Interview: Crystal Ball

By Tinu
 
Ganz normale Musiker.



«Déjà Voodoo» heisst der neuste Streich der Innerschweizer Crystal Ball. Zum ersten Mal standen Gitarrist Scott Leach, Trommler Marcel Sardella, Sänger Steven Mageney und Bassist Cris Stone zusammen mit dem ehemaligen Krokus-, Fox- und Ain't Dead Yet-Bassisten Tony Castell im Studio. Tony, der von vier auf sechs Saiten wechselte, unterstützte mit seiner bekannten Art den Songwriting-Prozess bei einem Album, das auch durch seine härtere Gangart auffällt. Produziert wurde erneut vom ehemaligen Accept und U.D.O.-Musiker Stefan Kaufmann, der nicht nur Knöpfchendreher für das Quintett war, sondern auch Ideengeber und Meisterkoch. Dies verkündeten Tony, Scott und der immer mit einem breiten Grinsen seine Spässe vortragenden Marcel. Here weg go!

MF: Was hat sich von «Déjà Voodoo» zu allen anderen Alben von euch verändert?

Scott: Grundsätzlich ist im Prinzip nichts verändert worden, sondern die neue Scheibe ist die logische Weiterführung des letzten Werkes. Wie immer, versuchten wir eingängige Lieder zu schreiben (grinst). Der Sound ist aber sicher ein bisschen anders ausgefallen, sprich aggressiver geworden und die Gitarren stehen mehr im Vordergrund als früher. Für die Drums wurde dieses Mal auch mehr Aufwand betrieben. Ansonsten ist es eine weitere Crystal Ball-Platte geworden (lacht).

Tony: Kompositorisch…

Scott: …genau, du hast eine weitere Nuance eingebracht.

Tony: Für das erste Mal, dass wir die Songs in dieser Besetzung geschrieben haben, hat alles sehr gut funktioniert.

Marcel: Man spürt die neue Reife, die mit dieser Bandkonstellation ans Tageslicht kam. Es sind neue Einflüsse zu hören und dieses Miteinander ist zu einer richtigen Einheit gewachsen. Das ist auf der musikalischen wie auch auf der menschlichen Basis auf einem sehr hohen Level und führt zu einem unglaublichen Spass. Der steht bei uns sehr zentral. Den Spass hört man der Platte an, und du wirst dies heute Abend auch auf der Bühne sehen. Das bedeutet nicht, dass sich durch diesen Faktor viel verändert hat, aber alles sich nach wie vor noch immer nach Crystal Ball anhört.

Tony: Für mich war es das erste Mal, dass ich mit den Jungs zusammen Songs geschrieben habe. Auch die Zusammenarbeit mit Stefan Kaufmann, auf die ich sehr gespannt war, hat mich sehr, sehr positiv überrascht. Er ist ein absolut genialer Produzent und ein sehr talentierter und extrem guter Musiker. Zudem ist Stefan ein sehr guter Mensch, der aus uns das absolute Maximum herausholte. Man kann schon fast vom sechsten Bandmitglied sprechen.

MF: Wie gross war der Einfluss von Stefan Kaufmann?

Scott: Vom Songwriting her dieses Mal sicher am grössten, da er bei zwei Lieder mitgeschrieben hat. «To Freedom And Progress» hat er mitinitiiert. Die Grundidee stammt zum grössten Teil vom ihm. Bei «To Be With You Once More» hat er mir ein Gitarrenthema per Mail geschickt, das habe ich erweitert und so hat sich der Track ergeben. Diese beiden Lieder wurden von ihm angeregt. Als Produzent war sein Einfluss noch immer gleich gross, wie bei den anderen Scheiben auch. Er gibt uns immer viele Tipps, initiiert neue Ideen und hilft uns so, die Lieder noch besser zu machen.

Marcel: Das war das Geile, als ich mit ihm zusammen an den Drums gearbeitet habe. Dieser Austausch mit ihm ist sehr interessant. Wir sassen mit ihm zusammen bis in die frühen Morgenstunden, haben uns alte Videos angeschaut und uns so neue Ideen oder Inspirationen geholt. Diese Art der Zusammenarbeit ist unglaublich fruchtbar. Durch seine Erfahrung als Musiker und Produzent kannst du nur profitieren. Das Schöne ist, dass er sich dabei nicht über dich stellt, sondern ihm deine Meinung ebenso wichtig ist, wie seine. Er pusht uns in die richtige Richtung und weiss genau, wie weit er mit dir als Mensch gehen kann und wo deine Stärken und Schwächen liegen.

