Interview: Gamma Ray

By Tinu
 
Von Metalheads abgefeiert.



Da sassen sie nun, die beiden Schmunzelmonster von Gamma Ray und berichteten über die 25-jährige Bandgeschichte. Die ersten Re-Releases wurden bereits veröffentlicht, mit massiv viel Bonusmaterial, und Weitere werden noch folgen. Zudem steht mit Frank Beck ein neuen Sänger in den eigenen Reihen. Wie es dazu kam, wie sich der neue Mann integrierte und warum man bei den Jungs auch wortwörtlich von den «Master Of Confusion» (einer der grössten Hits der Band) sprechen kann, das erklärten Mastermind Kai Hansen und Leadgitarrist Henjo Richter.

MF: Hast du die Idee mit einem Sänger schon lange mit dir rumgetragen…

Kai: …ja, habe ich (grinst). Unterschwellig schon ganz lange. So gerne ich singe, aber ich hasse es am Mikrofon zu kleben. Ich hoffte immer, dass so ein Typ vorbei gestolpert kommt, der nach Freddie Mercury klingt (lacht). Einfach einer, bei dem man weiss, dass es passt. Das ist aber nie passiert. Bei einer klassischen Metal-Band ist es so, dass entweder der oder der singt, aber nicht beide. Gerade nach der letzten Tour, als Frank eingesprungen ist… Er war der Erste, bei dem ich wusste, dass es passen könnte. Es gibt viele gute Sänger, wie Ralf Scheepers (sang bei Gamma Ray und ist heute bei Primal Fear) oder Michi Kiske. Dazu kommen viele, die geil singen und eine tolle Stimme haben. Bei all denen sage ich zum Vorneherein: «Ne, vergiss es!» Das passt nicht! Ich mag Leute, die Mut zur Hässlichkeit, den Dreck in der Stimme, die Füsse auf dem Boden haben und auch feiern können. Solche, die keine Sängermimöschen sind. Frank bringt alles mit, wonach ich suchte. Als er zum ersten Mal einsprang, dachte ich nur: «Der ist geil! Das passt!» Ich mag ihn vom Typ her. So war dies aber ein langer Prozess.

Wir haben Files hin und hergeschickt. Dabei hat er meine Vocals eigentlich nur nachgesungen, das war alles gut gemacht, aber man war sich noch nicht sicher, ob das auch das Richtige ist. Was werden die Fans sagen? Wir kamen von Südamerika und Japan zurück. Ich war komplett durch und es hat mich total zersägt. Das kam nicht 'mal von der Anstrengung oder weil ich zu viel rauchte, sondern von diesen ganzen Air-Conditions im Flugzeug. Drei Wochen hatten wir Zeit zum Proben, aber ich bemerkte, dass es noch nicht in Ordnung war. Meine chronische Bronchitis wurde so auch nicht besser mit den Jahren. Die ist allergiebedingt. Die Entscheidung mit einem Sänger zu arbeiten, schob ich die ganze Zeit vor mich her. Frank stand in den Startlöchern und wollte wissen, wie es nun weitergeht. Kurz vor der Tour machten wir Nägel mit Köpfen. Keine Angst, no fear, let's go und so haben wir das durchgezogen und haben die Leute mit dem ersten Gig vor vollendete Tatsachen gestellt (lacht). In der Hoffnung, dass es gut geht. Und das geht sowas von! Die Akzeptanz ist unheimlich toll. Da bin ich echt froh und weiss, dass wir alles richtig gemacht haben. Klar, das nächste Album kommt und dann wird es erst richtig losgehen. Im Moment… Das ist so geil und die Band hat durch Frank dermassen gewonnen. Auch durch meinen Bewegungsfreiraum. Frank macht ein geiles Ding und wir sind sehr motiviert. Ich fühle mich sauwohl und mehr kann ich nicht sagen.

