Interview: Grave Digger

By Tinu
 
Geheilt durch Metal.



Sie gehören zu den beständigsten Metal-Bands aus Deutschland. Die Teutonen von Grave Digger um ihren Frontmann Chris Boltendahl haben alle Höhen und Tiefen im Verlauf der letzten 36 Jahre erlebt. Mit dem Erfolgsalbum «Tunes Of War», welches die schottische Geschichte abhandelt oder den Templerorden bei «Knights Of The Cross» unter die Lupe nahm, oder einfach knalligen Metal-Scherben wie «Ballads Of A Hangman» und dem letzten Studiowerk «Return Of The Reaper» hat das Quintett stetig an seinem gnadenlosen Ruf gearbeitet. Nun steht das neuste Machwerk in den Startlöchern. «Healed By Metal» heisst der neue Schlachtruf, und die Jungs gehen eine gehörige Portion zurück in die musikalische Anfangszeit der Truppe. Wie es dazu kam, was mit Blind Guardian zusammen auf der zweiten gemeinsamen US-Tour passierte und woher Chris seine Inspiration hat, das könnt ihr in den folgenden Zeilen lesen.

MF: Was gibt es zum neuen Album zu sagen?

Chris: Der Albumtitel ist in Russland entstanden, als wir im Gorky Park gespielt haben. Neben diesem Amphitheater steht ein Krankenhaus. Am Ende des Tages stand ich zusammen mit unserem Tourmanager Richard da und fragte ihn: «Kannst du dir vorstellen, wie viele Leute da drüben heute gestorben sind, bloss weil sie den ganzen Tag Heavy Metal gehört haben?» Darauf erwiderte er ganz trocken: «Hey Chris, all this people are healed by Metal now». So kam der Titel zustande. Auch wenn er zuerst nur als Songtitel zur Debatte stand, einigten wir uns schnell darauf, diesen zum Albumtitel zu küren. Vom September 2015 bis Februar 2016 hat jeder für sich seine Ideen gesammelt. Dazu habe ich die Texte geschrieben. Im April haben wir uns im Principal Studio getroffen. Dort wurden die Lieder geschrieben, respektive die Ideen ausgearbeitet. Stück für Stück wurden diese Puzzleteile zusammengesetzt, damit wir im Mai und Juni das Material aufnehmen konnten. Im Juli und August wurde alles abgemischt, so dass im September das neue Album stand. Zwischendurch habe ich mit unserem Artworkkünstler am Cover gearbeitet und Juni, Juli hatten wir die Fotosession mit einem schicken Fotomodell, und so war dann alles Mal in trockenen Tüchern.

MF: Von was handeln die Songtexte?

Chris: «Healed By Metal» ist der klassische, mit Klischees beladene Metalsong. Metal ist länder- und generationsübergreifend. Mit zwölf Jahren habe ich begonnen Metal zu hören, und diese Musik hat mir in schweren Zeiten echt immer wieder weitergeholfen. Mit einem kleinen Augenzwinkern ist dies die Kernbotschaft des Titelsongs. Auf der anderen Seite kann Heavy Metal schon viel Positives bewirken. «Law Breaker» ist die Weiterführung von «Tattooed Rider». «Free Forever» steht generell für Freiheit. Egal in welchem Land… - Überall auf der Welt wird gekämpft, Leute unterdrückt, und es gibt unnötige Kriege. Unabhängig davon ob man Geld hat oder nicht, es ist wichtig die Freiheit zu besitzen, das zu sagen, was man denkt, ohne andere Leute zu dissen. «The Commandments Of Metal», die zehn Gebote des Heavy Metal, haben wir auch aufgeschrieben (sind in diesem Heft ebenso aufgeführt), mit einem leicht ironischen Aspekt. Wir sehen das nicht so wie andere Truppen die die Meinung vertreten, dass sie die alleinigen Gralshüter des Metals sind. «Laughing With The Dead» taucht in die griechische Mythologie ein. Gemischt wird dieser Text mit einer leicht sarkastischen Geschichte. «Kill Ritual»…, als ich den anderen Jungs die Lyrics schickte, kam sofort die Reaktion, ob es mir denn noch gut gehe (lacht). Jeder Mensch hat auch eine böse Seite, das heisst diese schlechte wie dunkle Seite. Die habe ich während dem Texten mal kurz nach aussen gekehrt (grinst). Danach wurde diese dunkle Seite wieder verschlossen. «When Night Falls» erzählt zum Beispiel eine Liebesgeschichte aus einem KZ und stellt so dann auch ein bisschen ernsteres Thema dar. Die Texte sind nicht miteinander verknüpft, sondern stammen frei von der Leber weg. Fällt mir ein Thema ein und ich finde diese Idee ist eines Textes würdig, dann verarbeite ich sie auch.

