Interview: Anthrax

By Tinu
 
Erinnerungen an schöne Zeiten.



Ob nun «Among The Living» das beste Album von Anthrax ist oder nicht, muss jeder für sich selber entscheiden. Zumindest würde der grössere Prozentbereich der Fans mit einem lauten "Ja" antworten, sonst hätten sich Anthrax nicht dazu entschieden, das komplette Album auf den soeben beendeten Euro-Konzerten zu spielen. Wie es zu dieser «Among The Kings»-Tour kam und wie wichtig für Frank Bello die Musik nach wie vor ist, erklärte uns ein müder, aber noch immer sehr netter und freundlicher Bassist, der sich sogar noch an das letzte Interview in Luzern erinnerte und an die damaligen Wetterverhältnisse (es goss wie aus Kübeln).

MF: Frank, wie gehts dir?

Frank: Danke mein Freund, wenn ich mich an unser letztes Interview erinnere und an das beschissene Wetter… Heute strahlt zum ersten Mal die Sonne, und ich geniesse sie zusammen mit dir. Bei den letzten Gigs war es in den Auftrittsorten immer schweinekalt und ich bin froh, endlich wieder die Sonne zu sehen. Zudem sehe ich dich mal ohne Regenjacke (grinst). Wie gehts dir mein Freund?

MF: Bei mir ist alles bestens, danke. Ich bin gespannt, was du mir alles zu erzählen hast. Wieso spielt Schlagzeuger Charlie Benante die Tour nicht mit?

Frank: Das liegt am Defekt des Karpaltunnels. Eine Zeitlang war alles okay, aber als sein Gelenk so anschwellte, dass er seine Hand nicht mehr bewegen konnte, war klar, dass er pausieren musste. John Dette ersetzt ihn wieder. Er liefert immer einen perfekten Job ab und unterstützt uns hervorragend auf dieser Tour.

MF: Wer hatte die Idee zur «Among The Kings»-Tour?

Frank: Es macht Spass, die kompletten Songs von «Among The Living» für unsere Fans zu spielen. Das ist unsere erste Headlinertour seit zehn Jahren in Europa. Fuck, das ist eine verdammt lange Zeit. Aus diesem Grund wollten wir unseren Anhängern etwas Spezielles bieten. Einfach aus der Sicht unserer Fans. Die Besucher haben ihren Spass an der Setliste, was wollen wir mehr?! Jeden Abend feiern wir eine grosse Thrash-Party, und bis auf heute Abend war jedes Konzert ausverkauft.

MF: Wieso wird ausgerechnet das komplette «Among The Living»-Album gespielt und nicht «Spreading The Disease», «Fistful Of Metal» oder «State Of Euphoria»?

Frank: Die Leute verlangten nach diesem Album. Wir gaben ihnen, wonach sie verlangten. Es bereitete jeden Abend einen grossen Spass, das komplette Album zu spielen. In meinen Augen ist «Among The Living» eines unserer Babies. Aber «For All Kings» ist von den Liedern her das beste Werk, welches wir jemals komponierten. Alles klingt wie aus einem Guss, wir befinden uns nach wie vor in einer absolut gigantischen Verfassung, und alles fliesst uns locker aus den Händen, ohne grosse Probleme. Ich bin sehr euphorisch, wenn ich an das bestehende Anthrax Line-Up denke. Ich schaue ungern zurück. Diese Tour spielen wir, weil die Fans dies wünschen und es ein Tribut an eine erfolgreiche Zeit ist. Aber wenn ich wählen könnte, würde ich viel lieber das komplette neue Album spielen.

MF: Welche Erinnerung hast du an die Songwritingphase von «Among The Living»?

Frank: Wir befanden uns in einem Raum, bangten uns die Köpfe ab und liessen Allem den freien Lauf, den es benötigte, um «Among The Living» zu komponieren. Damals war es eine völlig andere Zeit. Wir waren jünger (grinst), ständig auf Tour und der Thrash erlebte gerade seine Blütezeit. Jeder fühlte diese Vibes und es war eine sehr spezielle Zeit des Aufbruchs.

MF: War der Spass damals grösser als die Vernunft an die Zukunft zu denken, Geld zu verdienen, und somit ging euch das Schreiben der Songs auch leichter von der Hand?