Henjo: Das erste Mal, dass Frank mit uns auf der Bühne stand, war in Aschaffenburg. Angeschleppt hat ihn Dirk (Schlächter, Bass). Damals war diese eine grosse Sängerversammlung auf der Bühne (lacht). Auch Toby von Edguy und Fabio von Rhapsody waren dabei. Die Präsentation von Frank hat uns sehr gut gefallen. Er ist ein Uralt Fan von uns und war auch immer an den Konzerten. Da sang er noch aus der ersten Reihe mit… Das ist eine total schöne Geschichte (grinst). Aus dem Publikum auf die Bühne. Das touren war für Kais Stimme immer sehr anstrengend. Er ist ein Rock' n Roller und wird auch nie den Anspruch haben, ganz brav zu sein (grinst). Nicht zu trinken, nicht zu rauchen und früh ins Bett zu gehen. Das ist nicht Kai! Deswegen passiert es schnell, dass die Stimme angegriffen ist. Bis zum letzten Probe-Tag, für diese Tour, sind wir alle davon ausgegangen, dass Kai die Tour singen wird. Im Nachhinein gesehen war die Entscheidung Frank mitzunehmen total super! Kai hat uns mit dieser Idee völlig überfallen, aber er wollte dies so. Zuerst fand ich dies doof, aber jetzt muss ich sagen, dass es eine sehr gute Entscheidung war. Gesanglich passt das total gut, da Frank auch sehr ähnlich wie Kai singt. Als Frank heute beim Soundcheck «Heaven Can Wait» sang dachte ich: «Hei, das ist doch total wie Ralf dies sang?!» Gesanglich passt seine Stimme sehr gut und ich bin mir sicher, dass die Fans sich wegen ihm nicht von Gamma Ray abwenden werden. Die Songs klingen nicht anders, sondern eher besser. Was aber noch viel besser ist, dass bei uns auf der Bühne wesentlich mehr los ist. Wir waren ja noch nie die grosse Tanzband (lacht). Dirk ist durch seine Kniever-letzung schon seit Jahren eher ein Stiller auf der Bühne und ich war ja noch nie der grosse Rumhoppser. Das war noch nie meine Art. Kai war immer ans Mikrofon gebunden und Michael (Ehré) kam von seinem Schlagzeug auch nicht gross los (grinst). So waren die letzten Shows schon ein bisschen Standfussball. Macht ja auch nix und muss ja auch nicht sein. Selbst Bands wie Motörhead bewegen sich auch nicht so viel, aber durch die Hinzunahme mit Frank bei uns wurde die Bühnenaktion deutlich belebt.

MF: Durch deine sehr prägende Stimme, hattest du jemals Bedenken, dass diese Entscheidung nach hinten losgehen könnte?

Kai: Ja natürlich, ganz klar. Selbst unser Front Of House Mann Piesel (auch Gitarrist bei Iron Savior) kam an und meinte: «Frank macht das ja gut, aber da musst du einfach singen!» Inzwischen findet Piesel diese Kombination auf der Bühne super (grinst). Klar, man ist natürlich zuerst einmal eingeschränkt und fixiert auf das Bekannte. Die Gefahr… Es gibt sicher auch Leute, die dies überhaupt nicht akzeptieren werden. Damit muss man leben. Es gab sicher auch Leute, die damals nicht akzeptierten, dass bei Iron Maiden nun Bruce Dickinson und nicht mehr Paul Di'Anno singt. Über Ripper Owens und Rob Halford, da sind sich alle einige, oder über Blaze Bayley (schelmisches Grinsen)… Ich glaub' wir machen das Richtige. Klar hatten wir unsere Bedenken, aber die sind für mich echt ausgeräumt. Das klingt total geil! Es gibt Sänger wie Michael Kiske, der mit seinem Goldkehlchen alles nieder macht. Aber das ist nicht wichtig. Ohne es bös zu meinen, aber sonst würde eine Truppe wie Sabaton nie so gross werden. Genau wie Bon Scott (AC/DC) oder Ozzy Osbourne singt da kein geiler Sänger. Aber die Leute haben Charakter und genau darum gehts! Das hat Frank auch!!!

