Interview: Candlemass
By Kissi
Slayer stehen für Thrash, Cannibal Corpse, das ist Death und Manowar sind sowieso truer als True Metal. Und welche Band darf sich vor allen anderen mit der Bezeichnung Doom schmücken? Genau: Candlemass! Zwar nie diese Massen erreicht wie die anderen genannten Genres, hat die Zeitlupen-Spielart der harten Gitarren-Musik über Jahrzehnte hinweg eine treue Anhängerschaft mobilisiert. 20 Jahre sind seit der Gründungszeit von Candlemass nun in die Lande gezogen und mit dem im Sommer erschienenen Album "King of the Grey Island" zeigten die Mannen um Mastermind Leif Edling, wer nach wie vor die Herrscher des Slow-Motion-Sounds sind. Neu mit an Bord, als Nachfolger des nun endgültig in die Wüste geschickten Kuttenträger Messiah Marcolin, ist dabei Robert Lowe, bis anhin bekannt als die Stimme der Texas-Doomer Solitude Aeternus. Um das neue Gesangswunder nicht nur auf Konserve den Fans bekannt zu machen, ging es diesen Herbst natürlich auf ausgiebige Konzertreise, welche Candlemass dankbarer Weise auch ins Z7 in Pratteln führte. Nur logisch, dass MF sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen liess und die beiden Doom-Helden Edling (LE) und Lowe (RL) mit Fragen nur so bombardierte. Produkt dieses Frage-Antwort-Spiels? Leif lässt kein gutes Haar an Ex-Fronter Messiah, erörtert seine Meinung über die Menschheit und schwärmt im Dialog mit Rob über die Stimmung in der Band und die vielversprechende Zukunft von Candlemass inklusive spanischem Weinkeller und einer Übernahme Schwedens.

LE: Sorry für die Verspätung! Wir sassen gerade zwei Stunden im Bus und haben das endlich zusammen geschnittene Material von unserem Jubiläums-Gig angeschaut. Das mussten wir heute noch machen, da wir es so schnell wie möglich absegnen müssen, damit es dann mal weiter mit der Produktion gehen kann.

MF: Und? Wie sind die ersten Eindrücke?

LE: Nicht schlecht, nicht schlecht. Es ist auf ne Art ziemlich low-budget da letzten Endes eine der Kameras ausgestiegen ist und dann auch noch die Recording-Hard-Disk - das musste ja so kommen - und so musste alles Material ziemlich sorgfältig zusammengebastelt werden. So mussten wir zeitweise auf Kamera-Mikrophone ausweichen und das der Typ, der das Mastering übernahm arbeitete etwa 5 Tage und Nächte ununterbrochen daran, während wir für das Schneiden etc. sicher 2 Monate an Zeit investierten. Aber jetzt überzeugt es mich ziemlich: Alles ist nun sehr direkt und ehrlich, ohne grossen Schnickschnack eben.

MF: Da kann man sich als Fan ja auf die Veröffentlichung freuen...

LE: Absolut! Viele Leute haben uns, z.T. schon am Abend des Konzertes, darauf angesprochen und gefragt, ob es eine DVD davon geben würde - wir müssten dies doch unbedingt tun.

MF: Dieser Auftritt war ja auch das Debüt mit dir, Rob; wie sind so die ersten Tour-Eindrücke mit diesem neuen Line-up?

LE: Es läuft sehr, sehr gut! Wir haben nun schon über ein Dutzend Shows zusammen gespielt und davon war noch keine einzige schlecht. Die Leute mögen die neue Show wirklich, so klingen auf jeden Fall die Statements, die ich bis jetzt bekommen habe. Sie mögen die neuen Songs und es kommen vor allem überraschend viele jeden Abend. Es scheint also, als würden die Leute wirklich auf unsere neue Scheibe stehen. Und Rob macht einen fantastischen Job, da gibt’s auch überhaupt nichts zu meckern. Überrascht war ich vor allem gestern, wenn wie schon auf der letzten Tour - zusammen mit Destruction - spielten wir am Abend vor dem Z7-Gig in Antwerpen. Vor zwei Jahren war dies der schlechteste Gig der ganzen Tour überhaupt und dieses Mal war es so viel besser... Endlich konnten wir da auch wieder einmal eine gute Show hinlegen. Also keine Gründe zu Klagen bis jetzt.