MF: Wo holst du dir die Inspirationen für die neuen Lieder und Texte her?

Chris: Ich bin da sehr medienaffin. Dabei lese ich viele Tageszeitungen, ergänzt mit Inhalten aus dem Internet, und da ich viele Bücher lese, bekommt man einiges mit. Es kommt immer auf die eigene Stimmung an, und was mich anspringt, dann schreibe ich relativ schnell einen Text dazu. Was mich berührt, versuche ich zu verarbeiten.

MF: In welchen Versionen wird das neue Album erscheinen?

Chris: Es werden zwei Special-Versionen veröffentlicht. Eine bei EMP und die andere bei Napalm Records. Dann wird es das Digipak mit zwei Bonustracks geben, zudem wird eine Vinyl-Scheibe mit einer zusätzlichen Single veröffentlicht, die dann in verschiedenen, farbigen Versionen erhältlich ist.

MF: Das Release der neuen Scheibe wird zeitgleich mit dem Tourstart sein. Ist dies taktisch gesehen ein kluger Zug, weil die meisten Fans die neuen Lieder noch gar nicht kennen?

Chris: Dann finden sie vielleicht die neuen Tracks geil, gehen an den Merch-Stand und kaufen sich das neue Album (lacht). Man hätte das Album durchaus eine Woche früher veröffentlichen können, aber das wäre dann inmitten der Weihnachtsferien gewesen. Ich denke von deinem beschriebenen, möglichen Problem sind bloss zwei Shows betroffen. Eine Woche später werden die Fans die CD schon kennen. Das «Healed By Metal»-Video wurde ja schon veröffentlicht. Der nächste Clip «Call For War» wird am 12. Dezember das Licht der Welt erblicken. So können sich die Fans bereits einen kleinen Überblick auf das kommende Werk verschaffen. Vor dem Release passiert also schon einiges (grinst).

MF: Ist es für dich einfacher lose Songs zu texten oder fällt es leichter sich einem Konzept anzunehmen?

Chris: Es war immer so, dass wenn das Konzept gut war, mir es relativ leicht fiel, die passenden Texte zu schreiben. Allerdings wurde es mit der Zeit immer schwieriger, auch nur ein gutes Thema zu finden, über das man während zehn oder mehr Songs singen kann. In der Zwischenzeit bin ich weit weg von einem Konzeptalbum und möchte nur noch Texte schreiben, die frei und für sich stehen. Das macht klar mehr Sinn und bereitet mir unheimlich viel Spass.

MF: Das neue Album geht noch mehr in Richtung der 80er, respektive ist das das Höchste der Gefühle?

Chris (lachend): Beantworte du mir die Frage.

MF: Ich finde den Spagat zwischen eurer Frühphase, also «The Reaper» und «Ballads Of A Hangman», sehr sehr interessant. Das Gute daran ist, dass die Lieder trotzdem stark nach den 80er-Jahren klingen und sie bestens in die heutige Zeit passen.

