung, die ein Keyboarder, der einfach nur Keyboarder heisst, gar nicht bringen könnte. Der Typ ist echt ein Soundcollagen-Künstler und neben her auch noch Keyboarder, klar, vom Feinsten.

SG: Ein Keyboard hätte das Album definitiv weicher gemacht. Also wenn da drüben so ein Keyboard legst, wie Andi das beschrieben hat, dann werden die Lieder auch immer automatisch ein wenig weicher. Das verliert immer so ein Bisschen an Härte. Und das ist bei Matthias echt nicht der Fall. Er geht das Ganze ganz anders ran. Gar nicht wie ein Keyboarder im Stile von „Ah, das schmier ich jetzt mit meinen Flächen zu“, sondern arbeitet mehr mit Effektsounds.

AD: Du kannst es vielleicht eher mit den 90er Sounds vergleichen. In den 90er Jahren kam ja das Ganze mit diesen Total-Recall-Produktionen. Jeden Effekt und jeden Hall konntest du genau programmieren. Im Stile von: „Der kommt genau in der Sekunde, geht so lang, stoppt dann.“ Das kennen wir ja alle. Und das hat unglaublich viele Effekte drin gehabt, auch im Metal. Das wird natürlich schnell überhört. Und du willst diesen Effekt-Kram auch nicht mehr hören. Das war ja dann auch ziemlich schnell wieder uninteressant. Was der Typ aber macht, ist letztendlich da anzusetzen, wo sich die Leute Ende der 90er Jahre fast übernommen haben mit „Juhu wir können alles automatisieren!“. Nur mit Sounds ist das eigentlich viel geiler, weil du es nicht mehr so aufdringlich machen musst. Die Kunst liegt ja manchmal darin, die Klampfen trotzdem ganz vorne zu lassen und eher unaufdringlich etwas zu bringen, wo du als Zuhörer es erst mal gar nicht raffst, wieso du jetzt so einen Adrenalin-Schub kriegst. Das finde ich genial. Das irgendwas Unerschwingliches und schon fast sich im Subbereich befindendes so was auslösen kann. Das ist wie wenn einer einen tiefen Ton spielt, um es verständlicher zu machen… Wenn du einen ganz tiefen Ton hörst, dann kriegst du fast Angst. Das kennt man ja aus dem Kino. Und das ist genau das, was er da macht. Der geht supergeil mit Frequenzen um. Das ist echt der Hammer.

MF: Frequenzen ist ein gutes Stichwort, weil ihr das Album auf 432 Herz aufgenommen habt, anstatt auf 440 Herz. 432 Herz gelten ja als harmonischer als die üblichen Herz. Ist das nicht ein Widerspruch zur Härte des Albums?

SG: Nein, eigentlich nicht. Dabei geht es auch mehr um eine energetische Sache. Wenn du das jetzt mit 432 Herz aufnimmst, wird es harmonischer, aber es wirkt nicht unbedingt weicher. Wir wussten auch gar nicht wie das ist. Wir haben es dann so aufgenommen, und erst als die Produktion zu Ende war, spürten wir, was da passiert. Es ist jetzt auch nicht etwas, was man hört. Das hörst du jetzt nur, wenn du den gleichen Song mit der Tonart von einer anderen Band hören würdest. Also was Ähnliches. Dann würdest du es hören, dass es etwas tiefer ist. Aber du hörst es eigentlich gar nicht, wenn du es jetzt einfach so unbedarft reinlegst im Auto. Dann hörst du es nicht. Es ist mehr eine spürbare Sache. Und das nimmt aber nichts an Härte weg. Es ist eher eingängiger vom Gefühl her. Es fühlt sich natürlicher an.

AD: Alles was in dieser Tonart eingespielt wurde, klingt für mich irgendwie moderner. Vielleicht liegt es daran, dass es eine Brück gibt zwischen digitaler Computer-Musik ist, die ja letztendlich genau das macht. Da ist ja praktisch alles steril, jede Frequenz läuft da steril. Es ist ja nichts da, das schwingt, während die Gitarre ja viele Schwingungen hat. Aber dadurch dass du jetzt runtergehst auf 432, finden diese Disharmonien gar nicht mehr statt. Und dadurch hast du zwar klar eine handgespielte Gitarre, aber die Harmonien crashen nicht mehr auf eine unangenehme Art und Weise. Ich finde, das klingt einfach irgendwie gebügelter und hat trotzdem diesen drive dadurch dass es tiefer ist. Weil 440 ist die normale Stimmung. Mit 432 hast du zwar nur acht Herz Unterschied, diese machen aber im Ganzen einen drittel Ton aus.

