Interview: Dream Theater
By Roger W.
Dream Theater sind mit ihrem neusten Album „Systematic Chaos“ in Europa unterwegs! Nur von systematischem Chaos war an diesem Abend im Zürcher Volkshaus nicht viel spürbar. Eher herrschte richtiges Durcheinander, so dass mein Interview-Termin mehrmals verschoben wurde. Als es dann soweit war und ich mich zu Beginn nochmals abgesichert hatte, ob ich denn tatsächlich die versprochenen 20 Minuten Zeit hätte, ahnte ich noch nicht, dass mir nach bereits 10 Minuten aufgetragen würde, das Gespräch zu beenden. Aber was solls. Tatsache ist, dass mir mit Gitarrist John Petrucci ein äusserst sympathischer Zeitgenosse gegenübersass, der mir die Fragen gewissenhaft, ruhig und klug beantwortete.

Metal Factory: Auf dieser Europa-Tournee habt ihr auf etlichen grossen Festivals gespielt zusammen mit Bands wie Iron Maiden, Ozzy Osbourne und vielen anderen. Es ist allgemein bekannt, dass eure Musik von anderen Bands beeinflusst ist. Welche Band hat dich beeindruckt?

John Petrucci: Auf den Festivals habe ich die anderen Bands gar nicht gesehen. Ich hatte keine Möglichkeit, Ozzy oder Iron Maiden zu sehen, da es auf Festivals immer drunter und drüber geht. Es spielen jeweils so viele Bands und auch der Backstagebereich ist immer voller Leute. Dazu haben wir noch auf einer anderen Bühne gespielt als Ozzy und Iron Maiden und hatten so keine Chance, etwas von ihnen zu hören. Aber die Festivalumgebung ist immer lustig und natürlich bieten Festivals eine grossartige Möglichkeit, vor sehr vielen Leuten zu spielen – Leute, die vielleicht wegen einer anderen Band gekommen sind und dich sehen. Es ist eine Chance, neue Fans zu gewinnen.

MF: Also hast du andere Bands mehr Backstage getroffen als dass du sie auf der Bühne gesehen hast?

JP: Ja, aber eigentlich habe ich gar nicht so viele Leute getroffen. Es ist lustig, es sind so viele Leute dort doch grundsätzlich ist es dasselbe wie heute. Du kommst auf dem Gelände an, gibst Interviews, wärmst dich auf für die Show, spielst und gehst wieder. Da triffst du nicht allzu viele Leute.

MF: Ihr habt Megadeth als Vorband mitgebracht. Ich finde, es ist ein sehr cooles Line-up heute Abend.

JP: Ja, das wird sicher cool. Wir kennen die Jungs von Megadeth sehr gut, denn wir haben vor ein paar Jahren bereits die Gigant-Tour (2005) durch die USA zusammen gemacht, was grossartig war. Es ist schön, die Jungs nun wieder zu treffen und heute sollte es einen coolen Abend geben.

MF: Ich habe gehört, dass ihr in Frankreich eine Jam-Session mit Megadeth gemacht habt, bei der ihr Pantera-Songs gezockt habt. Stimmt das?

JP: Wir haben in Texas/USA einen Pantera-Song gespielt, bei dem Dave Mustaine auf die Bühne kam und mit uns spielte aber wie gesagt, das war nicht in Frankreich sondern in Texas.

MF: Und heute wird dies nicht der Fall sein?

JP: Nein, nein, heute werden wir nicht jamen.

MF: Zum neuen Album, ich finde es grossartig. Ich habe dir ja gesagt, dass dieses Interview auch für metalfactory.ch ist und dort habe ich SYSTEMATIC CHAOS 10 von 10 Punkten gegeben – ich war sehr beeindruckt. Was ist der Sinn hinter den Ameisen im CD-Booklet?