Chris: Genau, wir standen ja noch ein bisschen unter dem Einfluss der «Exhumation»-CD. Schlussendlich wollen wir einfach geile Songs schreiben. Bevor wir mit dem Komponieren begonnen haben, sassen wir zusammen und fragten uns: «Was braucht ein guter Grave Digger Song?» Relativ schnell waren wir einer Meinung: «Ein geiles Riff und einen geilen Chorus». So haben wir die neuen Tracks komponiert. Ob wir noch mehr der 80er einfliessen lassen können, das kann ich dir nicht sagen (lacht). Das ist aber auch noch zu früh, um dies zu beantworten. Man schreibt Neues in einer bestimmten Stimmung. Was beim nächsten Werk entstehen wird, kann ich dir somit noch gar nicht beantworten. Unser Anspruch ist jedoch, ein geiles, klassisches Metal-Album zu schreiben, das uns super gut gefällt. Zusammen mit geilen Riffs und geilen Refrains ist uns dies auf «Healed By Metal» ganz gut gelungen.

MF: Ende 2015 habt ihr diese 80er-Jahre Shows gespielt. War damals schon klar, wie das neue Album klingen wird oder war es die Initialzündung dafür, wie «Healed By Metal» klingen soll?

Chris: Das war überhaupt nicht unsere Intention. Wir haben uns im Proberaum getroffen und wollten Material schreiben, das auch auf der Bühne funktioniert. Diesen Rahmen haben wir uns auferlegt, und trotzdem hat das Komponieren tierischen Spass bereitet.

MF: Gibt es für dich spezielle Lieblingssongs oder Stücke, welche dir sehr am Herzen liegen?

Chris: Eigentlich nicht (überlegt)… - Alle Texte haben ihren Reiz und ihre Berechtigung auf dem Album. Aus diesem Grund kann ich mich auch nicht festlegen, das wäre eh noch zu früh.

MF: Was macht für dich ein harter Metal-Song aus?

Chris: Ich weiss gar nicht, was ein harter Metal-Track ist. Ein Metal-Song muss immer energetisch sein und den Hörer mitreissen. Dann sprechen wir von einem guten Metal-Track. Es gibt so viele Metal-Songs, die sicher gut sind, mich aber nicht abholen. Da macht es mir keinen Spass, sie anzuhören. Dann kann ich auch nicht von einem guten Metal-Song sprechen. Wie ich schon sagte (lachend), der Beginn eines Tracks muss mich mitreissen, packen und nicht mehr loslassen. Passiert dies nicht, habe ich schon keinen Bock mehr, mir das länger als zwei Minuten anzutun.

MF: Wie war der zweite Konzertausflug in die USA, zusammen mit Blind Guardian?

Chris (lachend): Es war lustig. Mit den Jungs von Blind Guardian unterwegs zu sein, ist immer ganz witzig. Wir hatten eine Menge Spass und das Paket machte einfach Sinn. Man kann diese Konstellation nicht genug in den Himmel loben. Innerhalb von elf Monaten haben wir 45 Shows in den Staaten gespielt, das war sensationell!

MF: Was war anders als noch beim ersten Mal?

Chris: Es gab ein paar Märkte, die ein bisschen schwieriger und auf der ersten Tour nicht auf dem Plan standen. Dazu kamen bei einigen Shows nicht so viele Leute, wie wir uns das erhofft hatten. Es gab ein paar Überschneidungen zum letzten Mal. Da kann es schon vorkommen, dass wir in Wilmington vor knapp 100 Leuten spielen, aber im Gegensatz dazu standen in Worcester 1'500 Fans vor der Bühne. In Amerika erlebst du einfach alles. Tourst du in den US of A, musst du dich auch aufs Land begeben, und da muss man halt kleinere Brötchen backen. Da verrichtest du richtige Entwicklungsarbeit.

MF: Grave Digger bestehen seit Jahren aus Jens, Stefan sowie dir, und die letzte personelle Änderung fand 2009 statt, als Axel bei euch Manni ersetzte. Was macht diesen Erfolg aus, dass ihr seit Jahren im gleichen Line-Up musiziert? Was ist der Schlüssel zu dieser Beständigkeit?