MF: Aber auch 2005, auf der schon erwähnten Tour mit Destruction, seid ihr als klare Sieger hervorgegangen. Jedenfalls leerte sich die Halle merklich, nachdem ihr aufgetreten wart.

LE: Aber es war einfach eine ziemlich üble Bandmischung. Candlemass-Fans mögen Destruction nicht wirklich und umgekehrt können die Thrash-Fans von Destruction unserem Sound nicht wirklich viel abgewinnen.

MF: Naja... Ich fand die Kombination noch unterhaltsam... da konnte man auf völlig unterschiedliche Weise an einem Abend bangen.

LE: Ok, das ist wahr. Aber du musst zugeben, dass die Mehrheit der Doom-Fans an Up-Tempo Thrash nicht viel findet und die Thrasher hingegen finden unseren Sound einschläfernd und langsam. Es gibt vielleicht Ausnahmen, aber oftmals ist es eben so. Natürlich ist so etwas auch eine Chance, neue Leute zu erreichen, aber die Unterschiede waren wohl doch etwas zu gross.

MF: Jetzt mal konkret Leif: Welches sind die grössten Unterschiede zwischen Konzerte geben mit Messiah oder jetzt eben mit Rob?

LE: Zuerst muss ich sagen, dass alle Unterschiede, und von denen gibt es einige, sehr positive Unterschiede sind. Der wohl für die Band spürbarste ist, dass wir nun endlich hören können, was wir spielen. Glaub mir, das ist verdammt hilfreich! Endlich wissen wir mal, wie wir so klingen, hahaha... Aber ehrlich: Wenn wir mit Messiah auftraten, dann beschlagnahmte er zuerst mal so gut wie alle Monitore, die Seitenboxen waren auf ihn ausgerichtet und sogar die Hochtöner übertrugen im Grunde nichts anderes als die Vocals. So wurden wir während 90 Minuten jeden Abend einzig alleine von Messiahs Stimme voll gedröhnt. Und nun haben wir meistens einen ausgewogenen Sound auf der Bühne und können uns so auch gelassener auf die Show konzentrieren.

RL: Das ist auch genau das, was ich will. Damit ich richtig singen kann, muss ich auch die anderen hören... ist ja logisch. Klar nützt es, wenn ich mich gut höre. Aber wir sind es ja den Fans schuldig, dass wir gut zusammen spielen und da ist es sicherlich nicht dienlich, wenn alleine die Vocals hörbar sind.

LE: Das zeigt auch eine weitere Veränderung: Mit Rob ist endlich wieder ein gesundes Teamwork in die Band zurückgekehrt. Das wirkt sich dann eben auch positiv auf das Bandklima aus und tut jedem gut. Anstelle eines Clowns in Mönchskutte der im Vordergrund steht, tritt Candlemass nun als einheitliche Band auf. Mit Rob ist es uns nun auch möglich mehr Leute zu erreichen und von uns zu überzeugen, denn ich habe oftmals gehört, dass sich Leute über Messiahs Gehabe aufregten. Ich sage absolut nichts gegen seine Gesangsleistung, an der war nie etwas auszusetzen, aber mit Rob wirken wir homogener, zugänglicher. Mit Messiah polarisierte die Candlemass: Entweder man fand uns super oder man konnte uns nicht ausstehen. Mit Robert klingen wir nun immer noch nach Candlemass, vielleicht noch ehrlicher als irgendwann, und dennoch sind wir zugänglicher und ansprechender.

Die Fans sind ja auch nicht blöde! Und über die Konzerte, die wir nun schon in dieser neuen Version von Candlemass absolviert haben, habe ich nur gute Kritik entgegen nehmen können. Viele sagen, dass Candlemass besser denn je klingt und wenn wir dafür einen gewissen Show-Faktor einbüssen müssen, dann ist mir das ohne Frage wert.

MF: Das Songwritting zu eurer aktuellen Scheibe, "King of the Grey Island", war ja schon beendet als ihr Messiah raus warft. Rob, wie kamst du genau zu Candlemass?

RL: Meine Freundin sagte mir, dass sie einen neuen Sänger suchen würden. Bevor sie mir das aber erzählte, rief sie bei Leif an und der telefonierte dann mit mir... ging eigentlich ziemlich unspektakulär von statten.

