Interview: Eluveitie

By Oliver H.
 
Auf dem neusten Stand der Wissenschaft.



Eines der ersten grösseren Festivals der Saison ist immer das Greenfield Festival im Berner Oberland. Voll motiviert und mit neuer Platte am Start, durfte der wohl momentan bekannteste Live-Act der Schweiz – Eluveitie – nicht fehlen. Bevor aber zu später Stunde die Band ihren Auftritt hatte und der heftige Gewittersturm das Festival künstlich lahm legte, stand mir Bandleader und Frontmann Chrigel Glanzmann Rede und Antwort. Spontan und locker neben den VIP WC-Anlagen kam das Gespräch zustande, das aus meiner Sicht locker noch länger hätte ausfallen dürfen. Mit Wasser, Kaffee und Zigaretten nahm das Interview folgenden Verlauf.

MF: Erst mal Gratulation zum neuen Album..., sehr stimmig geworden. Bestimmt bist du das schon oft gefragt worden aber wie spricht man den Titel «Ategnatos» eigentlich korrekt aus?

Chrigel: (lacht) Ja, das bin ich wirklich schon oft gefragt worden. «Atechnatos» wird es ausgesprochen...

MF: Was ist denn die Bedeutung hinter diesem Wort?

Chrigel: Es ist einfach ein gallisches Wort und bedeutet Wiedergeburt.

MF: Nicht zu verwechseln mit gälisch oder wo liegt da der Unterschied?

Chrigel: Gälisch ist die keltische Sprache, die heute in Irland gesprochen wird, und gallisch ist die keltische Urform, die die Helvetier gesprochen haben. Es liegen einfach 2000 Jahre dazwischen. Es ist in etwa gleich zu setzen mit dem Althochdeutsch, das heute auch nichts mehr mit dem Hochdeutsch von heute gemein hat.

MF: Wie muss ich mir das genau vorstellen? Beherrschst du oder jemand von der Band diese Sprache?

Chrigel: Ähm..., jein. Wir haben ja immer nur zwischendurch einzelne Songs, die in gallisch gesungen sind. Für mich ist es eher künstlerisches Schaffen oder künstlerischer Ausdruck. Was wir als Band betreiben, ist eigentlich nichts anderes als musikalisch Geschichten zu erzählen. Es dreht sich alles um die keltische Kultur, die keltische Geschichte und um diesen Geschichten etwas Leben einzuhauchen, singen wir immer wieder gerne Lieder, die in dieser alten Sprache gesungen werden. Ich arbeite aber auch mit diversen Wissenschaftlern von verschiedenen Universitäten Europas, die für die gallische Sprache zuständig sind, zusammen.

MF: Ah wirklich?

Chrigel: Ja, und dadurch ist also bei uns alles total fundiert und auf dem neuesten Stand der Wissenschaft. Jedes Eluveitie-Album ist also in diesem Sinne auch ein Wissenschaftsprojekt. Es sind wirklich immer Keltologen und Historiker involviert. Ich mache dies jetzt seit siebzehn Jahren, wirklich fliessend gallisch sprechen ohne Wörterbuch kann ich nicht, aber wenn du mir jetzt einen gallischen Text gibst, dann kann ich schon der Spur nach entnehmen, um was es sich im Text etwa handelt.

MF: Spannend! Um vielleicht nochmals auf die Wiedergeburt zurück zu kommen. Welche Bedeutung hat das Wort für dich, und ist es allenfalls ein Symbol für die neue Bandkonstellation?

Chrigel: Nein, überhaupt nicht! Ich wurde dies zwar schon oft gefragt und es ist ehrlich gesagt ja auch nicht abwegig, aber es hat für mich wirklich nichts mit der alten und neuen Besetzung zu tun. Es ist eigentlich das erste Mal in unserer Geschichte ein Album, das ein Stück weit philosophisch ist, auch eine Message hat und etwas über das reine Geschichtenerzählen hinaus geht. Das Album an sich beschäftigt sich mit antiken Sagen und den archetypischen Bildern, die in der keltischen Mythologie vorkommen. Es handelt sich dabei zwar nur noch um Fragmente aus zweiter und dritter Hand, aber sie lassen sich dennoch recht gut rekonstruieren. In all diesen Bildern ist eben im Kern immer die Symbolik der Wiedergeburt zu finden.