MF: Einen Drittel?

AD: Ja, und das ist echt tiefer. Also eigentlich klingt es dadurch aggressiver.

MF: Das heisst, dass man das auch auf kleineren Anlagen hören sollte?

AD: Also auf jeden Fall, dass solltest du auf jeder Anlage hören können.

SG: Es ist eher eine echte physikalische Sache. Dadurch, dass wir uns auch noch mit anderen Dingen als nur mit Heavy Metal beschäftigen, sind wir auf diese Frequenz gekommen. Dieses Offenheit widerspiegelt sich aber auch in den Texten. Wir beschäftigen uns immer mit noch mehr Dingen, die es da draussen noch gibt. Wir fragen uns, was es noch ausser uns gibt. Und wir gehen manchmal auch so ein Bisschen philosophisch vor, obwohl ich das jetzt nicht philosophisch nennen würde. Aber wir gehen offen an die Sachen ran. Und dann sitzen wir so im Tourbus und unterhalten uns. Und zum Beispiel bei der Geschichte, ist es so, dass mich das eine Weile interessiert hat. Dann habe ich das nur so mal in den Raum geworfen. „Ah, da gibt es so Planetenfrequenzen und blablabla…“ und habe das so ein bisschen erzählt. Und es gibt halt eine Frequenz, die immer vorherrscht und immer ganz natürlich da ist und das ist acht Herz. Und dann gibt es halt eine Formel, die glaube ich von einem Schweizer stammt, die das…

AD: Und in Paraguay erzählst du, dass der Erfinder aus Paraguay kommt.

SG: Ja… (lacht) Der hat diese Frequenz hochgerechnet und rausgefunden, dass das am Ende 432 Herz ergibt und nicht 440 Herz. Und dass diese demnach die natürlichste Frequenz wäre, mit der man Musik machen könnte. Ich habe das nur so erzählt, und dann sagte Andi gleich: „Ohjo, das klingt doch cool. Lass uns das doch einmal probieren.“ Und so lief dass dann auch. Wir haben das einfach probiert. Es war es mal Wert, es auszuprobieren, weil es einfach mal was anderes ist.

AD: Es ist auch etwas, was man ebenfalls übers neue Album erzählen kann. Es ist nichts Negatives und mal was Positives zu all dem brutalen Gewinsel. Also ich finde es eigentlich eher positiv. Anderseits ist es auch scheissegal, ob es einer hört oder nicht. Weil die Songs für sich sprechen müssen, egal ob sie jetzt in 440 oder 432 Herz erklingen.

SG: Also das Gesamtalbum hat auf jeden Fall spürbar viele kleine Faktoren, die man wie Andi sagt nicht unbedingt erwähnen müsste, die aber für uns jetzt definitiv etwas gebracht haben. Ob das jetzt das Tuning war, oder ob das jetzt vielleicht das Ohne-Klick-Track-Aufnehmen war, was so ein weiterer Punkt war. Wir haben das komplette Album dahin gehend aufgenommen, alles raffer zu machen, es ohne Klick-Track aufzunehmen. Sprich so wie der Schlagzeuger den Song empfindet, so hat er ihn auch getrommelt. Und wir haben uns da drauf gesetzt, und es genauso aufgenommen. Wir haben uns gesagt: „Klar, wir nehmen die richtig und gut Gitarren auf.“ Aber wir haben uns nicht so sehr darauf verlassen. Wir haben jetzt nicht so sehr geguckt, dass jetzt alles ganz genau überall drauf sitzt. Und wenn es geil geklungen hat, dann hat es geil geklungen und dann haben wir es auch gelassen und wenn es dann Dreck und Rotz drin hatte, war es dann auch nicht falsch. Es ist dann einfach musikalisch. Das war für uns das Wichtigste bei dem Album, ein musikalisches Album zu machen. Dass es am Ende für uns so eine Bombe wurde, das wussten wir ja vorher nicht. Wir sind ja nicht rangegangen und haben gesagt: „Ach lass uns mal so was machen.“ Sondern du hörst es dir jetzt an und denkst, dass es jetzt irgendwie alles hat, jedes kleine Bausteinchen hat dazu geführt, dass das Album jetzt so klingt, wie es klingt. Und das ist eigentlich jedes Mal das Spannende daran. Du nimmst es auf und am Ende kommt dann was raus, womit du vorher nie gerechnet hast.