Tony: Nicht zu vergessen, dass er ein Superkoch ist (grinst). Das muss man schon erwähnen (alle lachen). Man spürt, dass seine Leidenschaft auch in den Kochtöpfen zu finden ist.

Marcel: Das ist ein wichtiger Punkt, dieses Gesellige, dass es nicht nur um die Arbeit geht und alles drum herum interessiert niemanden. Bei einem feinen Essen entstanden oftmals auch ganz tolle Ideen.

MF: Als ich mir das Album zum ersten Mal angehört habe, fiel sofort der typische U.D.O.-Sound auf, welcher auf «Mastercutor» oder «Rev-Raptor» zu hören ist. Für mich überraschend, dass dies nun bei Crystal Ball zu hören ist.

Scott: Mit diesen Scheiben habe ich unseren Sound nicht verglichen. Allerdings habe ich «Liferider» und «Déjà Voodoo» miteinander verglichen und stellte fest, dass die Neue bedeutend aggressiver ausgefallen ist. Wir haben diesen neuen Gitarrensound ausprobiert und waren der Meinung, dasss der richtig knallt. Was nicht heissen muss, dass der neue Sound besser als der alte ist (grinst). Es war uns wichtig, die letzte Scheibe nicht zu wiederholen. Wir wollten den nächsten Schritt machen. Kann sein, dass wir bei der nächsten CD wieder einen Step zurück gehen. Mit dem neuen Sound bin ich zufrieden, was aber nicht gleichbedeutend damit ist, dass ich noch weitergehen will in diese Richtung. Mal schauen, wie es sich in einem Jahr, mit etwas Abstand, anfühlt.

Tony: Ich denke, das hat sich auch songbedingt so ergeben. Nimm nur «Time And Tide» oder den Titelsong. Da versuchten wir uns an diesem differenzierteren Sound.

Marcel: Wobei ich der Meinung bin, dass es nicht nur der Sound ist, sondern dieses Schnörkellose. Ich habe bewusst das Drum noch mehr songbezogen gespielt, ohne dieses ganze technische Bullshit Gedöns, sondern straight durchgespielt. Das macht das Ganze schnell mal… Ich will hier nicht die Vergleiche zu Accept oder Rammstein ziehen. Aber es gibt diese Tightness, bei der man sofort denkt, «Wow, das ist aber hart geworden». Das muss nicht einmal sein! Das Fazit ist schnell, oh das ist aber bedeutend härter als früher, dabei haben wir die Lieder einfacher um einiges tighter gespielt. Da hört man eine unglaubliche Power und ein "Riesen-Pfund".

MF: Marcel, du hast vorhin den Spass in der Band angetönt. War der nicht immer in diesem Ausmass vorhanden?

Marcel: Tja, der Spass… Nehmen wir die erste Dekade mit den Urmitgliedern. Da durchlebten wir viele Dinge, die schlussendlich zu den Fragen führten, muss denn dieses und jenes wirklich sein? So ging die Lust wie auch der Spass flöten. Mit den neuen Mitgliedern ist Crystal Ball definitiv eine andere Band geworden. Wir danken Gott, dass wir diese Musiker gefunden haben und der Spass wieder eingekehrt ist. Auch bei mir gab es den Moment, an dem ich sagte: «Wisst ihr was, leckt mich am Arsch, ich habe keinen Bock mehr!» Dadurch dass Scott und ich nicht aufgaben, stehen wir heute da, wo wir sind. Wir sind eine geile Familie, eine geile Truppe und jeder ist für den anderen da. Das führt zu einem unglaublichen Spass. Jeder zieht am gleichen Strick, weiss was wir wollen und genau das macht es aus. Auf deine Frage zurück zu kommen (grinst), ja, es war mal anders.

MF: Wie schwer ist es die Balance zu halten, zwischen erfolgreich sein, Geld zu verdienen und Spass zu haben?

Scott: Da würde ich sagen, wir sind auf der Spassseite (lacht).

MF: Aha, somit fehlt das Geld (alle lachen)…

Tony: …nein! Für das haben wir einen Buchhalter in der Band (lacht).

Scott: Es kommt Geld rein, es geht aber auch viel Geld raus. Klar haben wir Ziele und Ambitionen, aber unter dem Strich überwiegt der Spass. Das kann anders werden, wäre schön, aber nicht um jeden Preis. Das ist auch unser Erfolgsrezept und was uns antreibt.