Zwar nicht im hinduistischen Sinn von Reinkarnation, sondern mehr metaphorisch für Erlebnisse, die wir in unserem Leben machen können, an die wir herangeführt werden. Manchmal hat man eine Wahl, manchmal hat man keinen Einfluss auf das, was einen erwartet. Es geht um den Teil, der in diesem Fall von einem Menschen abfällt, der stirbt, aber dadurch die Chance erhält, wieder Neues zu erfahren. Meistens sind dies nie einfache Dinge, was aber die Sache vermutlich auch ausmacht. Dieser Kerngedanke ist in ganz vielen keltischen Bildern wiederzufinden. Das Album macht eigentlich nichts anderes, als diese Bilder aus heutiger Sicht zu transportieren. Für «Ategnatos» haben wir viel meditiert und es war eine sehr intensive Erfahrung als Band. Falls das Album doch etwas Persönliches haben sollte, dann ist das vermutlich das, was uns während der letzten Wochen geprägt hat. Für mich persönlich waren die letzten vier Jahre nicht sehr einfach und ich habe mich darin oft selbst wiedergefunden. Mit der Bandgeschichte hat es aber nichts zu tun.

MF: Es war einfach irgendwie ein neuer "Vibe" spürbar gegenüber den letzten beiden Alben. Hat Bandintern ein Reifeprozess stattgefunden oder sind die „neuen“ Members mehr hervor getreten?

Chrigel: Ja..., vielleicht etwas von allem. Jeder Musiker hat seinen eigenen Stil und seine Art sich auszudrücken. Die „Neuen“ die ja nun auch schon drei Jahre bei uns sind mussten sich sicher erst etwas finden und klar tragen sie nun einen wesentlichen Beitrag zum Sound bei. Hauptsächlich hängt die Musik von Eluveitie aber von den Texten ab. Unser Songwritingprozess ist immer sehr organisch und die haupttreibende Kraft ist eigentlich immer Intuition. Es ist nie so, dass wir irgendwelche Lieder schreiben, sondern bevor wir überhaupt anfangen an neuem Material zu arbeiten, mache ich ein Konzept fürs ganze Album, das ich bereits vor meinem inneren Auge habe. Deshalb ist auch klar, dass jeder Song des Albums mehr oder weniger so geplant ist, wie er dann zu hören ist. Auch von der Art und Weise her, wie ein Song ist und welchen lyrischen Inhalt er hat ist eigentlich klar. Natürlich sind die Worte dazu noch nicht geschrieben, aber was der Song ausdrücken soll, ist bereits definiert. Aufgrund des Inhalts wird dann schliesslich die Musik geschrieben.

MF: Bei anderen Bands steht ja oft „nur“ die Musik im Zentrum. Könnte dies auch eine Erklärung dafür sein, warum sich die Eluveitie-Alben teilweise musikalisch unterscheiden?

Chrigel: Das ist sicher richtig. Unsere Musik soll auch immer das wiedergeben, was der Text ausdrückt. Das Album ist auch unterschiedlich. Mit «Worship» findet sich einer der härtesten und schnellsten Songs, den wir je geschrieben haben auf dem Album, und der ist so wie er ist – wegen dem Text. Im Gegenzug dazu «Ambiramus», der poppig ist irgendwie, aber auch das ausdrückt, was der Text inhaltlich bringt.

MF: Jetzt ein Wechsel in eine etwas andere Richtung. Euer Musikvideo zu «Ategnatos» habt ihr ja noch vor der Veröffentlichung des Albums online gestellt und dieses hat eingeschlagen wie eine Bombe! Wie stehst du eigentlich zu den digitalen Medien und den allseits beliebten Download-Plattformen?