LE: Rob war ja auch kein Unbekannter für uns. Natürlich kennen wir Solitude Aeternus schon seit Jahren. Wir haben in den Staaten auch schon das eine oder andere Mal zusammen getourt. Schlussendlich war es auch nichts Überraschendes sondern eher eine fast logische Sache.

RL. Ja genau... es war fast wie Schicksal, irgendwie gespenstisch. Die Fans haben schon, bevor wir überhaupt mit einander in Kontakt traten darüber diskutiert, ob ich der neue Sänger werden würde. Und wenn wir realistisch sind, ist es doch auch so, dass die Hardcore-Candlemass-Fans auch Solitude Aeternus kennen und hören und umgekehrt...

MF: Habt ihr in dieser Zeit mit dem Gedanken gespielt Johan Langqvist anzufragen, die Stimme von eurem Debüt "Epicus Doomicus Metallicus"?

LE: Nein, niemals!

MF: Und warum nicht?

LE: Johan ist, wie du richtig gesagt hast, die Stimme von "Epicus..." und das soll auch so bleiben. Dazu ist er kein Metal-Mensch. Er hat absolut Talent und hätte "King of the Grey Island" sicherlich fantastisch eingesungen, aber das mit Johan ist vorbei.

MF: Der wohl zeitlich grösste Teil eures Sets zur Band-Geburtstags-Party habt ihr aber mit Langqvist absolviert...

LE: Ja schon, aber da haben wir, als speziellen Event zum Jubiläum, auch das ganze "Epicus Doomicus Metallicus"-Album durchgezockt. Aber wie schon gesagt: Johan ist nicht Metal! Candlemass aber braucht jemanden, der auch auf der Bühne und überhaupt das verkörpert, was Candlemass ist. Doom, Metal, Dunkelheit... dafür ist Rob, abgesehen mal von der perfekt passenden Stimme, die optimale Wahl. Sie dir den Typen doch mal an: Sitzt hier in einem Maiden-Shirt, läuft mit permanent schwarz lackierten Fingernägeln herum und hat, wenn auch etwas schütter, lange Metal-Haare... hahaha

RL: Hey! Keine Witze über meine Haare, das macht einem echt zu schaffen, hahaha...

MF: Candlemass und Solitude Aeternus sind ja unbestreitbar zwei der, wenn nicht sogar die momentan grössten und berühmtesten Doom-Metal-Bands überhaupt. Hattet ihr da nie Angst, Candlemass würde nun zu fest nach Solitude Aeternus klingen, dass man die beiden Bands nicht mehr auseinanderhalten können würde?

LE: Nein, nein... schaden tut diese Verbindung keinem. Im Gegenteil! Ich bin der Überzeugung, dass beide Bands davon nur profitieren können. Für uns ergibt sich nun sicherlich die Chance, unseren Bekanntheitsgrad in Amerika enorm zu steigern. Dagegen ist es für Solitude Aeternus kostenlose Werbung in Europa, da nun in jedem Artikel etc. über oder mit uns auch Solitude Aeternus erwähnt wird und ich bin mir sicher, dass sich nur schon allein aus dem Grund, dass sie Robs Stimme auf unserem Album mögen, Solitude-Aeternus-Scheiben zugelegt haben.
Dazu würde mir auch nie im Traum einfallen, Rob irgendwie zu zwingen, Solitude Aeternus zu vernachlässigen oder gar bei ihnen auszusteigen.

RL: Was ich auch niemals tun würde! Aber das ist auch kein Problem, denn bekanntlich ist Solitude Aeernus nicht gerade die aktivste Band auf diesem Planet und touren ist bei uns sowieso eher die Ausnahme. Somit geniesse ich es wirklich, dass ich mit Candlemass so viele Konzerte spielen kann, obwohl meine Stimme sich daran erst gewöhnen muss.

LE: Und was das ähnlich klingen betrifft, da mach ich mir auch keine Sorgen. Klar, beide Bands spielen Doom Metal, aber Solitude Aeternus und Candlemass klingen überhaupt nicht gleich. Auch Rob singt bei uns ein wenig anders als bei Solitude, da nur schon das Material anderen Gesang vorgibt. Candlemass ist natürlich von meinen Einflüssen geprägt, von meinem Hang zu Sabbath zu Ozzy-Zeiten Harmonien und meinem generellen Fanatismus für diese Band, während Solitude in einer ganz anderen Weise an die Sache herangehen.