Frank: Nein, "songwriting is songwriting!" Du wirst damit niemals Geld verdienen (lacht). Der Ansporn ist, dass du die besten Lieder komponierst, welche du jemals geschrieben hast, dieses Kreative in dir. Schlussendlich sind wir Metal-Fans und wollen uns mit anderen Metal-Fans verbinden. Dabei wollen wir uns austauschen, unsere Wurzeln nicht verlieren und trotzdem nie stehen bleiben. Wir tun dies nicht um reich zu werden, sondern sind ganz normale Typen, die eine Familie haben und ihre Rechnungen zahlen müssen. Keiner von uns lebt in einer grossen Villa.

MF: Wie wichtig war Produzent Eddie Kramer für «Among The Living»?

Frank: Er ist grossartig, und es machte einen unglaublichen Spass mit ihm zusammen zu arbeiten. Er kam aus einer völlig anderen Welt mit Jimi Hendrix, Led Zeppelin oder Kiss. Es war eine sehr grosse Sache mit ihm zu arbeiten. Eddie hatte tolle Ideen, die uns weiterbrachten und dem Album einen neuen Touch verpassten.

MF: Wie gross war der Druck für «State Of Euphoria» nach «Among The Living»?

Frank: Wir hatten kaum Zeit für «State Of Euphoria». Die Plattenfirma drängte uns und der Druck war immens. Hätten wir mehr Zeit gehabt… Das Album gehört definitiv nicht zu meinen Favoriten. Auch wenn es tolle Songs beinhaltet und viele Fans das Album wirklich lieben. Aber, wir in der Band wären froh gewesen, hätten wir uns mehr Zeit für das Werk nehmen können. «Now we're here», das ist alles was zählt (grinst). Heute nehmen wir uns diese (Aus-) Zeit und verbringen dabei viel Zeit mit unseren Familien. Meine Frau freut sich nicht, wenn ich sechs Wochen auf Tour gehe und sie mich nicht sieht. Aber das ist das Leben, das wir uns aussuchten und nun müssen wir damit leben. Zudem sind wir sehr glücklich darüber, noch immer Musik spielen zu können. Es ist aber verdammt hart von meinem zu Hause getrennt zu sein. Mein Sohn ist mittlerweile zehn Jahre alt. Dank Gott, dass wir heute Face-Time haben (grinst), aber es ist immer ein Balanceakt, wenn wir von unseren Lieben getrennt sind. Fahre ich nach dieser Tour heim, geniesse ich zehn Tage ohne Anthrax. Nur mein Sohn und meine Familie, sonst nichts. Weisst du, die Geburt meines Sohnes hat mich zu einem besseren Menschen gemacht. Man geniesst mehr was man hat, wie jetzt dieses Gespräch mit dir, hier in der Sonne. Das ist doch ein wundervoller Ort!

MF: Ihr habt mit «Among The Living» 1987 in Donington gespielt und 1988 bei den deutschen «Monsters Of Rock». Wie wichtig war dies für die Karriere von Anthrax und dich persönlich?

Frank (grinsend): Unglaublich! Für die Band wie auch für mich selber! Wir standen mit «Among The Living» vor dem Durchbruch in den Staaten und in Europa plötzlich auf den ganz grossen Festivals, oh mein Gott. Ja, und da waren plötzlich Bon Jovi Headliner in Donington. «It was crazy, but fun as hell». Wir sahen all die Bands Backstage und hingen mit ihnen 'rum. Die Jungs von Metallica und Kiss waren da. Es war eine unglaublich tolle Zeit für uns, die wir sehr genossen haben. Ausser Bon Jovi, die sich völlig abschirmten und mit niemandem sprachen. Die bauten eine richtige Wand um sich auf, und keiner konnte in diesen Bereich eintreten, ausser du warst Bon Jovi (lacht). Das ist eine verdammt wahre Geschichte. Alle anderen gingen bei den andern ein und aus, es war eine grosse Party. So war er eben, Bon Jovi…

MF: Welcher ist der beste Song, den du jemals geschrieben hast?

Frank (überlegt): Wow, das ist eine grossartige Frage. Wir sind auf sehr viele Lieder sehr stolz, dass wir sie geschrieben haben. Das ist schwierig… Ich mag… Oh mein Gott (lächelt). Ich mag «Breathing Lightning» von neuen Album sehr, aber auch «Blood Eagle Wings», der in meinen Augen ein klassischer Anthrax-Track ist.

MF: Wie denkst du über das Musikbusiness?