Chrigel: Die ganze Musikindustrie hat sich natürlich in den letzten Jahren brutal verändert und wird sich auch noch weiter verändern. Also meine Welt ist es nicht (lacht). Ich trauere den alten Zeiten schon noch nach, in der ein Album wirklich ein Album war, das man in den Händen halten konnte, das Artwork bestaunen und die Texte mitlesen konnte. Ich vermisse auch die Zeiten, als man in den Plattenläden einfach durch die Regale stöbern konnte und sich bloss anhand eines geilen Covers die Platte angehört hat. Unter dem Strich ist es aber so wie es ist, und es wird sich wohl auch nicht mehr zurück verändern. Ich finde die Diskussion darüber irgendwie müssig. Erst recht das Genörgel, dass dies die Musikindustrie kaputt macht. Man kann nörgeln, aber es ändert sich dadurch nichts, denn es ist jetzt nun mal so. Entweder du findest es scheisse und jammerst dauernd darüber oder du machst eben mit und machst das Beste daraus.

MF: Um noch kurz bei den Medien zu bleiben. Man hat ja viel darüber gelesen oder gehört, dass du als „Galionsfigur“...

Chrigel: Galionsfigur? Echt jetzt? (lacht und schüttelt den Kopf)..., jesses Gott...

MF: Ja, das habe ich gelesen und gehört..., dass du über die Band bestimmst und eigentlich alles mit dir steht oder fällt. Wie kommt das bei dir an, wenn du Dinge dieser Art hörst oder liest?

Chrigel: Ja..., immer mal wieder lese ich sowas, aber wie gesagt, ich mache diesen Job jetzt schon siebzehn Jahre. Was definitiv der Fall ist und was ich wirklich lernen musste, ist, dass egal ob du Musiker, Autor oder Filmschaffender bist, wenn du ein Stück weit in der Öffentlichkeit stehst, du dir ein verdammt dickes Fell zulegen musst. Je länger man es aber macht, desto besser kann man damit umgehen. Klar gibt es immer wieder Dinge, bei denen man sich denkt: „Erzähl doch nicht so einen Scheiss!“ aber grundsätzlich kann man daran nicht viel ändern. Es muss einem egal sein.

MF: Grundsätzlich finde ich es auch nicht verwerflich, wenn jemand die Fäden in der Hand hält und etwas den Takt vorgibt. Man kennt ja genügend Beispiele, wo zu viel Freiheit im Chaos mündet.

Chrigel: Wenn wir in der Band ein Problem haben, dann ist eigentlich genau das das Problem. Also nicht, dass wir im Chaos enden, aber was wir wirklich in dem Sinne nie gehabt haben, ist ein Chef. Ich möchte nie Chef sein, und ich kann es tatsächlich auch gar nicht. Es ist aber immer wieder mal Thema, dass Leute der Band wirklich sagen: „Hey, du musst mehr Chef sein, sonst fehlen uns Infos und sonst vieles anderes.“ Wir hatten schon viele Diskussionen zu diesem Thema. Ich sage ihnen dann immer, dass ich mir Mühe gebe, aber ich bin einfach wie ich bin. Es ist also wirklich ein Thema, aber gerade umgekehrt, als es den Anschein macht.

MF: Es ist spannend, einmal von dir persönlich ein Statement dazu zu hören, danke! Momentan gehört ihr wohl unbestritten zu den bekanntesten Live-Acts aus Schweizer Sicht gesehen. Spürst du das als Musiker?

Chrigel: Was heisst spüren? Man weiss es, ganz blöd gesagt. Als Musiker hast du einen bestimmten Marktwert, und du weisst wo du stehst. Man bekommt das als Musiker schon mit.

MF: Wird dieser Wert denn aus deiner Sicht auch genug gewürdigt?

Chrigel: Ja schon! Es ist zum Beispiel eine Ehre, dass wir an einem Greenfield-Festival spielen dürfen.

MF: Du schlägst gerade den Bogen zu meiner nächsten Frage. Ihr seid ja bereits das fünfte Mal am Greenfield. Müsst ihr noch anfragen oder werdet ihr mittlerweile angefragt?

Chrigel: Ich muss dir ehrlicherweise sagen, dass ich das gar nicht weiss (lacht). Im Normalfall ist es schon so, dass ein Festival bei der Band eine Anfrage macht und nicht umgekehrt.

MF: Gibt es sonst noch was, was du loswerden möchtest?

Chrigel: Nein..., es bleibt mir nichts weiter zu sagen als danke für das nette Interview.

MF: Ok, ich habe ebenfalls zu danken. Merci!