RL: Da stimme ich vollkommen zu! Man muss sich nur mal die aktuellen Scheiben beider Bands anhören, die ja beide noch ziemlich jung sind. Solitude's "Alone" und Candlemass' "King of the Grey Island": Jedes steht für sich selbst und trotz dem Umstand, dass es das selbe Genre ist, klingen die beiden Scheiben deutlich unterschiedlich.

LE: Wenn jemand nun das Ganze, was weiss ich, als Candlemass Aeternus oder so bezeichnen würde, und ich bin mir sicher, irgendjemand macht das, dann hat dieser jemand einfach ein Problem mit seinen Ohren oder ist komplett taub, denn das stimmt einfach nicht.

RL: Und gerade wenn man Doom-Metal-Fan ist, sollte es einem wirklich nicht schwer fallen, die Unterschiede zu bemerken und ohne Weiteres zwischen Candlemass und Solitude Aeternus unterscheiden zu können.

MF: Rob: Wo siehst du die Unterschiede im Spielen zusammen mit Solitude und Candlemass?

RL: Das sind einfach Welten! Nur schon die ganze Grundstimmung, der Vibe ist einfach anders. Die Jungs von Solitude kenn ich schon seit Ewigkeiten, ich bin praktisch mit ihnen aufgewachsen und uns gibt es ja auch schon seit ungefähr 2000 Jahren... Es ist immer anders. wenn du mit anderen Menschen auf der Bühne stehst. Nur schon, wenn zum Beispiel der Bassist oder ein Gitarrist oder wer auch immer, wenn nur schon ein Bandmitglied ausgewechselt wird, fühlt sich alles komplett anders an. Und wie schon erwähnt, ist es ein anderer Sound und in Europa zu spielen, was bei Solitude auch nicht gerade oft der Fall ist, fühlt sich anders an...

MF: Leif, hast du darüber nachgedacht Candlemass aufzulösen, nachdem ihr euch wieder einmal von Messiah getrennt habt?

LE: Eigentlich nicht. Ich wollte es nicht. Es war mir zwar bewusst, dass es eine Möglichkeit und eine nicht gerade gewollte Lösung sein würde, aber meine Absicht war es zu keinem Zeitpunkt. Nach dem ganzen Chaos mit Messiah sassen wir aber schon ziemlich tief in der Scheisse. Das Album war bis auf die Gesangsspuren ja fertig aufgenommen, aber zeitweise sah es nicht wirklich so aus, als könnten wir die Scheibe rausbringen, obwohl wir ja durch den Vertrag mit Nuclear Blast rechtlich daran gebunden waren. Aber in erster Linie suchte ich nach Wegen, die Band aufrecht zu erhalten. Meine Meinung, und die teilt der Rest der Band übrigens, war immer, dass Candlemass grösser und mächtiger sind als Messiah und wie die Reaktionen zeigen, sind auch die Fans dieser Meinung. Der einzige, der das nie glaubte, war oder ist Messiah selbst. Und genau das war auch das Problem mit ihm: Für mich ist ein Bandmitglied nicht grösser als die Band als Kollektiv, während Messiah dachte, er selbst wäre Candlemass, nur er wäre verantwortlich für unseren Erfolg und ohne ihn würde nichts laufen.

Wenn ich mir zum Beispiel zwei Tage vor der Tour die Hand brechen würde, dann würde ich sofort nach einem Ersatz für mich selber suchen und die Jungs dazu drängen, ohne mich zu spielen. Auch ich bin nicht wichtiger als Candlemass, ganz egal, ob ich nun die Songs schreibe oder nicht. Klar, die Rechte sind bei mir, aber so lange es die Band gibt, geht es alleine um die Band und nicht um den Erfolg des Einzelnen. Und wenn man sich, wie Messiah, nicht in dieses Team einordnen kann, dann eben "byebye"!

MF: Sprechen wir noch etwas detaillierter über "King of the Grey Island": Wie würdet ihr die Scheibe in einem Satz beschreiben?

LE: Es ist, und ich weiss, dass das so einige Bands von ihren neuen Scheiben behaupten, aber ich bin völlig überzeugt davon, die düsterste, epischste, komplexeste und vielleicht auch beste Scheibe, die Candlemass je gemacht hat.