Tony: Genau, wir gehen unserer Leidenschaft nach. Für jeden noch so kleinen Erfolg sind wir dankbar. Dabei schauen wir nach vorne und bleiben am Ball so lange es geht.

MF: Wie war es, als ihr zum ersten Mal ein Album von euch in den Händen gehalten habt?

Marcel: Das war noch vor Crystal Ball. Klar, man hat das Gefühl jetzt wird man Rockstar und ist durch nichts mehr aufzuhalten. Das war dann allerdings gar nicht so (lautes Lachen von allen). Man schaut aber immer nach vorne und das Neuste ist auch immer das Aktuellste. Dabei wird die erste Scheibe oder auch die dritte zur Vergangenheit. Man hat da Herzblut investiert, aber eben, es ist vergangen. Das war auch eine andere Zeit und wir leben im Heute und Jetzt.

Tony: Für mich war «Déjà Voodoo» das erste Album zusammen mit Crystal Ball und ich habe mich mega mega darauf gefreut. Auch weil ich Gitarre und nicht Bass spiele. Darum war es für mich, wie bei der ersten Scheibe auf der ich mitgespielt habe. Dass ich das in meinem Alter noch erleben darf (schallendes Gelächter von allen)! Das ist das Schöne, dass man nicht zu einem Fliessbandarbeiter verkommt und sich noch immer auf ein neues Werk freuen kann.

MF: Ist somit das neueste Album auch immer das Beste?

Scott: Nicht zwingend. Mit «Liferider» bin ich super zufrieden. Das bin ich auch mit dem neusten Werk. Ob ich jedoch das Frischeste auch das Beste finde, würde ich so nicht behaupten. Das eine ist ein bisschen mehr links und das andere eine Spur mehr rechts. Diese Frage werde ich wohl erst in fünf Jahren richtig beantworten können. Mit «Liferider» sind wir an einem Punkt angekommen, bei dem ich mir sicher bin, dass ich die Scheibe auch in zehn Jahren noch problemlos hören kann, ohne dass ich gleich vieles verändern möchte. Das Frischeste ist immer am Spannendsten (lacht).

Tony: Ich denke man merkt es auf der Bühne, zu was die neuen Lieder taugen. Oder wenn die Setliste zusammengestellt wird und man sich die Haare raufte, welche Tracks man auf Tour spielen will. Das ist immer ein gutes Zeichen, wenn man sich bei den neuen Tracks nicht einigen kann, welche man spielen will. Oder dieses Jonglieren der drei Dekaden bei Crystal Ball. Wird dabei diskutiert, weiss man, dass man in der jüngsten Vergangenheit vieles richtig gemacht hat. Live gibt dir die Antwort, welche Lieder auf der Bühne zünden und welche nicht.

Marcel: Es ist diese Präsenz des Albums. Du erinnerst dich genau, was beim Einspielen im Studio passierte. Oder welches Riff du im Proberaum verworfen oder neu gestaltet hast. Es ist alles noch frisch. Ob es schlussendlich dann das Beste sein wird? Frage uns das in fünf oder sechs Jahren nochmals (grinst).

MF: Wie oft wurdet ihr durchs Business, durch das Label oder durch Manager schon enttäuscht…

Marcel: …tagtäglich (alle lachen)!!! Hör mir bloss damit auf, was ich tagein und tagaus am Fluchen bin deswegen (breites Grinsen).

Scott: Das Thema… Das hört nie auf. Wir lachen jetzt, aber es gibt Momente, da ist es uns alles andere, als ums Lachen. Das ist wie alles im Leben. Der Punkt an dem alles nur rollt, den gibt es nicht. Keine Ahnung, ob sich eine Truppe wie Kiss auch aufregt. Vielleicht sind es bei ihnen andere Dinge. Ehem ja, man regt sich oft auf (grinst). Aber auf Details will ich nicht eingehen (lacht).

Marcel: Erinnerst du dich noch an den Teleboy, der immer hin und her wackelte (alle lachen)?

MF: Und schon sind wir beim Traugottli (schallendes Gelächter von allen). Hattet ihr aber jemals das Gefühl, Rockstars zu sein?

Marcel: Ja (lacht)!

Tony: Nein (lacht)!

Scott: Immer wieder (lacht)!