JP: Danke erst einmal für die 10 Punkte von 10, das war sehr nett. Die Ameisen symbolisieren den Titel der CD. Sicher hast du als Kind einmal einen Stein hochgehoben und darunter tonnenweise Ameisen entdeckt, die in alle möglichen Richtungen liefen und es machte den Anschein, dass sie nicht wussten, was sie taten. Tatsache ist aber, dass die Ameisen ganz genau wissen, was sie tun. Alle arbeiten und jede einzelne hat ihren eigenen Job - wie ein geordnetes Chaos. Dieses Phänomen beschreibt exakt unseren Musikstil.

MF: Aber das Cover ist erst nach dem Albumtitel entstanden oder?

JP: Ja.

MF: Ich habe mir die Bonus-DVD angesehen und aufgeschnappt, dass der ursprüngliche Titel des Songs „Forsaken“ „Jetlag“ war. Littet ihr an Jetlag als ihr den Song geschrieben habt?

JP: Während der Schreib- und Aufnahmephase zu Systematic Chaos tourte ich zweimal mit G3. Ist dir das ein Begriff?

MF: Ja, das ist dieses Ding zusammen mit den anderen grossen Gitarristen.

JP: Exakt. Die erste Tour machte ich zusammen mit Joe Satriani und Eric Johnsson in Südamerika. Das zweite Mal ging ich mit Joe Satriani und Steve Vai nach Australien. Am Tag nach unserer Rückkehr ging ich bereits wieder ins Studio, litt aber dementsprechend ziemlich an Jetlag. Und „Forsaken“ war der Song, den wir dann schrieben.

MF: Also beschreibt ihr mit der Melodie den Jetlag und der Text kam später?

JP: Weisst du was? Der Name „Jetlag“ ist bloss ein kranker Titel und hat nichts mit dem Text oder der Melodie zu tun. Er ist nur lustig.

MF: Am Ende von „Rependance“ lässt ihr verschiedene Musiker zu Wort kommen. Am meisten überrascht war ich, dass Opeth-Mastermind Mikael Akerfeldt mit dabei ist. Magst du diesen speziellen Progmetal, den er macht?

JP: Ja, ich finde ihn grossartig. Den Text zum Song „Rependance“ hat Mike Portnoy geschrieben. Er hatte eine Botschaft, die er weitergeben wollte und er hatte diese Idee mit den gesprochenen Textpassagen. Anstatt diese Passagen selbst zu sprechen, liess er all die Leute ein paar Zeilen sprechen und da er mit Mikael Akerfeldt befreundet ist, hat er auch ihn mit eingespannt.

MF: Was denkst du über Opeth, die machen doch eine Art Death-Prog-Metal?

JP: Ja, ich finde die Musik echt cool. Überhaupt interessiert mich alles, was Musikalität zeigt, unabhängig davon, was für ein Musikstil es ist. Hauptsache ist, dass die Leute spielen können.

MF: Ich hätte nicht gedacht, dass ich Opeth mag, doch ich habe sie letztes Jahr auf einem Festival gesehen und ich fand sie gut. Da war ich ziemlich überrascht.

JP: Das ist cool. Dies ist genau der Grund, weshalb Festivals gut sind für Bands. Du wärst jetzt nicht unbedingt an ein Opeth-Konzert gegangen, hast sie aber auf einem Festival gesehen und mochtest sie.

MF: Auf der DVD (die Special Edition von SYSTEMATIC CHAOS enthält eine DVD mit einer Doku zum Entstehungsprozess der neuen Scheibe, A.d.A.) sah ich, dass ihr eure Songs in Notenform niederschreibt. Wäre es interessant für euch, darauf Musikbücher zu machen und diese zu verkaufen?

JP: Wir geben Musikbücher heraus zu jedem Album, aber nicht mit den handgeschriebenen Notierungen.

MF: Aber ihr benützt die Noten, die ihr von Hand niederschreibt, auch für die Musikbücher-Notierungen oder?

JP: Normalerweise haben wir Leute, die unsere Musik in Noten umsetzen für die Musikbücher. Wir benutzen also nicht unsere Noten dafür.