RL: Ich vergleiche sie jetzt nicht mit den alten Candlemass-Scheiben, aber die selben Adjektive würde auch verwenden.

MF: Dann geht die nächste Frage also nur an Leif: Mit welcher anderen Candlemass-Scheibe am ehesten vergleichen?

LE: Mit keiner! "King of the Grey Island" ist anders als die anderen. Nach den ganzen Querelen mit Messiah etc. stellt die "King"-Scheibe einen Aufbruch in eine neue Candlemass-Ära dar. Es klingt, nur schon durch die einzigartige Leistung von Rob, wie kein anderes Candlemass-Album. Gerade vom Vorgänger, der weissen "Candlemass"-Scheibe, unterscheidet es sich gewaltig.

MF: Du selbst hast die beiden Scheiben ja auch kontrastierend als das "weisse" und das "schwarze" Album betitelt.

LE: Die letzte Scheibe von 2005 entstand nach all den Reunion-Shows mit Messiah. Alle hatten wieder Feuer gefangen, an den Konzerten wurde so euphorisch gefeiert und obwohl Messiah damals schon wieder anfing Probleme zu machen, waren wir in einer sehr positiven Stimmung, was sich auch auf das Material auswirkte. Während den Aufnahmen zu "King of the Grey Island" jedoch war die Stimmung ziemlich negativ und düster und das hört man auch. Dabei lässt sich aber auch musikalisch eine Entwicklung ausmachen, da wir jetzt noch tiefgründiger und ausgearbeiteter klingen. Evolution Doom sozusagen, hahaha...

MF: Ist "King of the Grey Island" also nur so düster geworden, weil dich das Ganze mit Messiah so gestresst hat?

LE: Nicht gestresst, verzweifelt war ich. Ich denke schon, dass sich das darauf ausgewirkt hat, aber ich wollte auch absichtlich solches Material machen. Es sollte auch als Kontrast zum vorherigen Album wirken, dass mit Nummern wie "Black Dwarf" ziemlich straight daherkam und einfach rockte. Dabei muss man auch die Realität berücksichtigen: Wir leben in einer Scheiss-Welt! Heutzutage geschieht so viel Mist und die Stimmung auf diesem Planeten ist angespannt und das wollte ich in unserer Musik widerspiegeln. Das Leben der Mehrheit wird beherrscht von Leistungsdruck, Druck durch die Gesellschaft, von Erwartungen die man von anderen auferlegt bekommt. Persönlich machte ich die Scheisse mit Messiah durch, aber das ist nur ein einziges Beispiel, wie diese Welt heute aussieht und wie sich viele Menschen zu einander verhalten.

MF: Auf "King of the Grey Island" ist ein prägnanter Satz zu finden: "fuck the human race" (frei übersetzt: "scheiss Menschheit").

LE: Wie ich schon sagte. Die Welt ist scheisse. Die Leute respektieren sich nicht mehr gegenseitig. So viele Menschen scheren sich einen Dreck um ihr Umfeld, um die Person nebenan. Die Welt wird von so vielen Idioten und Einzelkämpfern bevölkert, die sich alle nur um ihren ganz eigenen Ego-Trip kümmern, nur ihrer Karriere und dem Geld nachjagen, ohne dabei auf die anderen zu achten. Gerade in Städten: Ob du jetzt nach New York, London, Berlin oder Hamburg gehst, jeder lebt für sich alleine, schaut stur geradeaus, nicht rechts oder links und setzt seinen Ellbogen ohne Rücksicht auf Verluste ein, um möglichst gut dazustehen. Einzig um zu schauen, ob man mehr hat oder mehr verdient als der Andere schauen sie mal auf die Person neben sich. So viele Leute, nicht alle natürlich, sind so. Und "King of the Grey Island" ist ein fettes "Fuck you" an diese Art von Menschen.

MF: Wer ist dieser König, "the King of the grey Island"?