Frank: Welches Musikbusiness (lautes Lachen)? Es gibt keines. Das Einzige ist auf Tour zu sein. Die Plattenfirmen verlieren Boden, und dank der ganzen Download-Geschichten gibt es kein funktionierendes Geschäft mehr. Am Ende des Tages hat sich alles verändert. Trotzdem kaufe ich mir noch immer regelmässig meine Platten, aber da bleibe ich eine Ausnahme. Du und ich sind die Ausnahmen. Auch wenn wir von einer Plattenfirma betreut werden, all dies, wie es früher passierte in den Plattenläden, ist heute eine Seltenheit geworden oder ausgestorben. Ich vermisse es, in den Laden meines Vertrauens zu gehen, zu wissen, dass der Besitzer mir meine möglichen Käufe schon auf die Seite gelegt hat und ich mir das Zeugs in aller Ruhe anhören kann. Dadurch erfahre ich, was es Neues gibt und mir gefallen könnte. So wie früher mit all den neuen Truppen. Das war eine Nebenkunst, sich so zu informieren und immer am Ball zu bleiben. Das ging mit der Zeit verloren. Es spielt keine Rolle, ob es sich dabei um eine Schallplatte oder eine CD handelt. Es ist so cool, sich ein neues Produkt anzuhören und sich voller Stolz dann die Scheiben zu kaufen, die mich noch immer umhauen. Meine Angst ist, dass dies schon bald nicht mehr möglich sein wird, wegen den ganzen Downloads. Aber, es ist wie es ist, und alles befindet sich in einem Zyklus. Alles kommt zurück, wie die Schallplatten, die lange Zeit völlig verpönt waren.

MF: Kannst du dich an deine Gefühle erinnern, als du das erste Mal eine Anthrax-Scheibe in den Händen gehalten hast?

Frank: Ich war verdammt stolz und es war echt! Wow, es war tatsächlich passiert (grinst). Ich war so dankbar und bedankte mich bei Gott, dass ich dies erlebte. Als ich in meinem Zimmer begann Musik zu spielen, träumte ich davon. Man hatte Visionen, wie sich dieses Album anhören und es aussehen sollte (grinst). Als die Scheibe raus kam, war es ein wundervolles Gefühl. Noch heute ist es so, wenn wir ein neues Werk veröffentlichen, bin ich sehr dankbar und fast demütig. Und das entspricht der Wahrheit, ich bin sehr glücklich, dass ich so lange Musik spielen konnte.

MF: Hast du dich denn jemals als Rockstar gefühlt?

Frank: Fuck, was ist ein Rockstar? "Rockstar is shit!" Das ist der Balanceakt in der Atmosphäre und entspricht nur einem unmöglichen Traum. In den 80er-Jahren war dies purer Spass für einige Wenige. Vielen hielten uns vielleicht für Rockstars, aber wir waren bloss fünf Jungs, welche die Bühne in Flammen setzen wollten. Da ging es nicht darum, dass ich besser bin als du, oder ein verfluchter Rockstar. Da musste eine verdammte Einheit auf und neben der Stage sein. Du und ich zusammen, für eine positive Energie. Schaue ich mir heute eine Iron Maiden-Show an, spüre ich die freiwerdende Energie. Ich will ein Teil davon sein. Du und diese "fucking great force". Die Band fühlt sich grossartig und das Publikum auch. Alle gewinnen, was willst du mehr?

MF: Ihr habt mit vielen Bands zusammen gespielt. Iron Maiden, Kiss... - Gibt es da eine Truppe, mit der ihr noch gerne...

Frank (wie aus der Pistole geschossen und als hätte er auf diese Frage gewartet): ...AC/DC! Ohne Wenn und Aber! Es wäre grossartig, würde Bon Scott noch leben. Wir haben die Jungs zusammen mit Axl Rose im Madison Square Garden gesehen. Es war unglaublich! Er lieferte einen "fucking great" Job ab. Das hat mich echt beeindruckt. Ich bin mir sicher, dass wir ein geiler Support für AC/DC wären (grinst).

MF: Ist "Sex, Drugs and Rock'n'roll» ein Klischee oder das Wahre im Rock-Geschäft?

Frank: Kommt drauf an, für was du es beanspruchst. Persönlich..., ich nahm nie Drogen. Zu viele meiner Freunde gingen wegen den Drogen unter. Das ist absoluter Bullshit. Drinks..., wir lieben es einen zu heben, aber niemand verliert dabei die Kontrolle. Sex..., jeder liebt Sex (grinst), aber ich bin verheiratet. Heute dreht sich alles nur noch um die Musik, um das Lied und die Performance auf der Bühne.

MF: Danke für das Interview…