Henjo: Man sieht immer wieder ein paar Gesichter im Publikum, die mit der Stirne runzeln. Zu Beginn gab es sicherlich ein paar Leute, die dies gar nicht wollten. Selbst meine Mutter (lacht), die zu unserer Show kam… Sie mag Kai und seine Art wie er singt. Aber letztendlich eine Show bei der Kai nicht gut singt, und die hatten wir auch, wie in Japan, als er nur gekrächzt hat die ganze Show… Dann doch lieber eine zweiten Sänger, mit dem er sich abwechseln kann. So passt die Stimme von Kai und er überfordert sich nicht. Am Ende sind alle glücklich! Klar hatte Frank auch Muffensausen und fragte sich, ob ihn die Fans akzeptieren würden. Klar, bin ich Fan, gehe an ein Konzert und sehe meine Jungs, bei denen nun ein neuer Sänger auf der Bühne steht, würde ich dies auch ablehnen? Da muss man sich zuerst daran gewöhnen.

MF: «Master Of Confusion» - ein autobiographischer Text?

Kai (lachend): In gewisser Weise… JA!!! Mein Gott, was soll ich sagen? Wir waren noch nie eine Band, die wie ein Schweizer Uhrwerk funktioniert hat (lacht). Für uns war immer wichtig, dass das was am Schluss raus kommt, richtig ist. Da passierts manchmal, dass man zu spät etwas abgibt, dass man auch mal ein Interview versemmelt… Der Rock' n Roll ruft da irgendwie! Das gehört dazu und darum sind wir in der Lage, das so zu machen, wie wir es machen. Keiner von uns wird… Ich sehe das bei anderen Bands, die schon lange im Business sind. Da werden aus Musiker, oder wilden Jungs, Rock' n Roll Beamte, die das nach dem Motto «Malen nach Zahlen» durchziehen. Die keinen Spass mehr haben und auch nicht mehr feiern. Da wird alles scheisse langweilig und spiessig. Das ist für mich kein Rock' n Roll. Da wehre ich mich vehement dagegen und werde dies auch nie bei mir selber zulassen. Musiker, die an jedem Abend bei jeder Show die gleichen Bewegungen, die gleichen Gesten und Ansagen machen..., das finde ich zum Kotzen. Bei uns passiert immer wieder was Neues. Das ist mal geil und auch mal ganz schön scheisse. Dadurch lebt das Ganze und das ist genau richtig.

Henjo: Absolut ist dies autobiografisch, aber 100% (lacht). Das war früher auf jeden Fall so und war echt schlimm. Heute ist dies schon viel gesitteter. Kai ist sehr extrem, ich war es früher aber auch. Keine Ahnung, wieso sich dies verändert hat, aber wahrscheinlich haben wir alle keinen Bock mehr auf den Stress (lacht). Mir ständig anzuhören, dass ich wieder zu spät bin. Das endete bei verpassten Flügen oder dass der Bus ohne mich abgefahren ist. Das hat sich gebessert, aber so ein bisschen "eigenchaotisch" sind wird schon. Sehen wir, wie andere Truppen den Soundcheck machen, ist dies im Vergleich zu uns schon anders (lacht). Aber das muss so sein und das macht die Band auch aus. Deswegen haben wir auch unsere 70er-Jahre Jam-Sessions während unseren Konzerten.

MF: Wie kam es zu den Re-Releases?

Kai: Ganz einfach, weil wir den Backkatalog gekriegt haben. Die Rechte liegen bei mir. Die Scheiben waren bei einem Label, das sich überhaupt nicht darum kümmerte. So forschten wir und fanden heraus, bei wem die Rechte lagen. Da bot es sich an, alles nochmals richtig zu machen…

MF: …und es ist richtig gut geworden…

Kai: …ja, es ist richtig geil geworden, das finde ich auch! Das berühmte «value for money» trifft genau zu. Mit den Bonustracks und den neuen Covers ist das richtig fett geworden. Mit viel Liebe und ausgetüftelten Details sind wir sicher, dass alles, was wir damals falsch gemacht haben, weil es technisch noch nicht möglich war, nun ausgemerzt wurde. An den Songs wurde nichts verändert, das wäre zu weit gegangen. Die ganzen 24-Tracks fielen damals dem Flammen zum Opfer, als unser Proberaum abfackelte. So haben wir die ursprüngliche Masterversion verwendet und haben die remastert.