LE: Es ist jeder. Ich bin es, du bist es oder Robert ist es, einfach jeder. Jeder hat dunkle Stunden, verschissene Tage oder Wochen. Und wenn du dich in diesen Momenten scheisse fühlst, gehst du auf deine ganz eigene graue Insel, wo dich alles nichts angeht und wo du machen und denken kannst, was du willst. Und ich würde um eine Million Euro mit dir wetten, dass auch der glücklichste Mensch auf dieser Erde seine schlechten Tage hat und sich wünscht irgendwo anders zu sein. Der Titel ist ein Bild dafür, wie wir uns eben manchmal fühlen und was wir dann wollen, wo uns unsere Wünsche, unsere Phantasie dann hinführt.

MF: Was bedeutet Doom Metal für euch beide?

LE: Alleine, langsam, hart und depressiv.

RL: Ich würde dem noch Gefühle hinzu fügen. Doom ist für mich Ausdruck von sehr starken, vielleicht den stärksten, wenn auch nicht geliebten Gefühlen. Es geht um Intensität, um die Gewalt, mit welcher du von Gefühlen übermannt werden kannst, welche halt oftmals eher düster als fröhlich und aufmunternd sind.

LE: Ich denke, der Grossteil der Doom-Bands würden das sagen, aber viele davon machen das nicht wirklich. Wir versuchen es zumindest mit Candlemass und ich bin überzeugt, dass uns das auch oftmals gelingt. Die meisten Bands, die "doom" sein wollen übertreiben all diese Dinge. Langsam wir dann zu "überlangsam" (O-Ton: "über-slow", Anm. d. Verf.), düster wird zu superdüster und depressiv wird so weinerlich, dass man den Mitgliedern solcher Bands am liebsten eine Rasierklinge in die Hand drücken würde, oder legaler, sie in eine Anstalt einweisen möchte. Candlemass sind und bleiben dabei aber Metal. Wir hatten immer einen Metal-Background, Doom-Metal ist ja durch Black Sabbath eigentlich auch die erste Spielart des Metals. Für die ganzen "truen" Doom-Bands sind wir dann auch schon fast wieder zu schnell. Deswegen nenn ich unseren Sound ja auch "Epic Doom Metal", da ist alles drin enthalten, was wir machen wollen.

RL: Das mit dem Tempo wird dabei wirklich überbewertet. Schau dir die alten Black Sabbath Nummern an, so gut wie kein Song bleibt ewig langsam, sondern hat mindestens ein schnelles Break. Bands, die 10 Minuten lang immer und immer wieder das selbe Riff spielen und das so langsam, dass es nicht einmal mehr möglich ist, dazu zu klatschen, solche Bands sind doch nichts anderes als langweilig.

MF: Wie wichtig ist der Inhalt der Lyrics bei Candlemass?

LE: Naja... ich würde sagen eher zweitrangig. Natürlich will ich nicht irgendwelchen Quatsch erfinden, der keinen Sinn macht und dazu noch schlecht klingt. Aber ich brüte jetzt defintiv nicht Tag und Nacht an einem Songtext. Wenn ich ein Thema habe, das mir gefällt, dann versuche ich es zu formulieren, so dass es gut zu singen ist und vor allem, dass es zur Musik passt. Dabei werden die Lyrics auch voll und ganz von der Gesangsmelodie gesteuert, die wiederum von der Musik beherrscht wird. Also eher dritt- als zweitrangig. Der Song an sich ist das wichtigste und der hängt von der Musik, vom Riff ab. Ich behaupte, dass 90%, wenn nicht noch mehr, der Songs, welche ich als klasse bezeichnen würde, durch ein gutes Riff entstanden und der Text das allerletzte war, worum man sich Gedanken gemacht hat. Nur schon der Begriff Musik impliziert diese Reihenfolge ja. Wem der Text wichtiger ist als die Musik, der soll Poet werden oder Liedermacher, aber kein Rockmusiker. Ich meine damit nicht, dass ich ausgefeilte Texte nicht schätzen würde, aber sie sind viel weniger wichtig als die Musik.

MF: Schauen wir nun noch ein wenig in die Zukunft von Candlemass: Was macht Candlemass in der näheren Zukunft? Wie sehen die Pläne fürs nächste Jahr aus?