Marcel: Persönlich, nein, niemals! Ich bin Musiker, Schlagzeuger und spiele bei Crystal Ball, aber bin und werde nie ein Rockstar sein.

Tony: Ich begreife das nicht (lacht). Aber, willst du vor einen Gig deine Ruhe und ziehst dich zurück und sagst zu den Fans, wir sehen uns später, wie fassen die Leute dies auf? «Oh, das ist ein arroganter Typ, so ein Rockstar!» Das hat aber nix mit dem zu tun, sondern, dass du dich konzentrieren und auf den Gig fokussieren willst. Ich bin kein Rockstar und will es auch nicht sein, auch wenn ich mich zurück ziehe (grinst). Wieso auch, da machst du dir selber nur was vor. Die Realität holt dich immer ein.

Scott: Oftmals ist es so, dass sich nicht der Musiker ändert, sondern die Wahrnehmung der Leute im Umfeld. Wird ein Mucker bekannt, wird alles was er sagt auf die Goldwaage gelegt. Erzählt ein Freund einen Scheiss, spielt dies keine Rolle. Macht es aber der Musiker… Oder wenn er keine Zeit hat, wenn 500 Leute etwas von ihm wollen, dann ist dies weit weg von arrogant sein, sondern er sucht ganz einfach seine Ruhe.

Marcel: Das ist sehr heikel. «Hey, du hast es geschafft, neues Album, neue Tour, super!» Gehst du nicht auf alles ein, heisst es sofort: «…aha der Herr hat es nicht mehr nötig, er ist jetzt eben ein Rockstar!»

MF: Sex, Drugs And Rock'n'Roll, ein Klischee?

Tony: Immer (alle lachen).

Marcel: Was immer (alle lachen)? Immer wieder (alle lachen)?

MF: Genau in dieser Reihenfolge?

Tony (nach einer kleinen betretenen Schweigesekunde): Sex und Rock'n'Roll, klar! Drugs, das gab es früher in einem minimalen Ausmass. Eines muss ich sagen, ich habe schon vieles gesehen, aber ich spielte noch nie in einer so gesunden Band mit. Das ist super, somit rauche ich auch weniger und bin bedeutend fitter, was sich positiv auf die Show auswirkt. Klar trinken wir auch mal ein Bier, aber äusserst diszipliniert. Das ist ein Feedback, welches uns von aussen zugetragen wird. Dass Crystal Ball eine sehr disziplinierte Truppe ist.

Scott: Drogen nein danke, der Rest, ja gerne (lacht).

Marcel: Ja weisst du..., früher…

Scott: …jetzt kommen die alten Mucker (schallendes Gelächter).

Marcel (mit einer Polo Hofer Stimme): Früher hast du nichts wegelassen, sondern alles mitgenommen, was auf dem Weg lag. Mittlerweile bin ich in einem Alter, in dem ich Musik machen und Spass mit dieser Familie haben will. Alles Drumherum interessiert mich nicht! Klar ist es schön, wenn eine Lady kommt und das Autogramm auf die Brüste will (lacht). Dann erfüllst du ihr diesen Wunsch halt auch (schallendes Gelächter).

Scott: Tja, dieses Opfer musst du bringen (lacht).

Marcel: Aber während dem Unterschreiben sind die Augen geschlossen, das ist ganz klar (breites Grinsen).

MF: Ist man als Musiker noch das Begierdeopfer der holden Weiblichkeit?

Marcel: Definitiv Martin, definitiv!!!

MF: Zum Glück!

Marcel: Sowieso (schallendes Gelächter). Früher hast du nur wegen den Frauen Musik gespielt (Gelächter).

MF: Du bist wenigstens ehrlich!

Marcel: Absolut! Da waren andere Prioritäten. Ehrlich, man muss schon aufpassen was passiert und dich nicht plötzlich in der Besenkammer wieder findest (grinst). Keine Ahnung, wie dies bei euch der Fall ist (Gelächter).

Scott: Ich konnte mich noch immer wehren (lacht)!

MF: In diesem Sinne danke ich für das Interview…

Marcel: Wir danken dir für die nicht immer einfachen Fragen. Es war mal ein anderes, interessantes Interview.

Tony: Danke für deine Zeit.

Scott: Ja, besten Dank…

MF: …und weiterhin viel Glück beim Abwehren williger Frauen oder der Hoffnung, dass die Besenkammer noch frei ist (schallendes Gelächter von allen).