Henjo: Es ist wichtig, dass unsere alten Scheiben weiterhin zu kaufen sind. Wir spielen nicht nur vor alten Opas (lacht), sondern auch vor einem neuen und jungen Publikum. Die wollen natürlich auch die alten Scheiben von uns kaufen können.

MF: Was sind die Pläne für die Zukunft?

Henjo: Zuerst macht Kai sein Ding, die «Tausend Jahre Kai Hansen»-Platte (lacht).

Kai: Zwei Dinge. Zuerst «Hansen And Friends XXX». XXX steht für dreissig Jahre. Eigentlich sind es schon mehr, aber bleiben wir mal bei dieser Zahl (grinst). Auf diesem Album haben andere die Musik geschrieben, wie Alex Dietz von Heaven Shall Burn oder Eike Freese von Dark Age. Wir haben ein paar ganz geile Dinger gemacht. Zusammen mit Dan Wilding von Carcass ist dies das Grundgerüst der Band. Das klingt nach Hansen von früher bis heute. Es gibt keine Grenzen, aber alles klingt nach Hansen. So entstanden vierzehn geile Tracks, im Januar gehts los mit Drums aufnehmen und zum nächsten Wacken Openair wird es veröffentlicht, so dass wir auf diesem Festival auftreten werden. Ansonsten steht die neue Unisonic in den Startlöchern und mit Gamma Ray wollen wir auch neues Material komponieren und aufnehmen. Somit werde ich 2016 ganz schön beschäftigt sein (grinst). Ich freue mich darauf!

Henjo: Wir gehen wieder in die Karibik aufs Schiff und machen auch bei den Bergen mit, dieses Neue namens «Full Metal Mountain». Ansonsten Ideen und Leergut sammeln (lacht), damit jeder über die Runden kommt. Im zweiten halben Jahr geht’s, wie es Kai schon sagte, an die Arbeit! Anfang 2017, wollen wir dann wieder was auf den Markt schmeissen. Das wird ganz interessant! Mit einem neuen Sänger ins Studio zu gehen. Mal schauen, was dabei heraus kommt!? Es ergeben sich so natürlich auch viele neue Möglichkeiten wie auch eine neue Spannung. Nicht nur für uns als Band, sondern auch für die Fans. Da müssen wir, wie immer, wieder ein Spitzending abliefern. Es wird zusammen mit Frank aber sicher auch mehr Freiraum zum Komponieren geben. Aus dem Grund, weil Frank Ecken abdeckt, wie sie Kai nicht hat. Ein Lied habe ich schon fertig geschrieben und eine zweite Idee ist in der Ausarbeitung. Abgesehen davon hatte ich im letzten Jahr viel Freizeit. Das war ganz gut, dass ich mit meinem Fahrrad das Leben geniessen konnte. Aber ich hänge mit allem ein bisschen hinterher. Dabei arbeite ich mit einem alten Handy und veralteten Computersystemen. Nicht weil ich es will und brauche, aber man kommt nicht drum herum. Nach wie vor arbeite ich an meinem Soloalbum. Das ist ein bisschen zu sehr eingeschlafen und muss wieder zum Leben erweckt werden. Die Songs sind geschrieben, was mir aber fehlt, sind die Texte (lacht). Das fällt mir echt sehr, sehr schwer, die zu schreiben. Diese Tracks könnten durchaus auch alle bei Gamma Ray einen Platz finden. Vielleicht sind ein bis zwei Nummern ein bisschen speziell. Da müsste Ian Gillan einen Track einsingen, weil er total wie Deep Purple klingt. Der ist massgeschneidert und hat ein typisches Rock' n Roll Ambiente.

MF: Danke fürs Interview und alles Gute für die Zukunft.

Henjo: Sehr gerne, immer wieder!

Kai: Danke, dir auch! Hat wie immer Spass gemacht!