Chris: Wir tauschen uns aus, und das ist etwas ganz Wichtiges. Zudem gehen wir respektvoll miteinander um. Schlussendlich muss auch einer den Weg vorgeben und sagen wo es lang geht (grinst).

MF: Ist es für dich heute noch ein Privileg, Musiker zu sein?

Chris: Das ist das grösste Privileg, das du haben kannst. Du kannst DEIN Ding machen und daran arbeiten. Zudem fliesst deine Kreativität, was willst du denn mehr? Seit 37 Jahren kann ich Musiker sein. Die Leute fragen mich immer, was ich noch erreichen will. Ich habe sehr vieles schon erreicht und hatte somit ein sehr erfülltes Leben. Wer kann dies schon von sich behaupten?

MF: Was war für dich früher wichtig und was ist es heute?

Chris (überlegt): Früher war es wichtig zu saufen und heute ist es die Musik. Ganz plump gesagt (lachend), aber so ist es!

MF: Dann stimmt das Klischee von Sex, Drugs and Rock'n'Roll?

Chris: Zu Beginn der 80er-Jahre, als wir mit der Band starteten, war dies sicher so. Irgendwann gibt man einen solchen Lebensstil aber auf. Man lebt in einer festen Beziehung, hat Kinder und da bekommen andere Dinge einen viel wichtigeren Stellenwert. Man lebt abstinent und braucht diese Dinge nicht mehr.

MF: Hast du dich jemals als Rockstar gefühlt?

Chris (überlegt): Schwierig zu sagen… - Okay, ich fühle mich privilegiert, weil ich das machen kann, worauf ich Lust habe. Ob ich dabei ein Star bin oder nicht, das entscheide dann nicht ich, sondern andere Leute. Die können dir durchaus das Gefühl geben, dass man ein Star ist. Bin ich zu Hause und öffne die Haustüre, dann sehen mich die Menschen nicht als Star, sondern als Ehemann und Vater. Es ist eher so, wie die Leute dich sehen.

MF: Was sind die Pläne für dich Zukunft?

Chris: Touren, touren, touren! Wir spielen somit überall da, wo man uns haben will. Das geht am 13. Januar 2017 in Deutschland los, dann kommt die «70000 Tons Of Metal» Cruise, gefolgt von weiteren Konzerten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Im März geht es nach Südamerika, dann folgen im Juni die Festivals… - Schauen wir mal, wo uns die Reise noch hin bringt. Wichtig ist auch, wie das Album von den Fans angenommen wird und ob die Leute so auf die neuen Tracks abfahren, wie wir uns dies erhoffen. Wenn es nach uns geht, dann wird sich das Album wie blöd verkaufen (lacht). Der «Healed By Metal» Clip hat auf jeden Fall jetzt schon fast so viele Views wie «Home At Last» insgesamt.

MF: Hast du bestimmte Erwartungen ans neue Album?

Chris: Ich möchte immer nochmals eine Schippe drauflegen. Aus diesem Grund veröffentlichen wir auch eine neue Scheibe. Aber wir sind gespannt und lassen uns überraschen. «Healed By Metal» finde ich eine sensationelle Nummer. Die wird aber auch polarisieren, weil einige vielleicht denken, dass dies Metal-Thrash ist. Für andere wird dieser Release die absolute Offenbarung sein und schlicht die neue Metal-Hymne. Ich stehe tierisch auf das Teil, sonst hätte ich es nicht geschrieben. Schauen wir also, wo die Reise hingehen wird. So ein Album muss sich bei den Fans eh zuerst entwickeln. Darum sind wir sehr gespannt, wie die Reaktionen darauf ausfallen werden, wenn «Healed By Metal» im Januar erscheinen wird.

MF: Besten Dank fürs Interview!

Chris: Sehr gerne!