MF: Das neue Album beinhaltet verschiedene sehr schnelle Songs. Ok, ihr hattet schon immer schnelle Songs. Wie lange übst du ein Stück, bevor ihr es aufnehmt?

JP: Eigentlich nicht lange. Normalerweise schreiben wir die Songs während wir im Aufnahmestudio sind. Wir schreiben also den Song, wir stellen ihn fertig, schlafen eventuell eine Nacht darüber und starten dann mit dem Aufnehmen. Wir üben ihn also nicht viel. Das Problem entsteht erst, wenn wir die Sachen live spielen müssen. Dann müssen wir zurück zum Material gehen und es lernen und üben, damit wir es live spielen können.

MF: Das ist erstaunlich denn ich glaube, eure Songs sind nicht so einfach zum Spielen.

JP: Nein, das sind sie nicht (lacht). Wenn du in einem Aufnahmestudio bist, kannst du einen Song auseinander brechen. Du musst nicht den ganzen Song an einem Stück einspielen. Du kannst den ersten Teil einspielen, ihn nochmals anhören und versuchen, ihn zu perfektionieren.

MF: Aber wie wisst ihr, dass die Sachen, die ihr Schritt für Schritt aufnehmt, live ebenfalls funktionieren?

JP: Ein Teil davon ist schlichtweg Erfahrung. Wir als Band existieren seit über 20 Jahre und wissen mittlerweile, welche Songs live spannend sein könnten und welche nicht – einfach aus Erfahrung.

MF: Übst du noch unter Tag oder während einer Tour?

JP: Ja, ich übe sehr viel. Es ist auch eine Folge davon, von was wir vorher gesprochen haben. Ich muss zurückgehen und die Songs lernen. Wenn du im Studio bist und ein Gitarrensolo spielst, sitzt du dort und machst es perfekt und alle sind zufrieden. Das ist das eine. Aber dann musst du das Solo auch live spielen können, also gehst du zur Aufnahme zurück, hörst dir an, was du gespielt hast, lernst es, übst es wieder und wieder und perfektionierst es. Es ist etwas komplett anderes.

MF: Im Herbst kommt ihr nochmals nach Europa zusammen mit Symphony X. Glaubst du nicht, dass das etwas zu viel Prog-Metal ist für einen Abend?

JP: (lacht) Ich weiss es nicht. Es ist lustig, dass du das gesagt hast weil ich denke, dass es zwei verschiedene Sichtweisen gibt. Es gibt Leute, die das mögen, die gerne an Konzerte gehen und Bands sehen, die denselben Musikstil machen wie wenn wir zusammen auf Tour gehen mit Queensrÿche oder Symphony X. Andere Leute aber mögen das gar nicht, die sehen lieber total unterschiedliche Bands sehen, um eine gewisse Abwechslung zu haben.

MF: So wie heute…

JP: Ja. Ich weiss nicht, wir werden sehen. Symphony X sind sehr coole Typen und eine grossartige Band, es sollte daher ein Riesenspass werden. Hoffentlich werden es nicht zu viele gespielte Noten werden.

MF: Wir sind nun fast am Ende des Interviews. Hast du ein paar berühmte letzte Worte für eure Schweizer Fans?

JP: Ok, ich weiss nicht, ob sie berühmt sind, aber für mich ist der Weg, den wir gemacht haben, unglaublich. Wir sind momentan in Europa, kommen aus den USA und starteten mit Touren in Europa vor vielen Jahren. Wir sind dankbar, dass wir den europäischen Markt über all die Jahre hinweg aufbauen konnten, sodass wir nun sehr viele europäische Fans und natürlich auch Schweizer Fans haben, Freunde in Italien, Deutschland…Das ist nicht etwas, das über Nacht passiert sondern etwas, das sich langsam aufbaut. Wir sind sehr glücklich und auch dankbar, eine solche Fanbase zu haben und wir haben immer sehr viel Spass, wenn wir spielen. Hoffentlich geniessen es die Leute, uns zu sehen.