AD: Und ich hätte nie gedacht, dass das so Scheisse wird (lacht).

MF: Zum Schluss noch ein kleiner Ausblick in die Zukunft: Nach der Tour mit Gamma Ray zum letzten Album, geht ihr ja bald mit Stratovarius auf Tour. Was auch wieder ein richtige fettes Power Metal-Paket ist. Habt ihr Stratovarius selber eingeladen?

AD: Du bist ja immer am Beratschlagen, was denn ein geiles Paket für alle wäre. Also Hauptsächlich geht es natürlich darum, dass die Leute, die so ein Konzert besuchen auch sagen: „Yes! Das fanden wir geil!“ Und keiner da ist, der sagt: „Höh, höh, höh, die haben nur eine Stunde gespielt!“ Weil das kennen wir mittlerweile ja alles. Und bei diesem sagen wir mal „Power-Metal Festival“ sollten die Bands letztendlich nicht bereits nach 60 Minuten von der Bühne verschwinden. Das sind aber auch noch die Fans, die letztendlich, teilweise bereits seit Jahrzehnten diese Musik oben halten. Ich denke, das darf man nicht einfach so als selbstverständlich ansehen, sondern dafür jedes Mal Dankbarkeit zeigen. Also musst du irgendwas mehr für die Jungs und Mädels bieten. Und einige unserer Jungs sind jetzt auch bereits seit 25 Jahren dabei. Ich persönlich ja Gott sei Dank noch nicht, sonst wäre ich ja noch älter. Aber ich finde das eine Ehrensache. Leute, die 25 Jahre so eine Band am Leben erhalten… da überlegst du dir dann schon, was du ihnen noch bieten könntest. Was könnten wir denn sonst noch machen. Und wenn wir da noch ein Schleifchen darum machen würden, dann würde das sie vielleicht freuen. Aber ich glaube so ein Paket wie jetzt mit Stratovarius und Helloween, das ist auf jeden Fall eine coole Nummer. Das ist eigentlich so ein Traum-Paket, woran man glaube ich vor zehn Jahren noch nicht geglaubt hätte, dass diese Bands zusammen auf Tour gehen werden. Wobei ich glaube, dass Stratovarius auch jede Hilfe braucht. Das war mal eine richtige klasse Band, ist es immer noch. Aber ich denke, dass die Leute auch wieder aufwachen und merken müssen, dass es die immer noch sind. Das ist auch eine verdammt wichtige Band in diesem Genre. Also untergehen lassen wollen wir die mal alle nicht, sonder mal gucken, dass wir zusammen helfen können. Mit jeder Band, die in diesem Genre einen Top-Job macht, ist diese Musik letztendlich lebendiger und das ist wichtig.

SG: Wir haben ja auch mit Gamma Ray zusammen bei der letzten Tour eine super Erfahrung gemacht. Und wenn du dann in die Gesichter der Fans geschaut hast, hast du gesehen, dass das für die einfach genial war. Und das wollten wir dieses Mal auch wieder. Es war schon ganz wichtig für uns, dass wir wieder so eine Band dabei haben. Also eine Band, die wirklich auch ihre Fangemeinde hat. Es geht jetzt bei uns nicht darum, dass die eine Band der anderen was abgraben könnte. Im Gegenteil: Eigentlich ist ja alles so eine Familie. Das sollte so sein, und so empfinden wir das. Und so war es das letzte Mal auch. Das war eine Familie. Die Fans haben das abgefeiert. Die fanden das total genial, beide Bands an einem Konzert erleben zu dürfen. Und das kam so gut an, dass wir das wieder machen wollten. Und da ist Stratovarius natürlich prädestiniert dafür.

MF: Die Zeit ist um, wir müssen leider abbrechen. Vielen Dank für das Gespräch.

SG: Wir danken dir!

AD: Und viele Grüsse an die Fans da draussen.


Sascha Gerstner und Andy Deris beim Promotag in Zürich >>>