LE: Ich bin sicher, wir werden nächstes Jahr ein neues Album machen. Zuerst wird aber bis Mitte Dezember noch in Europa getourt glaube ich, dann geht es im Januar in die USA, um dort Fuss zu fassen. Die ganze Tour dauert, wenn ichs richtig im Kopf habe, bis etwa April oder so. Robert wird danach aber wieder mit Solitude Aeternus arbeiten, da sie im Frühling mit den Aufnahmen zu ihrer neuen Scheibe beginnen möchten. Also wird es wohl Anfang Herbst werden, bis wir wirklich mit unserem neuen Album beginnen können. Ich kann es kaum erwarten, wiede Zeit zu haben, den ganzen Tag an neuen Songs zu arbeiten. Ich hab schon wieder so viele Idden, es ist unglaublich.

RL: Wir müssen dann unbedingt wieder mal eine Zeitplan-Sitzung machen Leif, ich weiss selber nicht mehr, wann ich was machen werde, hahaha...

LE: Ich will unbedingt eine neue Scheibe machen, denn was wir jetzt gemacht haben ist nur der Anfang. Wir haben eine gute Scheibe veröffentlicht, aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir es noch besser machen können.

RL: Das Gefühl habe ich auch: Ich denke, wir haben mit "King of the Grey Island" das Fundament für eine wachsende Zukunft gelegt.

LE: Ich bin auch der Meinung, dass es nötig ist, so schnell wie möglich, ohne sich dabei stressen zu lassen, ein neues Album auf den Markt zu bringen. Im Moment präsentieren wir Rob dem europäischen Publikum und danach Robert und vor allem Candlemass den amerikanischen Leuten und mit solch positiven Rückmeldungen, wie wir sie momentan erhalten müssen wir einfach zügig weitermachen! Jetzt ist der Augenblick da, an welchem Candlemass die Chance hat, mehrere Gänge raufzuschalten und auf ein anderes, höheres Level zu kommen. Mit Messiah waren wir über lange Zeit auf der selben Stufe festgefahren und entwickelten uns einfach nicht weiter. Es wäre dumm in dieser Situation Zeit zu vertrödeln...

RL: Wir müssen den Fans neues Material geben... wir haben gar keine andere Wahl und wollen auch nichts anderes.

LE: Genau das ist es doch: Wir wollen vorwärts kommen. Einen Sänger aus Amerika einfliegen zu lassen, um ein Album einzusingen, das macht man nicht einfach so und es wäre eine stupide Verschwendung, wenn wir den Elan und dieses euphorische Gefühl, von welchem wir nun besessen sind, nicht auszunutzen. Es wäre wirklich schwachsinnig, nicht weiter in die Zukunft zu schauen und sich mit diesem Album zufrieden zu geben und sich zurück zu lehnen. Unser Ansehen als Band ist uns wichtig, das ist einfach so. Und nun müssen wir dieses positives Ansehen, welches die Fans und auch die Presse von uns hat bewahren und noch zu verbessern versuchen. Mit Messiah machte ich mir keine Gedanken darum, ob ein verrückt wirkender, so übertrieben theatralisch singender Mönch die Leute abschrecken könnte, denn es war nichts dran zu ändern. Mit Robert ist die Chance für Candlemass zurück gekommen, mehr Leute zu begeistern, sich musikalisch weiter zu entwickeln, anspruchsvoller zu sein und das wirkt sich eben auch auf die Ambitionen der Band aus.

MF: Letzte Frage: Wo wird Candlemass, wo wird Leif Edling, wo Rob Lowe in 10 Jahren sein?

LE: Also ich werde auf der Veranda meines kleinen Haus in Spanien liegen, die Sonne auf mich scheinen lassen und einen Wein aus meinem eigenen Weinkeller trinken... wenn alles so funktioniert, wie ich mir das vorstelle...

RL: Ich werde Schweden kaufen! Ich kaufe das verdammte Land und taufe es in "Robert-Lowe-Land" um!

LE: Ein guter, wenn auch grössenwahnsinniger Plan. Ich bleibe dennoch bei meinem Haus in Spanien, wo ich dann in der Sonne liegen kann und mich betrunken daran erinnere, wie ich jeden Abend Konzerte spielte und mir damals den Arsch aufgerissen habe...

RL: Wenn ich ehrlich bin, weiss ich nicht mal, was ich morgen mache... wie soll ich dann so eine Frage beantworten können?

LE: Morgen stehst du brav auf der Bühne in Mailand und singst!!!

MF: Phantastische Aussichten also... Rob, Leif, ich danke euch für das unterhaltsame Gespräch!